Vilde Frang

Das SWR Sinfonieorchester war mit seinem Noch-Chefdirigenten Teodor Currentzis zu Gast im Wiener Konzerthaus. Über ihren Auftritt zusammen mit der Geigerin Vilde Frang berichtet Uwe Krusch für Pizzicato.

Zwei Werke kamen an diesem Abend zu Gehör, von denen das Violinkonzert von Alban Berg zu den herausragenden Stücken vom Anfang des 20. Jahrhunderts gehört. Im Andenken an die verstorbene Manon Gropius hatte Berg das Werk als Requiem für sie, aber wohl gleichzeitig für sich selber verfasst. Und dass diese Musik voller Trauer über das Ableben einer 18-Jährigen steckt, lässt sich spätestens im zweiten Teil hören, der den Todeskampf schildert, während zunächst noch unbeschwerte Jugend zu hören ist.

Mit einem fast zughaften Herantasten an die Akkorde des Beginns eröffnete Orchester und Dirigent das Werk zurückhaltend, worin sich die Solistin einfügte. Doch schnell bot die dodekaphonische Partitur den Mitwirkenden Raum für deutliche Bekundungen. Ist dieses Werk doch auch in der Tradition großer Violinkonzerte hörbar, so bot das SWR Symphonieorchester der Solistin doch keine glatte Oberfläche, sondern eine anspruchsvolle, von tiefen Schrunden gezeichnete und mit Spitzen besetzte Reizfläche, in der sich Vilde Frang behaupten musste. Nun gehört sie zu den großen ihrer Zunft und ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Aber sie musste die Aufmerksamkeit für ihr Spiel mit dem Orchester teilen und sich in das Geschehen einbetten. Ohne die Solostimme zuzudecken, wusste das Ensemble sich trotzdem so selbstbewusst darzustellen, dass die Geige nicht über allem schweben konnte, sondern sich ihren Platz schaffen musste. Das konnte man auch an den Unisono Stellen von Frang und ersten Violinen merken, da sie sich dem Spiel des Tuttis anpasste und nicht anders herum.

Frang entwickelte das Werk mit tiefem Ausdruck abhold jeder nur äußerlichen Darstellung, wobei sie sich auf ihre technischen Fähigkeiten verlassen konnte. Dabei gelang es ihr, das Publikum trotz der musikalisch nicht einfach zu hörenden Textur mit einer mehr die Trostlosigkeit als die Verbitterung zeigenden Interpretation so zu fesseln, dass das Auditorium ihr gebannt lauschte.

Sowohl bei Berg wie auch bei der danach zu hörenden 8. Symphonie von Dmitri Shostakovich zeigte das seit 2016 bestehende SWR Symphonieorchester, aus den beiden früheren gemeuchelten Orchestern beim Sender entstanden, dass es eine hochentwickelte Spielkultur sein Eigen nennen darf. Denn trotz aller Dichte und Masse in manchen Phasen blieb der Gesamtklang erfreulicherweise strukturiert und durchhörbar und bildete keinen matschigen Geräuschklumpen. Andererseits wusste der Ditrigent sein Kollektiv auch so zu lenken, dass die Verweilpunkte mit extrem zurückgenommener Lautstärke geflüstert wurden. War das im Berg noch nicht so klar geworden, so ergaben sich in der Symphonie mehrere Möglichkeiten, auch diese Fähigkeit zum leisesten und trotzdem intensiven Ausdruck zu demonstrieren.

Wie bei allen Werken, insbesondere den Symphonien, von Shostakovich kann man immer die Frage diskutieren, ob das Werk nur die gezeigte Oberfläche oder auch mindestens eine darunterliegende Ebene hat. Dieser Gattungsbeitrag wird üblicherweise als Mahnung und Erinnerung für die Opfer der Gewalt gehört, während die sowjetische Musikologin Marina Sabinina andere auch « den Rausch einer selbstzufriedenen Soldateska“ bzw. « das Perpetuum mobile einer Menschenvernichtungsmaschine“ gehört hatte. In beiden Deutungen macht es diese Musik meines Erachtens aber auch aus, diese Entgleisungen und Matern hörbar zu machen. So darf die Musik nicht nur klanglich schön sein, sondern muss diese andere Ebene durch technisch artikulierte Mittel auch zeigen. Das gelang vor allem bei den Holzbläsern mit kraftvoll und schrill herausgetriebenen Tönen. Die Streicher dagegen, beispielsweise in der Toccata, beginnend mit den Bratschen und dann von den ersten Violinen übernommen, boten feinste und genaueste Perpetuum mobile Gestaltung. Aber ein Kratzen oder Fauchen mit den Bögen hätte hier noch die versteckte Botschaft zeigen können. Insofern fehlte teilweise diese Auslegung. Jedenfalls habe ich die Aufführung dieser Symphonie 1994 in Oslo mit den dortigen Philharmonikern unter Semyon Bychkov noch viel mehr mit Emotionen bestückt in Erinnerung.

Von diesem Aspekt abgesehen folgte das SWR Symphonieorchester seinem Chef auch ohne Dirigierstab, bis auf kleine von ihm auch sogleich angemerkte Momente der Unkonzentriertheit, bestens. Wenn auch manche Fingerspielereien an den inzwischen im Westen verbrannten anderen russischen Dirigenten denken ließen, so musste man doch attestieren, dass diese Bewegungen nicht nur Kapriolen waren, sondern bildliche Suggestionen für die Spielweise. Insofern hatten sie eine Bedeutung und waren somit vielleicht nicht nötig, aber gut vertretbar. Alles in allem war eine fantastische Deutung dieses Werkes zu hören, was auch den verdienten Beifallssturm nach sich zog.

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