
Strudel der Zeit, so heißt übersetzt die späte Komposition Vortex Temporum von Gérard Grisey und bezeichnet die Entstehung einer Formel aus sich drehenden und wiederholenden Arpeggien und ihre Metamorphose in verschiedenen Zeitfeldern. Das Werk ist der Spektralmusik zuzurechnen, bei der kompositorische Entscheidungen auf sonografischen Darstellungen, mathematischen Analysen von Klangspektren oder mathematisch erzeugten Spektren beruhen.
Vortex Temporum wurde 1994-96 für Klavier und fünf Instrumente komponiert. Das Werk besteht aus drei durch kurze Zwischenspiele miteinander verbundenen Sätzen. Das harmonische Gesamtbild, im Kern ein verminderter Septakkord, wird mit Verschiebungen einzelner Töne bis hin zu kompletten Obertonreihen verfremdet. Im Klavier sind vier Töne skordiert gestimmt. Griseys Sinn für Klangdramaturgie, auch in der Großform überzeugend, tritt hier noch einmal besonders deutlich zutage. Kurze Zwischenspiele mit Luft- und anderen Geräuschen und Klangschatten färben die unfreiwillige Stille, die entsteht, wenn Musiker und Zuhörer zwischen zwei Sätzen Atem holen.
Diesen Musikklassiker hat das Ukho Ensemble Kyiv eingespielt. In ihrem Spiel machen sie die Absicht deutlich, Zeit auf verschiedene Art zu erleben. Die drei Sätze spiegeln die « Zeit der Vögel, der Menschen und der Wale », so der Komponist. Maximale Verdichtung, dann normales, also menschliches Zeitempfinden und abschließend die mikroskopisch vergrößerte Beobachtung von Details machen normalerweise Unzugängliches hörbar. Das Ensemble lebt selber in einem Kriegswirbel, der seinen gemeinsamen zeitlichen Rahmen unterbricht und die tägliche, sinnliche Wahrnehmung der Zeit verändert.
Die sechs Mitspieler des aus bis zu siebzehn Solisten bestehenden Ukho Ensembles Kyiv hat sich unter der Leitung von Luigi Gaggero auf neue Musik spezialisiert. In Vortex Temporum hat nicht nur die Pianistin am Ende des ersten Satzes virtuose Aufgaben zu bewältigen, auch Flötistin, Klarinettist und das Streichtrio sind in der Dreiviertelstunde hohen Ansprüchen ausgesetzt. Ganz unbeeindruckt davon nehmen sie den Hörer mit auf eine spannende Reise durch Höreindrücke, die mehr auslösen als abschrecken. In einer so konsistent dargebotenen Interpretation bietet das Stück jedem einen wegweisenden Höreindruck.
Whirl of Time is the translated title of Gérard Grisey’s late composition Vortex Temporum. It describes the creation of a formula of rotating and repeating arpeggios and their metamorphosis in different time fields. The work can be classified as spectral music, in which compositional decisions are based on sonographic representations, mathematical analyses of sound spectra or mathematically generated spectra.
Vortex Temporum was composed in 1994-96 for piano and five instruments. The work consists of three movements linked by short interludes. The overall harmonic picture, essentially a diminished seventh chord, is distorted with shifts of individual notes up to complete overtone rows. In the piano, four notes are tuned in scordatura. Grisey’s sense of sound dramaturgy, which is also convincing in large-scale form, is once again particularly evident here. Short interludes with air and other noises and sound shadows color the involuntary silence that arises when musicians and listeners catch their breath between two movements.
This music classic was recorded by the Ukho Ensemble Kyiv. In their playing, they make clear their intention to experience time in different ways. The three movements reflect the “time of birds, people and whales”, according to the composer. Maximum compression, then normal, i.e. human, perception of time and finally the microscopically magnified observation of details make the normally inaccessible audible. The ensemble itself lives in a war vortex that interrupts its common temporal framework and changes the daily, sensory perception of time.
The six members of the Ukho Ensemble Kyiv, which consists of up to seventeen soloists, specializes in new music under the direction of Luigi Gaggero. In Vortex Temporum, it is not only the pianist who has to master virtuoso tasks at the end of the first movement; the flautist, clarinetist and string trio are also exposed to high demands during the three quarters of an hour. Completely unimpressed by this, they take the listener on an exciting journey through auditory impressions that are more triggering than daunting. In such a consistent interpretation, the piece offers everyone a groundbreaking listening experience.