20th Century Feminine; Gracyna Bacewicz: Violinsonate Nr. 4; Nadia Boulanger: Nocturne; D'un Matin de Printemps, Jennifer Higdon: String Poetic, Galina Ustvolskaya: Violinsonate; Louise Chisson, Violine, Tamara Atschba, Klavier; 1 CD Hänssler Classic 8.574297; Aufnahme 12/2020; Veröffentlichung 16.06.2021 (71'41) – Rezension von Uwe Krusch

Der amerikanische Komponist Roy Harris hat über die Sonate von Galina Ustvolksaya gesagt, sie wäre irgendwie hässlich. Und die vierte Sonate von Grazyna Bacewicz kann man als sich impulsiv in einen Rausch steigernd hören. Die fünf Poetische Stücke von Jennifer Higdon sind zwar dem Titel nach eben poetisch, dem Höreindruck nach aber auch deutlich spröder. Neben Zacken, maschinellem Tuckern und rasend Labyrinthischem gibt es auch geheimnisvolle Nebel. Vor diese anspruchsvoll zu hörenden Werke haben die beiden Interpretinnen die im Nachhinein geradezu entspannten, eher impressionistisch schillernden beiden Miniaturen von Nadia Boulanger gestellt, ihnen aber auch eine gehörige Portion Ausdrucksstärke mitgegeben.

Das darf man vielleicht auch als stärksten Eindruck aus der Gesamtsicht mitnehmen, dass die beiden Interpretinnen, die Geigerin Louise Chisson und ihre Klavierpartnerin Tamara Atschba, auf dieser abwechslungsreiche CD eine starke ausdruckskräftige Sicht auf vier Werke eines Jahrhunderts von Geschlechtsgenossinnen präsentieren. Dabei stellen sie geschickt die interpretatorischen und gestalterischen Unterschiede heraus, so dass jedes Werk seinen ihm gebührenden Charakter widerspiegeln kann. Man kann den Interpretinnen wirklich nicht vorwerfen, ihren Gestaltungswillen und dessen technisch intensiv verwirklichte Umsetzung verborgen zu haben. Vielmehr halten sie die Zuhörenden mit ihrem fordernden Spiel bis zum letzten Ton in ihrem Bann.

The American composer Roy Harris said of Galina Ustvolksaya’s sonata that it was kind of ugly. And the Fourth Sonata by Grazyna Bacewicz can be heard as rising impulsively into a frenzy. Jennifer Higdon’s Five Poetic Pieces, while poetic by title, are also considerably more brittle. Along with jags, machine chugging, and frantic labyrinthine, there are also mysterious mists. Before these works, which are demanding to hear, the two interpreters have placed the two miniatures by Nadia Boulanger, which in retrospect are almost relaxed, rather impressionistically shimmering, but they have also given them a good portion of expressiveness.
It may perhaps be taken as the strongest impression from the overall view that the two interpreters, violinist Louise Chisson and her piano partner Tamara Atschba, present on this varied CD a strong expressive view of four works of a century of gender comrades. In doing so, they deftly highlight interpretive and creative differences, allowing each work to reflect its due character. One really cannot accuse the interpreters of having hidden their creative will and its technically intensively realized realization. Rather, they keep the listeners spellbound with their demanding playing until the very last note.

Duo Chisson – Atschba: « Die Zeiten sind vorbei, in denen Talent und Fähigkeiten ausreichten »

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