Grazyna Bacewicz: Sämtliche Symphonische Werke Vol. 2;  Ouvertüre für Orchester + Symphonie Nr. 2 + Variationen für Orchester + Musica sinfonica in tre movimenti; WDR Sinfonieorchester Köln, Lukasz Borowicz; # cpo 555660-2; Aufnahmen 03.2023, Veröffentlichung 01-02.2024 (53'05) - Rezension von Remy Franck

Grazyna Bacewicz (1909-1969) muss zweifellos zu den größten polnischen und den weltweit bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts gerechnet werden. Ich sage bewusst Komponisten, denn ‘Komponistinnen’ wäre einschränkend und würde ihrem Talent nicht gerechnet werden.

Das Programm dieser zweiten CD aus der Reihe ihrer Orchesterwerke unter der Leitung von Lukasz Borowicz beginnt mit der fulminanten Ouvertüre aus dem Jahre 1943, mit viel Begeisterung gespielt vom WDR-Sinfonieorchester.

Auch die 2. Symphonie ist ein dominant klanglich brillantes Werk mit drei spektakulären Sätzen und einem lyrischem langsamen Satz. Der Schwung und die Überzeugung, die hinter Borowicz’ Interpretation stehen, zeigen, wie sehr und wie leidenschaftlich der Dirigent an den Wert dieser nachhaltig wirkungsvollen Musik glaubt, und das WDR-Orchester schwelgt unter seiner Leitung in der grandiosen Orchestrierung.

Die neoklassisch bis neoromantisch gefärbten Variationen von 1957 zeigen die Entwicklung, welche die Komponistin zu der Zeit mitmachte. Obwohl nicht so offen brillant und effektvoll wie die beiden vorangegangenen  Werke sind diese Variationen mit ihrem charakteristischen Einfallsreichtum und der Ausdruckskraft der oft geheimnisvoll wirkenden Musik ein wunderbares Stück, das in der spannungsreichen Interpretation von Lukasz Borowicz aufblüht.

Musica sinfonica ist ein Beispiel für den späten, sonoristischen Stil der Komponistin: Aus einer oft neoklassischen oder neoromantischen Musiksprache entwickelte Bacewicz die Klangfarben- und Klangtechniken für ihre späteren Kompositionen, die auch den melancholischeren, dunkleren Aspekte ihres Charakters mehr Raum gaben.

Musica Sinfonica hat drei Sätze – Tesi, Dialogo, Gioco – welche, wie die Musikwissenschaft festhielt, eine bestimmte Programmidee verfolgen: « Der erste, kürzeste Satz formuliert einige Thesen, die dann in Dialogen entwickelt und im abschließenden Gioco aufgelöst werden. »

Die Klangsprache des Stücks mag im Vergleich zu den vorangegangenen Stücken viel radikaler und moderner wirken, sie bleibt aber in einer einzigartigen und hier wirkungsvollen Atmosphäre der Spannung unmittelbar erfassbar. Lukasz Borowicz hat das Klima des Stücks vollauf erfasst und vermeidet jede klangliche Schärfe, die auf den Hörer nervös wirken könnte.

Im zweiten Satz steigt die Spannung kontinuierlich an, in einer Atmosphäre die zwischen Traurigkeit, Verinnerlichung, Angst und Drama schwankt. Im abschließenden Gioco bleibt die Trostlosigkeit zunächst erhalten, aber dann kommen direkt groteske Elemente hinzu und man fühlt sich an Shostakovich erinnert. Auf der Webseite der Komponistin heißt es, Gioco sei die « Rückkehr aus einem dunklen Traum in eine bekannte Welt – sich überschneidende kurze Passagen, sich allmählich verschiebende Motive und motivische Korrespondenz zwischen den verschiedenen Instrumentengruppen, die dem Ganzen dramatische Konsistenz verleiht. » In diesem Satz ist die instrumentale Virtuosität des Orchesters beachtlich.

Und so ist denn diese zweite Folge der Orchesterwerke von Bacewicz wiederum etwas ganz Besonderes und höchst Empfehlenswertes.

Grazyna Bacewicz (1909-1969) must undoubtedly be counted among the greatest Polish and the world’s most important composers of the 20th century. I say composers deliberately, because ‘female composers’ would be restrictive and would not do justice to her talent.

The program of this second CD from the series of her orchestral works under the direction of Lukasz Borowicz begins with the brilliant Overture from 1943, played with great enthusiasm by the WDR Symphony Orchestra.

The Symphony No. 2 is also a dominantly brilliant work with three spectacular movements and a lyrical slow movement. The verve and conviction behind Borowicz’s interpretation show how much and how passionately the conductor believes in the value of this enduringly effective music, and the WDR orchestra revels in the grandiose orchestration under his direction.

The neoclassical to neoromantic variations from 1957 show the development that the composer was undergoing at the time. Although not as overtly brilliant and effective as the two preceding works, these Variations, with their characteristic inventiveness and the expressive power of the often mysterious music, are a wonderful piece that blossoms in Lukasz Borowicz’s exciting interpretation.

Musica sinfonica is an example of the composer’s late, sonoristic style: from an often neoclassical or neoromantic musical language, Bacewicz developed the timbral and tonal techniques for her later compositions, which also gave more space to the more melancholic, darker aspects of her character.

Musica Sinfonica has three movements – Tesi, Dialogo, Gioco – which, as musicologists have noted, follow a specific program idea: « The first, shortest movement formulates some theses, which are then developed in dialogues and resolved in the concluding Gioco. »

The tonal language of the piece may seem much more radical and modern compared to the previous pieces, but it remains immediately tangible in a unique and effective atmosphere of tension. Lukasz Borowicz has fully grasped the climate of the piece and avoids any sharpness that could have a nervous effect on the listener.

In the second movement, the tension rises continuously, in an atmosphere that oscillates between sadness, internalization, fear and drama. In the concluding Gioco, the desolation remains at first, but then grotesque elements are directly added and one is reminded of Shostakovich. According to the composer’s website, Gioco is a « return from a dark dream to a familiar world – overlapping short passages, gradually shifting motifs and motivic correspondence between the different instrumental groups that lends dramatic consistency to the whole. » The orchestra’s instrumental virtuosity is remarkable in this movement.

And so this second set of orchestral works by Bacewicz is once again something very special and highly recommendable.

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