Die Pianistin Lydia Maria Bader entdeckt auf ihrer neuen CD die traditionelle und klassische Musik Chinas. Ihr musikalisches Talent geht mit großem Fernweh einher. Schon früh tourte sie fürs Goethe-Institut, unternahm dann in eigener Regie eine erste Tournee durch China. Mittlerweile hat sie zehn Konzertreisen ins Reich der Mitte unternommen. Der Austausch musikalischer Kulturen ist ein Geben und Nehmen. Immer mehr erschloss sie sich die chinesische Kunstmusik, die wiederum auf alten Volksliedern beruht, die jeder kennt. Aus ersten – für ausländische Interpreten obligatorischen- Zugabestücken, wurden ganze Recitals, ein Novum auch in Chinas heute west-affiner Konzertkultur. ARS Produktion war mutig genug, die Werke von Komponisten wie Wang Luobin, Wang Yu Shi ins Programm zu nehmen. Das Interview führte Stefan Pieper

Lydia Maria Bader
(c) Valentin Popa

Mich überrascht der melodiöse weiche Gestus vieler Stücke in Ihrem Programm Chinese Dreams. Wie empfinden Sie diese Kompositionen?
Alles wirkt auf Anhieb sehr vertraut. Da ist das Gefühl, man hat alles schon mal gehört. Es geht sofort ins Ohr. Ich hatte zuhause einen Tag lang Handwerker im Haus, während ich übte. Die haben abends die Melodien mitgesungen. So etwas passiert nicht gerade häufig bei klassischer Musik.

Ist das ein genereller Wesenszug der chinesischen Musik?
Es kommt drauf an. Diese Stücke basieren alle auf Volksliedern und haben eine unglaublich melodiöse Art. Eine echte moderne Musik ist in China erst nach der Kulturrevolution entstanden. Da gibt es heute kaum noch Unterschiede zu westlicher Musik.

Wie verhält es sich historisch mit Klaviermusik in China?
Es gab erstaunlich viel klassische Kultur in China. Viele Künstler und Musiker gingen nach China ins Exil. Hauptsächlich Russen, aber auch Juden anderer Länder, also gab es zuhauf jüdische Musiker in Shanghai. Hier entstand eine regelrechte Klavierhochburg. Dieser Umstand ist im Westen komplett unbekannt, wo China in der Regel erst nach der Kulturrevolution ins Bewusstsein kam. Dabei wurde das erste chinesische Klaviergeschäft schon im 19. Jahrhundert eröffnet. Missionare in Kirchen und Schulen haben die Entwicklung weiter vorangetrieben. Genauso wie in Europa gehörte es zum guten Ton, Klavier spielen zu können. Die Entwicklung reicht sogar noch weiter zurück. Schon im 17. Jahrhundert wurde das Klavichord und Cembalo nach China importiert.

Wie hat überhaupt die Kulturrevolution das Konzertleben und insbesondere die Klaviermusik in China geprägt?
Gerade beim Klavier war die Revolution besonders restriktiv, da dieses Instrument eine fremde westliche Kultur symbolisierte, die unterdrückt werden sollte. In der ganz strengen Phase war das Klavier sogar verboten. Es wurden sogar Klaviere beschlagnahmt. Trotzdem blieb dieses Instrument sehr populär und es kam größter Widerstand aus der Bevölkerung. Madame Mao, die Frau von Mao Tse Tung wurde Kulturbeauftragte und war treibende Kraft hinter vielen Restriktionen im Kulturleben. Sie hat allerdings Kompositionen, gerade Kollektiv-Kompositionen angeregt und auch beauftragt, zum Beispiel das Yellow River Concerto. Sie hat sich eingesetzt, das Klavier wieder zuzulassen. Trotzdem war es zwingend, dass in der Revolutionszeit alle Kompositionen nichts als die nationale Identität transportierten. Auf diese Vorgabe passen natürlich die Stücke dieser CD, die – im Fall der chinesischen Werke- meist auf bekannte Volkslieder zurückgehen.

Wie ist heute das Verhältnis zwischen westlicher und chinesischer Musik?
Die Chinesen nehmen westliche Einflüsse auf und machen sie zu etwas Eigenem. Üblicherweise verhält es sich so: Als westlicher Künstler ist es obligatorisch, immer ein chinesisches Stück als Zugabe zu spielen. So war es auch bei meiner ersten China-Tournee. Zwei Tage vorm Abflug landete ein Stück in meinem Email-Fach mit der Aufforderung, « Bitte das spielen!“ –  und das war auch noch reichlich schwer.  Es hat ein paar Jahre gedauert, mir diese Musik im Ganzen zu erschließen.

Wie haben Sie sich das Material erschlossen?
Meine Neugier wuchs. Was ist da sonst noch unterwegs? Ich stieß auf einen Sammelband und auch das Internet gab einiges her. Mittlerweile spiele ich diese Stücke mit viel Leidenschaft. Diese unglaublich atmosphärischen Melodien haben mich gewonnen, am allermeisten ‘Glowing Red Morning Star’, das letzte Stück auf dieser CD. Ich habe das gerne als Zugabe gespielt und ins Programm eingebaut. Es kam sehr gut an. Wenn die Leute hinterher singend aus dem Konzert rausgehen, darf ich annehmen, einen Nerv getroffen zu haben. Ich war ja auch sehr lange in China unterwegs, habe Land und Leute kennen und lieben gelernt. Ich wollte diese Kultur in Deutschland vorstellen.

Lydia Maria Bader
(c) Valentin Popa

Haben Sie schon Recitals mit dem Programm gespielt?
Ja, in China war Premiere. Auch die Chinesen waren echt mutig mit diesem Programm. Denn die haben immer einen Schwerpunkt auf klassisch-romantischem Repertoire, weil das dem Publikum am besten gefällt. Meine Agentur in China hat mich Chinese Dreams komplett spielen lassen und es kam sehr gut an.

Ist dieses Programm für Sie eine gewisse Antithese zum westlichen Kulturimperialismus? Gibt es in China überhaupt ein Bildungsbürgertum?
Die Volkslieder sind wahnsinnig bekannt, sie kann jedes Kind singen. Die Kunstmusik ist nicht jedem zugänglich, behaupte ich mal. Fast jeder weiß, wer Wang Luobin ist, den Arrangeur seiner Musik wird aber nur ein enger Bruchteil kennen.

Was haben Ihnen die Reiseerfahrungen persönlich gebracht?
Vor allem die Fähigkeit, einfach mal fünf gerade sein zu lassen. Man muss flexibel sein. Vieles hat sich geändert. Zu Anfang hatte das nichts mit normalem Konzertleben zu tun – vor allem in abgelegenen Provinzen. Egal ob in China, in Südamerika etc., man muss flexibel und tolerant sein, dann kann man viel mitnehmen.

Was war für Sie besonders eindrücklich?
Bei der ersten Tour im Südwesten waren über noch keine kulturellen Veranstaltungen üblich. Die Leute reisten 100erte Kilometer, um ein klassisches Klavierkonzert zu hören. Sogar zu einem Klavierabend von einer unbekannten Nicht-Chinesin. Im Jahr 2009 kam ich auf die Bühne, die haben sich über meine blonden Haare fast erschrocken und saßen da mit Leuchtstäben rum. Aber sie haben es sehr genossen, das war spürbar. Heute ist alles anders und es gibt kaum noch einen Unterschied zu westlichen Metropolen, mit derselben Spannung und Konzentration. Es gibt unglaublich tolle Konzertsäle in Millionenstädten, von denen man nie was gehört hat.

Sie sind ja schon in anderen Ländern aufgetreten, unter anderem mit dem Goetheinstitut. Wo war es am spannendsten?
In Bangladesh! Die Leute hatten gar keine Ahnung, was überhaupt einen klassischen Klavierabend ausmacht. Dass ich außerdem gar nicht meine eigene Musik, sondern die eines anderen Komponisten spiele, das haben die gar  nicht begriffen. Aber die Begeisterung sprengte alle Grenzen. Vor allem das war ein unglaubliches Erlebnis.

Sie haben schon eine andere CDs mit Länderschwerpunkten aufgenommen. Warum diese Fokussierung?
Ich habe mich immer schon für andere Kulturen interessiert. Das Vorgängeralbum ‘Music of the North’ entstand aber nicht, weil ich dort viel war. Ich habe einfach die Musik kennen und lieben gelernt. Jeder spielt gerne Grieg, denn diese Musik geht unmittelbar ins Herz. Im Studium habe ich Arvo Pärt kennen gelernt. Und solche Programme kommen immer gut beim Publikum an.

Ich höre aus Ihren Antworten heraus, dass Sie sich viele Gedanken um Ihr Publikum machen!
Absolut. Das ist doch am wichtigsten. Die holt man nur über Emotionen und Bilder im Kopf ab.

Überrascht Sie die lebhafte Resonanz zur neuen CD?
Ich hatte so etwas schon gehofft, weil ja die Konzertprogramme so gut eingeschlagen sind. Musik berührt einen sehr unmittelbar und man muss nicht groß um die Ecke denken. Ja, die Resonanz war bislang sehr gut. Die Aufnahme wurde von der Funk-Stiftung unterstützt, die sich für unbekanntere Musik engagiert. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Projekt rund läuft. Es gibt Projekte, da beißt man sich die Zähne aus. Hier hat es von Anfang an gut funktioniert.

War es schwierig, für dieses ungewöhnliche Projekt ein Label zu finden?
Ich bin zum Glück auf Ars Produktion gestoßen. Die sind sehr mutig beim Unterstützen neuer, unbekannter Programme. Ich schätze dieses Vertrauen sehr.

Sie haben zur Finanzierung des Projektes ein Crowdfunding gemacht? Sollte dies ein bewusster Gradmesser sein, wie die CD beim Publikum ankommt?
Crowdfunding ist in dieser Hinsicht schwierig, weil man mit seinem Kunstprojekt letztlich nicht aus der eigenen Filterblase rauskommt. Aber es ist gut, zu sehen, wo sind die Leute, die einen unterstützen. Ich bekomme dadurch schon einen Eindruck, wen ich mit meinem ‘Produkt’ wirklich abhole.

Wie erleben Sie die aktuelle Zeit?
Wenn wir Musiker keine Konzerte geben können, geht der Beruf dennoch weiter, und wir arbeiten zuhause. Ich übe viel und habe mein kleines Homerecording-Studio erweitert. Aber im Moment tut es mir sehr leid um die ganzen CD-Release-Konzerte. Ich hatte zwei Jahre lang alles vorbereitet, und dann fällt die Veröffentlichung auf einmal in eine Pandemie. Jetzt sind einige sehr schöne Projekte  weggefallen.

Haben Sie schon Zukunfts-Projekte?
Ja, sehr konkrete schon. Das Programm für die nächste CD ist schon in meinem Notizheft. Es wird diesmal nicht um ein Land gehen, sondern dafür um ein bestimmtes Thema. Mehr wird noch nicht verraten. Ich hätte schon Programme für die nächsten fünf CDs. Ich brauche jetzt Zeit und Muße, das neue Repertoire zu üben – und Geld, es aufzunehmen.

Hier geht es zu Pizzicato-Rezension der CD Chinese Dreams

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