Der deutsche Dirigent und Pianist Dirk Joeres bemüht sich seit vielen Jahren mit Konzerten und Schallplattenaufnahmen in innovativen Konzepten dem Publikum die Musik nahe zu bringen. Nach der Pandemie nehmen seine Aktivitäten wieder Fahrt auf. Remy Franck hat sich mit ihm unterhalten.

Dirk Joeres

Dirk Joeres, Sie haben zwei erfolgreiche und innovative Konzertkonzepte entwickelt, ‘KlassikSonntag!’ und ‘Klassik im Kloster’. Wie haben diese die Corona-Zeit überstanden?
Bei „Klassik im Kloster“ hatten wir das Glück, dass die Veranstaltung 2020 gerade noch vor dem Lockdown stattfinden konnte. In der Saison 2020/2021 musste die KlassikSonntag! -Reihe ganz ausfallen, aber nun geht es wieder aufwärts: das Publikum kehrt allmählich zurück, so dass wir inzwischen für die Konzerte und Einführungsmatinéen die gewohnte Auslastung haben.

Heute wird allgemein mit Kinder- und Jugendkonzerten sowie Einführungsvorträgen für das erwachsene Publikum vor Konzerten viel mehr für die Weiterbildung des Publikums getan als früher. Stellen Sie fest, dass sich dadurch die Rezeption der Musik verändert?
Das kommt ganz auf Qualität und Intensität von Einführungen an. Sicher ist es nicht sinnvoll, eine halbe Stunde vor Konzertbeginn schnell mal in eine Bruckner-Sinfonie ‘einzuführen’.
Was die Bemühungen um junges Publikum angeht: da bin ich eher pessimistisch. Junge Leute kommen einfach nur selten in Konzerte. Schuld daran ist im Wesentlichen eine verfehlte Kulturpolitik, die den schulischen Musikunterricht grob vernachlässigt und damit auch wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert, die der Beschäftigung mit Musik in jungen Jahren eine höchst positive Wirkung auf Sozialverhalten, Konzentrationsfähigkeit und vieles mehr bestätigen.

Nun wird aber in gewissen, vor allem politischen Kreisen Klassik immer noch als elitär angesehen.  Jedoch wird viel getan, um, abgesehen von einigen Veranstaltern, die Preise so zu halten, dass sich es jeder leisten könnte, in ein Klassikkonzert zu gehen. Elitär wäre demnach der falsche Begriff. Müsste man nicht eher von ‘Keine Lust auf Klassik’ oder ‘Berührungsangst’ sprechen?
Keine Lust auf Klassik und Berührungsängste haben letztlich ein und dieselbe Ursache: Mangel an Information bzw. Wissen über die Sache selbst. Dazu kommt die Scheu vor gewissen Ritualen (« darf ich zwischen den Sätzen einer Sinfonie applaudieren?“).
Und dann gibt es immer noch den Typus des Klassikkünstlers, der von sich aus dadurch Distanz schafft, dass er als Bewohner eines Elfenbeinturms auftritt und sich allenfalls über Fachfragen austauschen kann. Hier trifft der Satz zu: wer ausschließlich etwas von Musik versteht, der versteht auch davon nichts.

Dirk Joeres

Ich kenne viele Leute, die zwar in ein Konzert gehen, mir aber auch sagen, dass sie eigentlich das nicht verstehen, was da gespielt wird. Was muss man denn verstehen, um klassische Musik zu erleben, zu fühlen?
‘Verstehen’ ist im Zusammenhang mit Musik ein weiter Begriff: Sprachlich ausgedrückte Sachverhalte werden verstanden, aber sie können nicht durch Musik ausgedrückt werden. Diese mag gewisse sprachähnliche Eigenschaften haben, aber sie kommt ganz ohne Begriffe aus. Das Verstehen von Musik kann man daher wohl so definieren: es ist zum einen die subjektive Einfühlung des Hörers in die Emotionen, die von der Musik ausgehen. Zum anderen ist es das bewusste Erleben der musikalischen Gestalt: ihrer Entfaltung in der Zeit, der Beziehung ihrer Teile aufeinander usw.

Wird da nicht eine intellektuelle Komponente ins Spiel gebracht, und die Empfindungskraft vernachlässigt?
Das glaube ich nicht, denn beide Ebenen – das, was man fühlt und das, was man erkennt – sind miteinander verschränkt. Jede sinnvolle musikalische Gestalt ist in irgendeiner Weise von Ausdruck beseelt. Natürlich kann man Musik wie ein Tapetenmuster zusammensetzen: dann entfällt alles Emotionale, aber das Ergebnis ist Leere und Langeweile.

Oder scheuen sich die Leute vor dem Empfinden?
In unserer technikbestimmten Welt besteht diese Scheu durchaus. Wenn das Leben auf Daten und Zahlen reduziert ist, mag für viele Menschen der emotionale Bereich zu einer Art ‘no go area‘ geworden sein. Da möchte ich das Motto der Aufklärung – wage, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen – abwandeln: traue dich, den Gefühlsausdruck der Musik als seelische Bereicherung aufzunehmen.

Was ist denn Ihr Rezept, mit dem erfolgreich für Klassik geworben werden kann und mit dem Klassik gewinnbringend vorgestellt werden kann?
Indem man mit den Menschen ins Gespräch kommt. Musik ist, wie gesagt, eine Kunst ohne Begriffe. Sie entfaltet sich durch Rhythmus und Tonbeziehungen. Aber bestimmte Merkmale dieser musikalischen Genese, sei es die einer Sinfonie oder eines Variations- Zyklus, kann man durchaus sprachlich erfassen.
Ein kleines Beispiel: kürzlich habe ich in der KlassikSonntag! – Reihe Max Regers Variationen über ein Thema von Mozart dirigiert, ein heutzutage eher selten aufgeführte Werk, das für Publikum nicht ganz einfach ist. In der Einführungs-Matinée zum Konzert habe ich mit Beispielen am Klavier gezeigt, wie Reger sich mit jeder Variation zunächst melodisch und harmonisch von dem Mozart-Thema entfernt, es dann in seiner Originalgestalt dem Hörer in Erinnerung ruft, um es so am Schluss ganz frei variieren zu können.
Es geht mir also darum, musikalische Phänomene soweit als möglich sprachlich zu erfassen und dies anschießend durch Klangbeispiele zu untermauern. Das ist für mich der Weg zu einem aktiven Erleben und Verstehen von Musik. Denn wer mehr weiß, hört mehr, d. h.: fühlt und erkennt mehr.

Welches Thema wird ihr nächstes Festival  ‘Klassik im Kloster’ haben?
Es wird dem Leben und Werk von Felix Mendelssohn gewidmet sein.

Wie geht es weiter mit Ihrer CD-Reihe ‘Beethoven Today’ beim britischen Label Musical Concepts?
Wir haben gerade die Vierte Sinfonie von Beethoven aufgenommen, dazu wird dann die Pastorale kommen.

https://www.westdeutsche-sinfonia-leverkusen.de/klassiksonntag/

Und sicher nicht ‘wenn’s denn sein muss’….

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