Mikhail und Ivan Pochekin, die beide Geige und einer von ihnen auch die Viola spielen, haben in ihrem noch jungen Leben schon viel zusammen gelebt, musiziert, geprobt, über Musik geredet und auch im Duo konzertiert. Dann war die Zeit endlich reif, um diese Verbindung durch eine Duo-CD zu krönen. Im Gespräch erzählte Mikhail Pochekin vom menschlichen wie künstlerischen Einklang, der auch von Reibung lebt – darauf deutet ja auch der Titel des aktuellen CD Albums hin. 'The Unity of Opposites', erschienen auf dem russischen Melodiya Label vereint Werke von Wolfgang Amadeus Mozart, Michael Haydn, Reinhold Glière und Sergej Prokofiev. Das Interview führte Stefan Pieper

Es mutet reichlich artistisch an, wie sie auf dem Innencover-Foto der aktuellen CD zu zweit auf einem Instrument spielen. Haben Sie das schon mal in der Praxis gemacht?
Nein, das war nur ein Spaß. Das kann man leider nicht so spielen.

Wäre nicht eine solche Einlage mal als Zugabe denkbar? Das würde doch beim Publikum ein vielsagendes Bild abgeben.
Vielleicht ist das mal eine interessante Idee! Darüber haben wir noch nicht nachgedacht.

Haben Sie als Brüder viele Auseinandersetzungen?
Klar, aber wir wollen immer eine gemeinsame Idee finden. Wir versuchen im Duo, wie ein Instrument zu klingen. Auch wenn wir eigene solistische Projekte haben, unterstützen wir uns gegenseitig, wir spielen uns auch neue Aufnahmen vor und tauschen ein kritisches Urteil aus.

Hat es früher viel Konkurrenz zwischen den beiden Brüdern gegeben?
Nein, zwischen uns gibt es keine Konkurrenz, sondern nur Unterstützung. Auch in der Kindheit war es zwischen uns schon immer so. Wir sind glücklich, dass wir zusammen sind.

Leben Sie auch oft zusammen?
Wir haben während unseres Studiums in Köln zusammen gelebt und wir besuchen auch oft gemeinsam unsere Eltern, die in Madrid leben.

Welche Bedingungen mussten erfüllt sein, dass Sie sich so im Duo begegnen konnten?
Es brauchte schon eine gewisse Vorerfahrung, die wir beide aber längst haben. Wir haben während der letzten fünf Jahre viele Konzerte zusammen bestritten und neben Kammerkonzerten sind wir auch mit Sinfonieorchestern aufgetreten, unter denen das Moskauer Philharmonische Orchester und das Sinfonieorchester des Mariinsky-Theaters zu nennen sind. 2017 gaben wir unser Debüt als Duo mit dem Russischen Nationalorchester, indem wir Mozarts Sinfonia Concertante für Violine und Bratsche vortrugen.

Spielen Sie ausschließlich Originalrepertoire für diese Besetzung?
Wir haben auch Transkriptionen gespielt. Ein großer Vorteil ist, dass Ivan auch Bratsche spielt – das macht die Repertoireauswahl reicher. Wichtig ist uns, dass wir Programme mit einer Grundidee zusammenstellen können.

Was war die Grundidee für die aktuelle Aufnahme?
Wir wollten Werke präsentieren, die geschichtlich stark miteinander verbunden sind. Mozart und Michael Haydn standen in regem Austausch miteinander. Und natürlich gibt es eine direkte Verbindung zwischen Glière und Prokofiev. Glière war ein Lehrer von Prokofiev.

Die zwölf Duos für zwei Violinen von Reinhold Glière sind für viele Hörer eine spannende Neuentdeckung. Welche Aspekte haben Sie daran fasziniert?
Es ist schade, dass die Musik von Glière so wenig gespielt wird. Es könnte sogar sein, dass wir hier die erste Aufnahme vorgelegt haben. Es verhält sich bei diesen Stücken wie in der Malerei. Es gibt große Bilder, und viele Skizzen dahinter. Diese zwölf Stücke markieren letzteres.

Reinhold Glière war ja ein Lehrer von Sergej Prokofiev. Also ist das schon ein pädagogischer Anspruch? Mir erscheinen die Stücke als Konzertetüden, die immer unterschiedliche Aspekte herausstellen, die zeigen wollen, was man mit den Instrumenten kann.
In Reinhold Glières zwölf Stücken kann man hervorragend einen lehrenden Aspekt ausmachen. Er bemüht sich sehr um eine vorbildhafte Ausführung der ganzen Details. Außerdem ist es sehr interessant, dass es in den zwölf Duos keine Hierarchie zwischen erster und zweiter Geige gibt. Das ganze Material kommt immer erst in der einen, dann in der anderen Stimme und beide spielen auch Begleitung und Imitation. Es geht um Gleichberechtigung.

Welche stilistischen Verbindungslinien und welche Unterschiede zwischen den beiden Komponisten-Generationen haben Sie fasziniert?
Prokofiev geht natürlich viel weiter – aber ich denke, es gibt starke melodische Verbindungen. Wenn man die zwölf Duos und die Sätze der Prokofiev-Sonate miteinander vergleicht, dann zeigt sich in diesem typisch slawischen Melos eine starke Seelenverwandtschaft. Bei Prokofiev gibt es darüber hinaus eine starke Weiterentwicklung in Rhythmik und Struktur.

Mikhail & Ivan Pochekin

Warum haben Mozart und Michael Haydn für diese Besetzung komponiert?
Es war der Bischof Hieronimus Colloredo, der Michael Haydn einen Auftrag für 6 Duos für Violine und Bratsche gegeben hat. Nachdem Haydn vier von sechs Duos vollendet hatte, erkrankte er ernst und konnte deswegen die Arbeit nicht fortsetzen. Folglich konnte er den Auftrag von Colloredo nicht erfüllen. Gerade in dieser Zeit weilte Mozart in Salzburg und besuchte seinen kranken Freund. Nachdem er über dieses Problem erfahren hatte, brachte er, ohne ein Wort gesagt zu haben, nach ein paar Tagen Michael Haydn die Partitur von zwei übrig gebliebenen Duos. Man brauchte nur den Namen Haydn auf die Titelseite zu setzen. Aber es ist natürlich schwierig, zu vergleichen. Mozarts Talent, das wahrscheinlich eines der größten in der Musikgeschichte ist, ragt natürlich gegenüber Michael Haydn noch heraus. Aber Michael Haydn hat auch sehr schöne Musik komponiert. Es lohnt sich auch, dessen große Werke, etwa mit Orchester oder Chor, anzuhören.

Wenn Sie, jetzt auch stellvertretend für Ihren Bruder die wichtigsten Personen für den künstlerischen Werdegang nennen, wer würde Ihnen da in den Sinn kommen?
Wir hatten natürlich viele wunderbare Lehrer und wir sind ihnen allen sehr dankbar. Eine besondere Rolle hat im künstlerischen Leben von Ivan Professor Maya Glezarova gespielt. Er hat als ein neunjähriges Kind den Unterricht bei ihr aufgenommen, der zehn Jahre lang dauerte. Was mich angeht, war es Professorin Ana Chumachenco. Bei ihr bekam ich Unterricht anfangs in Madrid an der ‘Escuela Superior de musica Reina Sofia’ und dann an der Hochschule für Musik in München. Auch haben wir viel von Rainer Schmidt, Mitglied des legendären Hagen-Quartetts gelernt. Mit ihm haben wir mittlerweile auch oft als Duo kooperiert.

Man spricht ja immer von der spezifisch russischen Schule – vor allem auch, wenn es um Geigenpädagogik geht. War so etwas für euch auch prägend?
Man kann in unserem Fall eigentlich nicht mehr von der russischen Schule alter Prägung reden. Die russische Schule hat sehr viel mit dem Instrument zu tun. Man versucht, so perfekt und so schön wie möglich zu spielen – und eben, damit ein Publikum zu überzeugen! Das ist für sich genommen enorm viel wert. Aber in unserem Fall, vor allem aufgrund unseres Studiums in Deutschland, kam eine andere sehr wichtige Komponente hinzu: Nämlich der Aspekt des verstehenden Musizierens. Dabei geht es neben der reinen Instrumentenbeherrschung vor allem um die musikologische Seite, um die Philosophie. Da kommen Fragen ins Spiel, warum ein Komponist ein bestimmtes Werk geschrieben hat. So etwas haben wir vor allem bei unserem Studium in Deutschland erfahren.

Also vereint sich im Idealfall die harte Schule des Übens mit dem Erkenntnisgewinn?
Ja, genau! Das künstlerische Ideal von meinem Bruder und mir ist die Kombination dieser beiden Bereiche. In unserem Studium waren diese beiden Aspekte aber schon immer gut vermischt. Wir haben es heute in vieler Hinsicht leichter. Eine aufgeklärte Interpretation kommt ohne den originalen Notentext als Primärquelle nicht aus. Damals, noch in sowjetischer Zeit war es viel schwieriger, fast unmöglich einen Urtext von Bach oder Mozart zu bekommen. Meist musste man mit stark redigierten Notentexten vorlieb nehmen. Da sind oft Spieleanweisungen drin, die vom Komponisten so nicht gemeint waren. Dabei ist doch eigentlich genau diese Frage, was der Komponist gemeint hat, am interessantesten. Dafür braucht es eine Originaltext-Ausgabe. Das ist nur ein kleines Beispiel. Das gleiche trifft auch auf die Aufnahmen zu. Kaum konnte jemand in Russland zu den Sowjetzeiten die Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt oder Ton Koopman hören. Die Leute lebten in den Verhältnissen eines Informationsmangels, und das wirkte sich auf die Interpretation aus. Es ist toll, dass alles in unserer Zeit anders geworden ist..

Wie verhält es sich bei den Werken der neuen CD mit den Primärquellen?
Bei Mozart haben wir natürlich auf den Urtext zurückgegriffen. Bei Glière gibt es sowieso nur diese Erstausgabe und auch bei Prokofiev konnten wir auf eine Ausgabe zurückgreifen, die der Komponist direkt vorbereitet hat. Von Michael Haydns Duo gibt es leider keinen Urtext, da haben wir eine Ausgabe aus dem 19. Jahrhundert genutzt.

Was sind Ihre nächsten Projekte?
Wir haben schon wieder sehr viele neue Werke auf der Agenda, die wir zusammen erarbeiten wollen. In der nächsten Saison spielen wir u.a. das Doppelkonzert von Krzysztof Penderecki für Violine und Viola.

 

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