Sabrina Haane, Remy Franck, Tabea Dupree, Felix Fischer, Matthias Lutzweiler

Das Label SWR Music feierte am Donnerstag in Stuttgart sein 25-jähriges Bestehen. Unter dem Thema « past, present & future » fand im Mosaik-Foyer der Liederhalle ein interessanter Abend statt, bei dem viel Musik zu hören war, viel über Erfolge sowie über Herausforderungen in der modernen Musiklandschaft diskutiert wurde. Remy Franck berichtet.

Die Veranstaltung begann mit einem musikalischen Auftakt, gespielt von Mitgliedern des SWR Symphonieorchesters (Raquel Pérez-Juana, Annette Schütz, Oboe, Dirk Altmann, Anton Hollich, Klarinette, Marc Nötzel, Michael Reifer, Horn, Hanno Dönneweg, Angela Bergmann, Fagott, und Axel Schwesig, Kontrabass).

Es folgte ein Grußwort des Geschäftsführers der SWR Media Services, Thomas Schelberg: « Da wir die erste Rundfunkanstalt der ARD sind, die diesen Weg gegangen ist, sind wir auch die erste, die nun auf ein Vierteljahrhundert zurückblicken kann. »

Ziel des 2000 gegründeten Labels sei es, das künstlerische Schaffen der SWR Klangkörper – darunter das SWR Symphonieorchester, das SWR Vokalensemble und die SWR Big Band – und der Deutschen Radio Philharmonie zu dokumentieren und dauerhaft einem weltweiten Publikum zugänglich zu machen.

Die Begründung formulierte Schelberg so: « Es war der Wunsch und das Ziel des SWR, über die eigene rundfunkmäßige Nutzung hinaus, das breite musikalische Schaffen der zweigrößten Rundfunkanstalt der ARD einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Und zwar dauerhaft; man wollte nicht abhängig sein von Labels, die – damals wie heute – Cherry Picking betreiben, das schnelle Geld verdienen wollen und Aufnahmen, sofern sie anders als erwartet, nicht im erwünschten Maße am Markt reüssieren, rasch wieder von demselben nehmen. Das hatte der Sender häufig erfahren. Das Fass zum Überlaufen brachten schließlich die Aufnahmen Celibidaches aus seinen Stuttgarter Jahren 1972-1977, die die Deutsche Grammophon veröffentlichte und nach kurzer Zeit wieder vom Markt nahm.

Der SWR wollte also sein Verständnis des öffentlich-rechtlichen Kulturauftrags und hierzu zählt gerade auch die Neues Musik, Experimentelles, Nischenrepertoire aber natürlich auch große Namen der Musikgeschichte in die Welt tragen und damit möglichst viele Menschen erreichen, auch und gerade diejenigen, die selbst nicht SWR-Hörer/Zuschauer/Nutzer oder Konzertbesucher sind. »

Das Label habe trotz der Umstrukturierungen auf dem Musikmarkt sein Ziel erreicht, sagte Schelberg: « Das Label hat ca. 575 Aufnahmen der SWR und SR-Klangkörper (und seiner Vorgängerinstitutionen) veröffentlicht. »

Die erste Aufnahme war im Jahre 2000 Edward Elgars Symphonie Nr. 1 mit dem Radio Sinfonie Orchester Stuttgart, unter dessen langjährigem Chefdirigenten Roger Norrington, der – einen Tag vor seinem Tod – eine Videobotschaft überbrachte. Der Dirigent betonte darin den Wert der Veröffentlichungen von SWR Music, zu denen er mit großer Freude beigetragen habe.

Zu der Aufnahme, die noch in der SWR Music-Reihe ‘Faszination Musik’ von Hänssler Classic editiert wurde, schrieb mein Kollege Alain Steffen im Pizzicato:  » (…) Elgar wird glücklicherweise nicht mit schwülstigem Pathos gespielt, im Gegenteil: Norrrington versucht, die Musik so aufgelockert wie nur möglich spielen zu lassen. Die exzellente Technik ermöglicht eine ungewohnte Transparenz, was Elgars klanggewaltiger Symphonie sehr zugute kommt. Hinzu kommt, dass die britische Pseudo-Noblesse, die so vielen englischen Aufnahmen anhaftet, durch ein spannungsgeladenes und recht zügiges Spiel ersetzt wird. (…) »

Die Laudatio bei der Festveranstaltung in Stuttgart hielt Musikjournalistin Eleonore Büning, die in gewohnt inspirierter Weise die Entwicklung der reproduzierbaren Musik vom Beginn bis heute beleuchtete, mit einem speziellen Augenmerk für die « winzige Blase » in diesem Umfeld, die Klassik. Sie würdigte die Bedeutung des Labels als Trendsetter, der für die Klangkörper und Produktionen des Senders stetig neue Reichweiten aufbaue und zugleich den Nachwuchs fördere. Das spiegelt sich auch in ihrer bemerkenswerten Liste von vier Favoriten aus dem Katalog:

1. Michael Praetorius – In Dulci Jubilo
SWR Vokalensemble, Marcus Creed
SWR Music SWR19109CD1 – Veröffentlichung 2021

 

 

2. Gérard Souzay, Liederabend 1960
Dalton Baldwin, Klavier
SWR Music SWR93717CD1 – Veröffentlichung 04. 2012

 

 

3. Wolfgang Rihm: Dis-Kontur für großes Orchester + Lichtzwang – Musik für Violine & Orchester + Sub-Kontur für großes Orchester
Janos Negyesy, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Sylvain Cambreling, Ernest Bour
Hänssler SWR Music 93202 – Veröffentlichung 11.3.2008
Rezension am Ende des Beitrags

 

4. Robert Schumann: Kreisleriana op. 16 – Modest Mussorgsky: Bilder einer Ausstellung
Robert Neumann, Klavier
# SWR Music 19137CD – Veröffentlichung 01.2024
Rezension am Ende des Beitrags

 

Anschließend moderierte Tabea Dupree, SWR Kultur- und Musikredakteurin, ein Podiumsgespräch mit  Matthias Lutzweiler, CEO Naxos Music Group,

Felix Fischer, ehemaliger Orchestermanager SWR Symphonieorchester, Sabrina Haane, Gesamtleiterin SWR Symphonieorchester und Remy Franck, Chefredakteur Pizzicato und ICMA-Juryvorsitzender.

Sabrina Haane, Remy Franck, Tabea Dupree, Felix Fischer, Matthias Lutzweiler

Ich hatte im Vorfeld meine Kollegen von der Jury der International Classical Music Awards nach ihrer Meinung zu SWR Music gefragt, und was in der Diskussion nur resümiert werden konnte, dem sei hier der gebührende Platz eingeräumt.

Remy Franck. « Beim ersten und zugleich letzten Weltkongress der Schallplatte im Jahre 1973 in Treviso durfte ich an einer memorablen Diskussion über den Wert der Schallplatte teilnehmen, während der einige Teilnehmer dem Medium jeglichen Wert abstritten, weil es nie das Konzert ersetzen könne. Während der italienische Musikkritiker Giuseppe Pugliese die Studioaufnahme als einzige wirklich gültige Interpretation hinstellte, traten anders für Konzertmitschnitte ein. Heute sind bei vielen Labeln Liveaufnahmen allein schon aus Kostengründen bevorzugt. Für SWR Classic stellt sich die Frage nicht. Das Label bedient sich vor allem des umfangreichen Archivs des SWR, und das bringt eine ganz andere Verantwortung mit sich, Fragen zur Qualität der Interpretationen und zum Repertoire. Es gibt aber auch die Verantwortung, ob nicht besonders herausragende Aufnahmen geteilt, also unbedingt unter ein breiteres Publikum gebracht werden müssen.

Ich hörte einmal den Mitschnitt einer 2. Sibelius mit dem Gürzenich Orchester unter Kitajenko. Ich war überzeugt, etwas Einmaliges gehört zu haben und sagte dem damals zuständigen Labelchef Dieter Oehms, der Mitschnitt müsse unbedingt veröffentlicht werden. Er und andere sträubten sich. Und erst als ich androhte, eine Rezension über eine nicht erschienene und dem Publikum vorenthaltene Aufnahme zu schreiben, kam das Album dann auf den Markt. Ich bin überzeugt, dass im Archiv des SWR auch solche Aufnahmen schlummern. Ich erwarte also noch so Einiges vom nun 25 Jahre alten Label. »

Frauke Adrians, Das Orchester: « Das Label pflegt auch einen umfangreichen Backkatalog. Veröffentlichungen und Wiederveröffentlichungen von Aufnahmen von Musikerinnen wie Martina Arroyo und Ida Haendel sowie von Ensembles wie dem Alban Berg Quartett und dem Amadeus Quartett sind höchst verdienstvoll und tragen dazu bei, eine ganze Welt herausragender musikalischer Leistungen zu erhalten. »

Martin Hoffmeister, Gewandhaus Radio: « Eindrücklich an den SWR-Classic-Veröffentlichungen sind insbesondere jene im Segment ‘historische Aufnahmen‘, die an die Klassik-Heroen des frühen 20. Jahrhunderts erinnern. »

Juan Lucas, Scherzo: « Das Label SWR Classic ist eine wahre Fundgrube für große musikalische Momente aus der zweiten Hälfte des 20. und den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts. SWR Classic ist  heute das vielleicht wichtigste europäische Label, das sich auf historische Aufnahmen spezialisiert hat. »

Jakub Puchalski,  Polskie Radio Chopin: « SWR Classic ist aus meiner Sicht ein herausragendes Label, vor allem wegen der konsequenten und akribischen Erschließung der SWR-Archive. Die Radioarchive enthalten oft einzigartige Schätze, die entdeckt und veröffentlicht werden müssen. Auf diesem Gebiet bleibt SWR Classic eine Art Vorbild. »

Daneben unterstreichen alle auch das breite Repertoirespektrum samt Fokus auf zeitgenössische Musik, was es erlaubt, oft weniger bekanntes Repertoire zu entdecken,  wodurch die doppelte Wichtigkeit des Labels unterstrichen wird,

Matthias Lutzweiler, CEO Naxos Music Group betonte die Wichtigkeit der Verbindung eines guten Labels und eines starken Vertriebs. Wenn es auch noch Unterschiede im Vermarkten gebe, so könne man dennoch sagen, dass zurzeit noch 30% physische CDs verkauft werden, und 70 % digital angeschafft wird.

Felix Fischer, ehemaliger Orchestermanager SWR Symphonieorchester wies auf die Aufbruchsstimmung hin, die mit gutem Marketing half, die Produkte des neuen Labels zu verbreiten. Kultur neben industriellen Gütern zu exportieren sei damals ein wichtiges Anliegen gewesen, und der Gedanke der Völkerverbindung habe eine wichtige Rolle gespielt.

Sabrina Haane, Gesamtleiterin SWR Symphonieorchester, unterstrich die Bedeutung des Labels als Visitenkarte der SWR-Musikensembles und gab sich zuversichtlich, dass sich das Label, trotz der Präsenz der SWR Orchester auf neuen, gratis zugänglichen Streaming-Plattformen wie etwa dem YouTube-Kanal ARD Klassik behaupten könne.

Die Geburtstagsfeier endet mit einem Konzert des SWR Symphonieorchesters unter der Leitung Markus Poschner, der kurzfristig für den erkrankten Andrés Orozco-Estrada eingesprungen war. Es begann mit einer fulminanten Aufführung von Beethovens-Egmont-Ouvertüre. Dann folgte das Oboenkonzert von Richard Strauss mit dem immer noch phänomenalen François Leleux, der einmal mehr mit seiner einmaligen Atemtechnik und seinem hoch sensiblen Spiel begeisterte.

Nach der Pause dirigierte Markus Poschner die Zweite Symphonie von Johannes Brahms. Ohne eine Partitur vor sich zu haben gestaltete er das Werk sehr spontan, um die die Opposition von guter Laune und Schwermut zu unterstreichen, aber die Ausgelassenheit, mit der (vor allem im Finale) streckenweise geblasen und gestrichen wurde, wirkte letztlich aufgesetzt und in seinem tänzerischen Elan für Brahms überzogen. Doch mit dem beim Publikum immer ankommenden ‘Laut und schnell’ entfachte Poschner in der Liederhalle viel Begeisterung.

Stupende Beherrschung des Instruments

Lust auf Rihm

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