Robin Ticciati
(c) Benjamin Ealovega

Gleich mit einem Spätwerk des Komponisten eröffneten die Wiener Symphoniker ihren Zyklus im Wiener Konzerthaus. Robin Ticciati hatte nur ein umfangreiches Werk angesetzt, nämlich ‘Das Lied von der Erde’ von Gustav Mahler. Uwe Krusch hat sich das Konzert angehört.

Das nach seinem forcierten Rücktritt als Hofoperndirektor in Wien, dem Tod seiner Tochter Maria und der Diagnose eines Herzklappenfehlers entstandene ‘Lied von der Erde’ steht damit in besonderer Beziehung zum Leben von Mahler und wurde von ihm selbst zu diesem Zeitpunkt als sein persönlichstes Werk gesehen.

In der Aufführungsgeschichte finden sich für die beiden Gesangsstimmen verschiedene Bestzungen. In den beiden Auftritten in Wien übernahmen die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill und der US-amerikanische Tenor Michael Spyres die jeweils drei Gesangsabschnitte. Die musikalische Leitung hatte Robin Ticciati inne.

Dieses trotz des in eine andere Richtung denken lassenden Titels insgesamt als Symphonie zu betrachtende Werk ließ Ticciati mit großer orchestraler Durchsichtigkeit spielen. Die instrumental dicht besetzten Passagen wurden zwar auch gezeigt. Aber Ticciati gelang es, auch hier Strukturelles erkennbar zu halten. Das waren sehr überzeugende Momente auf der einen Seite, bei denen vor allem die Bläser sehr gehobene Orchesterkultur zeigten. Im zweiten und dritten Satz ließ er dagegen auf der anderen Seite die leisen Passagen in einer Weise fast unhörbar leuchten, wie es selbst für ein Kammerensemble schwierig gewesen wäre. Hier konnten vor allem die Streicher eine dezidierte Entwicklung des Klangs trotz sehr leisen Spiels zeigen.

Ticciati schien bei seiner Herangehensweise alles in allem eher die Idee einer fließenden Darstellung des Gefüges als die Zusammenfügung von Elementen im Kopf zu haben. Zwar ließ er die Mahler nicht gerade seltenen Tempoänderungen spielen, kostete sie aber nicht an oder über die Grenzen aus. So ließ er die musikalischen und textlichen Konturen beieinander und nicht zerfasern.

Wie fügten sich die beiden Sänger in diese Konstellation ein? Beide ließen eine erfreulich deutliche Artikulation hören, was bei Nicht-Muttersprachlern nicht immer der Fall ist. Nur selten wurden ihre Gesangsbeiträge vom Orchestersatz eingefangen. Dagegen stand einerseits, dass Dirigent und Ensemble die dichten Klänge auf wenige Momente fokussiert hielten. Andererseits verfügen beide Solisten über an Opern erprobte Organe, so dass sie auch leicht mit eigener Kraft gegenhalten konnten. So beschränkten sich die Anstrengungen auf wenige Momente. Und auch im Zusammenwirken mit dem Orchester ergaben sich keine Zweifel.

Für die Höreindrücke zu den Stimmen muss man sich vielleicht noch einmal den Kontext ansehen. Zwar ist das Werk eine (verkappte) Symphonie, aber es trägt eben auch das Lied im Titel und ist mit liedhaften Texten versehen. Und Lieder sind etwas anderes als Arien in einer Oper.

Der Tenor Michael Spyres zeigte seine drei Abteilungen mit großer Stimme zwar dem Opernwesen gewachsen. Aber er agierte sensibel und justiert genug, um hier nicht den Helden herauszukehren, sondern, trotz teilweise beeindruckender Orchesterkulisse, die Elemente Abschied, Erinnerung und Verlust überzeugend in eindringlicher Weise stimmlich wirken zu lassen. Das überzeugte, abgesehen von unbedeutenden Abwegen. Mit inzwischen gewohnter Ausdruckskraft und Dramatik wusste er Virtuoses mit Leichtigkeit zu paaren sowie lyrisch und mit Geste zu formen. Schwächen waren weder in der Mitte noch im unteren Register zu erkennen und auch in der Höhe war er wirkungsvoll.

Waren beide Solisten schon mit überzeugender optischer Bühnenpräsenz ausgestattet, so konnte Karen Cargill im Übrigen nicht so ganz gefallen. Sie verfügt über eine mächtige Mezzosopran-Stimme, bei der man zuvörderst an viele Rollen im Opernfach denkt, vom Volumen her sogar an Wagner-Opern. Allerdings konnte man nicht den Eindruck gewinnen, dass die schottische Sängerin sich auf das Liedhafte einstellen konnte oder wollte. Im Kontext mit dem Orchester gefiel zwar das Timbre ihrer Stimme, auch in den tiefen Lagen. In leisen Passagen gelang es ihr, fein und ausdrucksvoll zu singen. Aber dann schien sie wieder in die Oper zu gleiten. Das äußerte sich vor allem bei langen und lauten Tönen mit dem sehr ausgeprägten, mit inzwischen für überwunden gehaltenem waberndem Vibrato. Auch ihre Mimik, denn im Konzert spielen auch optische Eindrücke eine Rolle, in ‘Der Einsame im Herbst’ des kleinen Mädchens mit sanften Lächeln und schief gehaltenem Kopf, wirkte deplatziert. So hinterließ ihr Anteil am Abend einen zwiespältigen Eindruck.

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