RSO Wien im Konzerthaus
© Andrea Humer, Wiener Konzerthaus

Ein Programm mit vier im Wiener Konzerthaus bis dato noch nicht erklungenen Werken, davon eines als Uraufführung, bot das ORF Radio-Symphonieorchester Wien, kurz RSO Wien, unter Leitung seiner Chefin Marin Alsop im aktuellen Konzert an. Welche neuen Höreindrücke das RSO prägte und wie Solistin Patricia Kopatchinskaja ihren Part bewältigte, erlebte Uwe Krusch für Pizzicato.

Gleich am Anfang erklang die Uraufführung ‘no na. Tondichtung in 5 Bildern’. Das im vorigen Jahr komponierte Stück stammte von Hannah Eisendle. Der dem österreichischen Dialekt entnommene Titel ‘no na’ meint Alltägliches oder auch Selbstverständliches. Eisendle setzte sich bei der Komposition mit starken Frauenpersönlichkeiten auseinander, die im Leben ihre Grenzen auch ausweiteten. Die Musik war in Wellen zu erleben, die von kaum Fassbarem bis zu tosend zu hören waren, bis zum offenen verschmitzten Ende. Wie die Frauen beschritt auch die Musik einen suchenden Weg, der Bekanntes vorgab, auch einmal antäuschte. Bereits hier hatten die Schlagwerker im groß besetzen Orchester ihren besonders intensiven Auftritt. Das Orchester meisterte dieses Werk in gut durchleuchteter Art und Weise, so dass ein freundlicher Applaus für die anwesende Komponistin nicht ausblieb.

Marin Alsop
(c) RSO Wien, Lukas Beck

Für das zweite Werk kam die Geigerin Patricia Kopatchinskaja als Solistin hinzu. Immerhin hatte sie mit ihrem an den Komponisten herangetragenen Wunsch, ein Konzert von ihm geschrieben zu bekommen, den Anstoß gegeben. Den Bezug zu Frauen bot die titelgebende Gedichtzeile von Emily Dickinson, mit der auch der Gedanke des Fliegens implementiert wurde. In Umkehrung üblicher Handhabungen begann das Werk mit einer großen Solokadenz und endete ebenso mit der Sologeige. Die Anfangskadenz bot gleichzeitig Material, das später wieder auftauchte und so eine Basis für das ganze Konzert legt.

Zwischen diese beiden Kadenzen hat Cattaneo ein energiegeladenes Stück gefasst, das zu einem traditionellen Orchester kleiner Aufstellung, z.B. meist nur einfach besetzte Bläser, aber einer großen Schlagzeuggruppe vielfältige Aufgaben bot, die diese Mitglieder des RSO Wien lustvoll auskosteten. Öfter auch mal im Wettstreit mit der Solovioline entfachten die Männer im Hintergrund ein Feuerwerk an verschiedensten Höreindrücken. In manchen Aspekten, etwa die Zweisätzigkeit und Charaktere des Klangs, war ein Blick zu dem Werk von Alban Berg naheliegend.

Patkop, wie die Solistin auch genannt wird, erlebte und gestaltete den Solopart mit der ihr eigenen Energie und Beweglichkeit ihres Körpers. Damit konnte sie ihr Genießen dieses Werks locker auf das Orchester und das Publikum übertragen. Irgendwelche Schwierigkeiten sind ihrem Agieren nicht anzumerken. Und am Ende war sie dann sicherlich im musikalischen Himmel, da sie gerne zur Musik spricht. Cattaneo hatte ihr noch weitere Gedichtzeilen von Dickinson hinzugeschrieben, die sie halb singend, ergänzend zum Spiel der Geige vortragen durfte.

Große Begeisterung im Saal, sprachlich gefühlt mit vielen Landsleuten des Komponisten, belohnte den überzeugenden Einsatz für das Werk. Nicht nur der anwesende Komponist und PatKop, sondern auch das bestens disponierte Orchester und seine Leiterin Marin Alsop nahmen den kräftigen Applaus gerne entgegen.

Eine noch kleinere Besetzung eröffnete den zweiten Konzertteil. Zwei mal elf Streicher hat Roxanna Panufnik für ihr Werk ‘Two composers, four hands’ vorgesehen. Mit diesem doppelchörigen Apparat wollte sie den zwei Tonsetzern Polens des letzten Jahrhunderts huldigen. So hatten denn die drei Sätze die Bezeichnungen Lutoslawski, Panufnik und LutoPanufski. Mit Panufnik ist Andrzej, ihr Vater gemeint. Zu den hundertsten Geburtstagen der beiden vor gut zehn Jahren entstand dieses Werk. Während Roxanna Panufnik in den ersten beiden Sätzen jeweils ihren Blick auf die beiden Komponisten und ihre musikalischen Vorlieben richtet, beleuchtet der dritte Satz gemeinsames vierhändiges Duo der Herren während des Zweiten Weltkriegs in Warschau. Roxanna Panufnik nutzt dafür ein polnisches Volkslied in humorvollen Variationen. Mit gepflegter Kammermusik und feinen Sololeistungen brachten die ausgewählten Musiker des RSO Wien dieses viertelstündige Stück zu Gehör.

Zum Abschluss des Abends wurde nochmals ein knapp halbstündiges Werk präsentiert. Mit ‘Woman of the Apocalypse’ hat James MacMillan ein hochattraktives und mitreißendes Werk über die Figur komponiert, die in der katholischen Theologie oft als Anspielung auf die Jungfrau Maria angesehen wird oder auch als Volks Gottes.

Dieses einsätzige Orchesterstück, inspiriert von verschiedenen Werken der bildenden Kunst ist eine Art Tondichtung oder Konzert für Orchester. Fünf betitelte Abschnitte beziehen sich jeweils auf einen Aspekt des Bildes dieser Frau der Apokalypse und der Erzählung. In ‘Eine Frau, von der Sonne bekleidet’ werden die Hauptthemen vorgestellt, bevor die Dramatik des Satzes durch die Blechbläser von vorangetrieben wird. Wiederum das tiefe Blech brummt in „Die große Schlacht“, aber der Hauptfaden führen hier Bratschen und Englischhorn. Deklamationen im Blechbläserchor führen dann zu ‘Ihr werden die Flügel eines großen Adlers verliehen’, wo die Musik huscht und schwebt, bevor sie in einem heftigen Aufbäumen der Streicher und des Schlagzeugs gipfelt. ‘Sie wird aufgegriffen’ besteht aus einer Reihe von Fanfaren und ekstatischen solistischen Einlagen für Streichquartett. ‘Die Krönung’ beginnt mit sehr hohen Violinen und einer Rückkehr deklamatorischer Musik für Blechbläser, diesmal in einer feierlichen, rituellen Prozession, bevor die Musik auf einen unerbittlichen, stampfenden Schluss zusteuert.

Allein diese Beschreibung zeigt schon die Farbigkeit und Intensität, mit der MacMillan dieses Stück verfasst hat. Das RSO Wien zeigte sich bestens vorbereitet und in großer Spiellaune, um diese auch groß aufwallende Musik farbig und effektvoll darzubieten, dabei aber fassbare Strukturen und gute Durchsichtigkeit zu wahren. Dabei leistete Marin Alsop mit klarem und konzentriertem Dirigat, das auf die Koordination und Gestaltung fokussierte und nicht auf den Schaueffekt gerichtet war, ihren nicht zu unterschätzenden Beitrag. Dafür erhielt sie abschließend vom Orchester den Dank wie auch das Publikum beinahe schon frenetisch seine Begeisterung zum Ausdruck brachte.

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