Im Großen Saal des Musikvereins Wien präsentierten die Wiener Philharmoniker einen Abend, bei dem eine noch der Sturm und Drang Zeit zuzurechnende Symphonie von Haydn ein Konzert eröffnete, das sonst nur deutlich modernere Töne bot. Uwe Krusch erlebte für Pizzicato, wie der Pianist Igor Levit das Klavierkonzert von Thomas Adès interpretierte. Letzterer war auch als Dirigent des Abends aktiv.
Die Symphonie Nr. 64 in A-Dur von Haydn, mit nur durch zwei Oboen und zwei Hörner ergänzten Streichern spielten die Philharmoniker in reduzierter symphonischer Besetzung. Mit beredter Artikulation, im Largo ausgeprägt langsam, im Menuett sprunghaft, in den Ecksätzen mit frischen, aber nicht überzogenen Tempi die Klangrede formend zeigten sich die Instrumentalisten bestens auch auf diese Musik eingestellt.
Dirigent Adès führte ohne Partitur und ohne Taktstock durch dieses Werk, wobei sich schon hier seine gestisch malende Dirigierweise zeigte, deren Befolgung von den Musikern viel Aufmerksamkeit abverlangte.
Die als ‘Tempora mutantur’ bekannte Symphonie, also anspielend auf sich ändernde Zeiten, zeigte noch die Spuren der früheren noch mehr experimentellen Kompositionsweise von Haydn, wie sie noch im Piano – Forte Beginn als Frage und Antwort zu erleben war. Gleichzeitig schlug dieser Titel die Brücke zu den folgenden Werken aus neuen Zeiten.
Keine zehn Jahre alt ist das Konzert für Klavier und Orchester von Adès, dass an diesem Abend von Igor Levit als Pianisten gespielt wurde. Dieses hohe Anforderungen an die Interpreten stellende Werk zeigte sich in der klar erkennbaren Handschrift von Adès in der Fortsetzung der Tradition von Klavierkonzerten. Trotz der modernen Textur eröffnete es sich den Ohren der Zuhörer unmittelbar. Dieses hochvirtuose Werk forderte nicht nur einen entsprechend fähigen Pianisten, sondern bot auch dem Orchester allerlei spannende Betätigungsmöglichkeiten, die einen hochkonzentrierten Einsatz und packend formulierendes Spiel erforderten. Das war bei den Wiener Philharmonikern ohne Frage gewährleistet, auch wenn sie dieses Stück als Erstaufführung aufs Programm gesetzt hatten.
Levit hatte sichtlich Freude an dem pianistisch ausgerichteten Werk und konnte mit leichter Hand den Parcours der Herausforderungen bewältigen. Da war er intellektuell gefordert, ließ die Funken sprühen und durfte er auch Pranke zeigen. Swingende an Musicals erinnernde Elemente gab es auch. Ausgehorchte Exerzitien waren im Fluss der Musik eingebettet.
Bei seiner Komposition und auch im Rest des Programms führte Adès mit Partitur und Taktstock durch das von ihm undogmatisch aus diversen Klangwelten zusammengebaute Stück, für das er sich einmal mehr als Meister der suggestiven Lautmalerei, aber auch der erstaunlichen Orchestrierung erwiesen hatte.
Im Abschluss an das Konzert umarmte Levit den Komponisten und den Konzertmeister und dankte dem ganzen Orchester für das hochambitionierte Zusammenwirken sowie dem Publikum mit einer Zugabe.
Als weitere Erstaufführung für das Orchester erklang ‘Petite musique solennelle en hommage à Pierre Boulez’ von György Kurtág. Der Ungar fand seinen Stil als Meister des Minimums an Tönen mit einem Maximum an Ausdruck. Mit diesem Wissen wirkt die Petite musique solennelle mit etwa sieben Minuten beinahe eloquent und opulent. Diese ‘Kleine feierliche Musik’ zum 90. Geburtstag von Boulez ließ nach einer kurzen Eröffnungsgeste das Orchester in vier Segmenten spielen, wobei Kurtág Instrumente aus seiner Heimat wie das Hackbrett Cimbalom oder das Bajan-Knopfakkordeon ergänzend nutzte. Nacheinander präsentierten die Teilgruppen musikalische Fragmente, bevor sie zum Höhepunkt gemeinsam erklangen. Das Orchester sicherte dem kurzen Werk eine intelligente und durchsichtige Interpretation zu, die dieses beredte Werk beispielhaft beleuchtete.
Eine ebenso überzeugende Darstellung fand Messagesquisse für Violoncello solo und sechs Violoncelli von Pierre Boulez. Das dem Mäzen Paul Sacher zum 60. Geburtstag gewidmete Stück entfaltete sich ausgehend von der aus den Buchstaben des Namens Sacher gebildeten ‘Melodie’ in sechs Abschnitten zuzüglich einer großen Solokadenz. Die sieben beteiligten Cellisten des Orchesters, von Adès koordiniert, gaben der Komposition eine farbenreiche Ausgestaltung, die von flüsternden bis zu kraftvollen Sequenzen reichte.
Taras Bulba, eine Rhapsodie für Orchester nach einer von Nikolaj W. Gogol bearbeiteten Sage von Leos Janacek, erklang zum Abschluss des Abends. In der Kombination moderner Orchesterfarben mit volksliedhaften Elementen schuf Janacek eine Symbiose aus Tradition und Fortschritt. Inhaltlich war das Stück nichts für schwache Nerven. Und auch musikalisch war das Werk mit seinem gerade auch im Schlagwerk kraftvoll besetzen Orchester fordernd.
Um seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen und ein Statement zu setzen, vertonte er die Erzählung um das freiheitsliebende ukrainische Volk vom unteren Lauf des Dnepr, die zum Gründungsmythos der Ukraine gehört. Der Blick auf die aktuelle weltpolitische Lage würde die panslawische Idee des Komponisten konterkarieren. Vom Stück blieb, die visionäre Kraft dieser enorm plastischen Musik mit aller ihrer Wucht in der präzisen und auch die großen Ausdruckswerte abbildenden Interpretation durch das Orchester zu genießen.
Am Ende ließ Adès einigen der in der Aufführung solistisch Hervorgetretenen gesonderten Applaus zukommen, so Konzertmeister Honeck für seine Soli, wie Adès durch eine Geste andeutete. Der sonst mindestens übliche Handschlag mit dem Konzertmeister und ggf. weiteren Musikern der ersten Reihe oder gar andere Höflichkeitsgesten unterblieb. Man konnte annehmen, dass Adès und die Wiener Philharmoniker keine Freunde geworden waren. Trotzdem gelang dank der Professionalität der Beteiligten ein ausdrucksreiches und abwechslungsreiches Musikerlebnis.