Constantin Trinks
(c) Marco Borggreve

Herr Trinks, mit dem hr Sinfonieorchester haben Sie auf Ihrem neuen Album die dritte Sinfonie des Komponisten Wilhelm Petersen eingespielt – sehr seltenes Repertoire! Wie sind Sie darauf aufmerksam geworden?
Vor einigen Jahren kam die Wilhelm-Petersen-Gesellschaft mit der Anfrage auf mich zu, ob ich bei einem geplanten Aufnahmeprojekt verschiedener Petersen-Werke mitwirken wolle. Nach kurzer Beschäftigung mit der Musik des mir bis dato völlig unbekannten Komponisten, war mir klar: Hier geht es darum, einen Schatz zu heben, der bisher im Verborgenen geschlummert hat. Also eine echte Entdeckung!

Markiert das Album eigentlich die Welt-Ersteinspielung dieses Werks oder gab es vorher schon z.B. Rundfunkaufnahmen?
Von dieser Sinfonie, die seit 1935 nicht mehr im Konzert erklungen ist, gab es bislang kein Tondokument, auch keinen Rundfunkmitschnitt. Da sich vor unseren Aufnahmen leider auch keine Konzertaufführung realisieren ließ, bestand die besondere Herausforderung für uns darin, ein Werk lebendig werden zu lassen, das zuvor keiner von uns je gehört hatte. Natürlich musste mein Anspruch sein, eine maßstabsetzende Einspielung zu schaffen, die in der Lage ist, die Musikwelt von der außerordentlichen Qualität dieser Musik zu überzeugen. Ich meine, das ist uns gelungen.

Petersen hat Zeit seines Lebens fünf Sinfonien geschrieben. Sein großes Vorbild scheint Anton Bruckner gewesen zu sein. Niemand Geringeres als der musikhistorisch sehr bedeutende Dirigent Bruno Walter hat die Bedeutung und Originalität von Wilhelm Petersens Musik hervorgehoben, auch so berühmte Dirigenten wie Karl Böhm und Hermann Abendroth hatten sich der Musik Petersens angenommen – warum gerieten seine Person und sein Werk trotzdem so lange weitgehend in Vergessenheit?
Zum einen muss man sagen, dass Petersen grundsätzlich nicht gerade vom Glück gesegnet gewesen ist. Krankheit und zahlreiche persönliche Krisen zeichnen seinen Lebensweg. Noch gravierender sind freilich die Gründe, die aus der unrühmlichen deutschen Vergangenheit resultieren. Da er, im Gegensatz zu einem seiner beiden Brüder, ein NS-Regimekritiker war, wurde seine Musik Mitte der Dreißigerjahre mit Aufführungsverbot belegt. Das war dann das endgültige Aus, denn nach dem Krieg galt seine Musik der tonangebenden Musikerzunft dann bereits als altmodisch und rückwärtsgewandt: Natürlich ein ungerechtes Urteil, aber musikhistorisch erklärbar. Ich hoffe natürlich, dass sich durch unsere Aufnahme und das große Engagement der Wilhelm-Petersen-Gesellschaft diese großartige Musik dem Vergessen entreißen lässt.

In einem anderen Interview haben Sie hervorgehoben, dass die Sinfonie außerordentliche Herausforderungen an das Orchester stellt. Können Sie Beispiele nennen? Welche Instrumentengruppen sind besonders gefordert und welche Herausforderungen ergeben sich für Sie als Dirigent?
Die Sinfonie stellt höchste Ansprüche an die Ausführenden, und zwar an alle Instrumentengruppen. Sie verlangt ausgezeichnete Solisten in den Holz- und Blechbläsern sowie hervorragende Streichergruppen. Gleichzeitig ist sie sehr dankbar zu spielen, da die Musik bei aller Komplexität immer eine Sinnlichkeit besitzt und bereits beim ersten Hören verständlich für die aufgeschlossenen Zuhörer ist. Für den Dirigenten sind allein schon die Dimensionen der Sinfonie eine Riesenaufgabe. Petersen ist – genau wie Bruckner – ein Meister der musikalischen Form. Dieser bei einer Stunde Spieldauer gerecht zu werden und dabei auch alle Dramatik und Lyrik nicht zu kurz kommen zu lassen, ist eine Herausforderung.

Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk zustande? Ist es schwierig, einen Rundfunksender davon zu überzeugen, Geld in die Hand zu nehmen und Ressourcen bereitzustellen, um so seltenes Repertoire einzuspielen?
Da Petersen den größten Teil seines Lebens in Darmstadt, also in Hessen, verbracht hat, war der Hessische Rundfunk unser erster Ansprechpartner. Erfreulicherweise war man dort gleich von unserem Vorschlag sehr angetan. Die Planung zog sich allerdings aus verschiedenen Gründen ein wenig in die Länge. Man wird nun sehen müssen, ob sich die ursprüngliche Idee, alle oder zumindest die meisten der Hauptwerke Petersens einzuspielen, realisieren lassen wird oder ob man da auch andere Klangkörper mit einbeziehen müssen wird.

Die ersten Reaktionen der Musikkritik nach der Veröffentlichung Ihres Albums mit Petersens dritter Sinfonie fielen äußerst wohlwollend aus, jedoch war ab und zu auch der Vorwurf zu lesen, Petersens Musik habe – sozusagen im Verhältnis zum enormen Umfang des Werks – nicht genügend kompositorische Tiefe, um den Sinfoniker zu den ganz Großen seiner Zeit zu zählen. Wie entgegnen Sie dieser Kritik?
Nun ja, nicht jeder wird sich von Petersens musikalischer Sprache direkt angesprochen fühlen, so wie mir das geht. Das ist ja völlig in Ordnung. Aber das von Ihnen zitierte Urteil erscheint mir nicht fundiert, damit wird man der Größe und Qualität der Musik nicht gerecht. Und man darf schon fragen: Wer waren denn die ‘ganz Großen’ seiner Zeit, die echte Symphoniker waren? Ich meine, Petersen setzt die Tradition der großen Symphoniker wie Bruckner und Mahler fort, ohne diese zu kopieren. Er findet vielmehr zu einem eigenen Stil, der ihn über den denkbaren Vorwurf, seine Musik als „epigonal“ zu bezeichnen, erhaben macht.

Sie sind vor allem als Dirigent im Opernsektor bekannt, haben in den letzten Jahren aber auch viel beachtete Einspielungen im Instrumentalmusiksektor vorgelegt, beispielsweise die Einspielung von Hans Rotts E-Dur-Sinfonie mit dem Salzburger Mozarteum-Orchester oder die von der internationalen Musikkritik sehr gelobte Gesamtaufnahme aller Beethoven-Klavierkonzerte mit dem ORF Radio-Sinfonieorchester Wien und dem Pianisten Michael Korstick. Betrachten Sie so etwas als „Abwechslung vom Opernbetrieb“ oder möchten Sie ihre Beschäftigung mit der Sinfonik weiter ausbauen?
Ich habe mich von Anfang an als Opern- UND Konzertdirigent verstanden. In der Oper fühle ich mich mit Wagner, Strauss, Mozart, Verdi und Puccini ebenso zuhause wie im Konzert bei Beethoven, Bruckner, Mahler und Schumann. In den nächsten Jahren würde ich gerne die Konzerttätigkeit etwas mehr Raum in meinem Kalender einnehmen lassen, da die letzten Jahre mehr von der Oper geprägt worden sind.

Constantin Trinks
(c) Marco Borggreve

Sieht man sich ihre Diskografie an, so fällt auf, dass Sie eine besondere Vorliebe für die Musik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu haben scheinen: Man findet Veröffentlichungen mit Musik von Braunfels, Weinberger, Orff und nun Petersen: Was fasziniert Sie an der Musik dieser Epoche?
Die Musik dieser Zeit ist natürlich äußerst vielseitig und spannend. So viel war im Umbruch, so viele unterschiedlichste Stile haben sich gebildet. Das ist ein schier unerschöpflicher Reichtum. Bedingt durch die Geschichte ist ein Großteil dieser Werke ungerechterweise von der Bildfläche verschwunden. Mich dafür einzusetzen, betrachte ich als meine künstlerische Verantwortung, die ich gleichzeitig als sehr befriedigend empfinde.

Gibt es im Repertoire ein Stück, welches Sie gerne einmal dirigieren möchten, doch es hat sich bislang noch nicht ergeben? Wenn ja: Warum gerade dieses Werk?
Von Petersen würde ich definitiv gerne die Große Messe dirigieren, ein wirklich bedeutendes Werk! Allgemein gibt es eine ganze Reihe von Werken, die mir noch im Repertoire fehlen, und welche ich sehr liebe. Dazu gehören in der Oper zum Beispiel Humperdincks ‘Königskinder’ und Richard Strauss‘ ‘Die schweigsame Frau’. Im Konzertbereich wären da Bruckners Neunte, die Motetten von Johann Sebastian Bach und – ganz, ganz wichtig – die h-Moll-Messe!

Lang, zu lang oder lohnendes Engagement?

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