Gustav Mahler: Symphonien Nr. 1, 5 and 9; Moscow Philharmonic Orchestra, Kirill Kondrashin, Tatarstan National Symphony Orchestra, Alexander Sladkovsky; 7 CDs Melodiya MELCD1002475; Aufnahmen 1967, 1969, 1974 (Kondrashin), 2016 (Sladkovsky), Veröffentlichung 27/01/2017 (395') – Rezension von Remy Franck

‘Mahler hoch zwei’ nennt sich dieses Set und stellt historische Mahler-Aufnahmen mit Kondrashin und den Moskauer Philharmonikern jenen von Alexander Sladkovsky mit dem Staatlichen Symphonieorchester der Republik Tatarstan gegenüber.

In der Ersten Symphonie könnte der Kontrast zwischen der in 48 schnellen Minuten dirigierten Aufnahme Kondrashins und der 57 Minuten langen Einspielung von Sladkovsky nicht größer sein. Während dieser die Stimmungen ausreizt und viel Schönmalerei betreibt, ist Kondrashin hypernervös und sehr darauf aus, das Karikaturale und Groteske maximal zum Ausdruck zu bringen. Wo Kondrashin sehr direkt und packend musizieren lässt, bleibt Sladkovsky oft bloß routiniert, manchmal langweilig, nicht selten manieriert, aber stellenweise auch wirklich packend. Gegenüber der durchgehend hoch intensiven Kondrashin-Einspielung hat diese Interpretation aber keine Chance.

In der Fünften bewährt sich Sladkovsky weitaus besser. Das ist leidenschaftliches Musizieren ohne Exzesse, hin und wieder etwas grün und frisch, meistens erfüllt und, wenn notwendig, auch nachsinnend-ernst. Ein absoluter Höhepunkt ist das hingebungsvoll gespielte Adagietto, voller Charme und voller Poesie, in dem die elfeinhalb Minuten lang gut tun.

Kondrashin war einer der Mahler-Apostel. Er setzte sich in den Sechziger- und Siebzigerjahren sehr für den österreichischen Komponisten ein. Es gelingt ihm eine kontrastreiche Interpretation, die Mahler schärft. Er ist mit 63 Minuten erheblich schneller als Sladkovsky mit 71’30.

Er legt die Symphonie in ihren beiden ersten Teilen in Schritten auf: trauernde, zögernde Schritte, strenge Schritte, absterbende Schritte, bis dann in den Schlusstakten des Scherzos nach allen Brüchen, Aufschreien und Verzweiflung alle Zweifel weichen. In diesen Schlusstakten fällt die Entscheidung, den (musikalischen) Liebesbrief ‘Adagietto’ zu schreiben. In nur 8’14 fließt der Satz mit Streicheln und Küssen, in völliger Verzückung und in aufrauschender Leidenschaft an uns vorbei den Weg bereitend für ein gut gelauntes und hinreißendes Finale.

Auch in der Neunten Symphonie gibt sich Kondrashin recht energisch. Die drei ersten Sätze werden zur Rohkost, sehr direkt, sehr grell und eigentlich ganz modern. Mit einem großen Seufzer, selbstmildleidbetont, beginnt der Finalsatz, der sich aber danach mit sehr positivem und zuversichtlichem Charakter weiterentwickelt.

Den 74 Minuten von Kondrashin stellt Sladkovsky satte 81 Minuten gegenüber. Bei ihm wird das, was bei Kondrashin dezidiert wirkte, eher zögernd, mit bedeutungsschwangeren Gesten, und dadurch irgendwie pathetisch und aufgeblasen. Ganz anders wirkt auch bei ihm das Finale, anfangs eher verinnerlicht, im restlichen Verlauf zumindest über weite Strecken abgeklärt und fast nüchtern, so als habe er Mahlers Anweisung ‘zurückhaltend’ nicht als Tempoangabe, sondern als Ausdrucksvorgabe aufgefasst.

Die Frage stellt sich nun: was bringt diese Box dem Musikfreund? Nun, der unmittelbare Vergleich zweier sehr unterschiedlicher Dirigenten ist gewiss nicht uninteressant. Zum allgemeinen Mahler-Bild tragen die Interpretationen jedoch nichts Neues bei. Und beide Orchester sind spieltechnisch gesehen nicht auf jenem Level, das man bei den Referenzeinspielungen der einzelnen Symphonien finden kann. So erweist sich dieses Set am ehesten als ein Sammlerstück für eingeschworene Mahler-Fans.

Two very different accounts of three Mahler symphonies, the one recorded 50 years ago by Kondrashin, the second from 2016 by Sladkovsky, allow an interesting comparison. While Kondrashin is mostly very intensive und nervous, Sladkovsky takes often a very slow pace with various degrees of intensity and tension.

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