Nur selten im Konzerthaus zu hörende und in zwei Fällen trotzdem bekannte Werke hatten die Wiener Symphoniker im aktuellen Zykluskonzert anzubieten. Wie Oksana Lyniv dirigierte und wie Geiger Gil Shaham seine Soloaufgaben bewältigte, berichtet Uwe Krusch für Pizzicato.
Wie Dirigentin Lyniv stammt auch der Komponist Maxim Kolomiiets aus der Ukraine. Eines seiner Werke ist die Oper Espenbaum. Aus dieser Oper war die gleichnamige Schlussszene zu hören. Darin philosophiert der Held instrumental über die ungelösten und unversöhnbaren Probleme seit seiner Jugend, die ihn schließlich in den Tod treiben.
Dieses 2020 entstandene Werk entfaltete sich, der Situation des Erzählers entsprechend ebenso mit elementarer Wucht wie auch sphärisch verklärten Abschnitten. Mit einer zeitgenössischen und doch auch nicht überfordernden Textur bot das Stück in Anwesenheit des Komponisten dem Orchester zahlreiche Möglichkeiten, sich solistisch und auch im Ensemble hören zu lassen. Oksana Lyniv konnte sich der vollen Aufmerksamkeit der Musiker sicher sein. Dieses erstmals im Konzerthaus aufgeführte Werk hinterließ etliche eindrucksvolle Höreindrücke, wenn auch vielleicht erst wiederholtes Hören die Einheit des Werkes näher bringen würde.
Für das Konzert für Violine und Orchester von Erich Wolfgang Korngold kam zusätzlich Gil Shaham auf die Bühne. Dieser erscheint unter vielen Solisten vielleicht als der Distinguierteste, ist er doch einer der wenigen, die immer sehr elegant und noch mit weißem Hemd und Fliege zum Anzug auftreten. Bei diesem Konzert war er aus zwei Gründen in seinem Element. Zum einen hatte Korngold bei der Komposition aus seinen für Hollywoodfilme geschaffenen Titeln etliche eingebaut. Zum anderen hatte Korngold selber das Werk eher für einen Caruso als für einen Paganini verstanden. Diese Melange bot Shaham alle Möglichkeiten, seine Qualitäten zu entfalten. So zeichnen sich seine Darbietungen immer durch klangschönste Gestaltung und großen Ton aus. Schärfen und spitze Ecken waren noch nie seine Ziele. Und die für eine schmelzende Stimme und filmische Akzente geschaffene Musik bot die beste Möglichkeit, diese Vorlieben auszukosten. So entfaltete Shaham ein opulentes Bild feinster Ausgestaltung, bei dem ihm öfter auch ein Lächeln über die Lippen huschte.
Lyniv und das Orchester boten ihm dafür den passenden Hintergrund. Abgesehen von kleinen Differenzen im Zusammenspiel wurde der gemeinsame Weg eindrucksvoll und strahlend beschritten. Der schon nach jedem Satz einsetzende Applaus kulminierte am Ende, so dass Shaham nicht zögerte, eine Zugabe zu gewähren. In dem Isolation Rag von Scott Wheeler bot er eine für den Konzertsaal gedachte, in der Covid-Pandemie aber online bekannt gewordene Komposition. Diese enthält kleine Zitate aus den Konzerten von Mendelssohn sowie eines aus dem von Brahms. Damit zeigten Wheeler und jetzt Shaham klingend ein bittersüßes Porträt eines Solo-Geigers, der in seiner Wohnung für sich selbst spielt und sein Orchester vermisst.
Das erste Klavierquartett von Johannes Brahms liegt für eine Interpretation mit einem Orchester in der Bearbeitung von Arnold Schönberg vor. Vereinfacht gesagt hatte Schönberg die verdeckten Details zeigen wollen. Dafür hatte er die Streicherstimmen über weite Strecken belassen und den Klavierpart des Quartetts im Orchester verteilt. Doch er machte auch Anpassungen in seinem Sinne. So ließ er eine Melodie in Teilen von mehreren Instrumenten spielen, um durch die angepasste Farbe einen Abschnitt hervorzuheben.
Für die Wiener Symphoniker bot sich hier, nach der Auseinandersetzung mit den Symphonien am Saisonbeginn die Möglichkeit, ein seltener gehörtes Werk von Brahms zu beleuchten. Dabei führte Oksana Lyniv klar durch ihre interpretatorischen Gedanken. Am Beginn klang Brahms sehr norddeutsch streng, spätestens im Rondo zingarese lenkte sie dann auf den beschwingt musikantischen Charakter über. Hatten die Symphoniker im ersten Satz gerade noch in den dicker instrumentierten Passagen die schon in den Symphonien zu erlebende geringe Durchsichtigkeit erneut praktiziert, so boten sie insbesondere in den Mittelsätzen, eine luftigere und gut strukturierte Umsetzung an. Waren vielleicht auch mal die Bläser eher am Ende des Schlages und nicht am Anfang zu hören, was den Eindruck eines Vertändelns nach sich zog, und hatte man in den ersten Geigern ab dem dritten Pult den Eindruck, verbeamtete Mitwirkende zu haben, so blieb es bei Kleinigkeiten.
Dirigentin und Orchester arbeiteten ebenso verständlich wie charakterstark die aus dem Quartett bekannten Elemente heraus. Und gleichzeitig loteten sie die aus der Orchestrierung erwachsenden neuen Möglichkeiten wie bei einer Symphonie aus. So hinterließ ihre Interpretation einen verständigen Blick auf die Komposition und auch auf die Ideen von Schönberg. Eine Anerkennung für die Dirigentin zeigte das Orchester jedoch nicht.