Irvine Arditti
© Octavio Nava

Zu später Stunde im Rahmen des Festivals Wien Modern fand sich ein zahlreiches Publikum im Gläsernen Saal des Musikvereins Wien ein, um Irvine Arditti als Solisten zu erleben. Wie der Geiger den Abend gestaltete, berichtet Uwe Krusch für Pizzicato.

Arditti hatte fünf Werke programmiert, die alle mit weitaus mehr als normalen Spieltechniken garniert waren. In das Konzert startete er mit Mikka und Mikka ‘S’ von Iannis Xenakis. Der Titel leitet sich von Mikros ab, was klein / weiblich bedeutet und sich aus der Widmung für Xenakis Verlegerin Mica Salabert erklärt. Mikka zeigte ein Beispiel stochastischer Musik bei Xenakis, bei dem vor allem computergerechnete Glissandi zu hören waren. Mikka ‘S’ erweitert um andere Elemente.

Es folgte eines der persönlichen Lieblingsstücke von Arditti, nämlich ‘Hauch’ von Rebecca Saunders. Diese Studie für Violine ist als Metapher der Berührung durch den Lufthauch oder Atem als einprägsames Bild für eine Berührung mit einem unberührbaren Gegenstandmit einer gewissen Aura unterlegt, die auch aus der Unübersetzbarkeit des Wortes ins Englische herrührt. Hauch fordert der Violine bzw. dem Ausführenden extreme Nuancen ab, bei denen Bogen, Saiten und Muskeln fein austariert zu handhaben sind.

Die jüngste Komposition, Kadosh von Sarah Nemtsov erklang als Erstaufführung in Österreich. Das titelgebende hebräische Wort, übersetzt heilig, ist einem Bibelvers der Gemeinde als Antowrt auf den Kantor entnommen. Auch hier spielen unberührbare Elemente, wie Schatten und Fragmente eine tragende Rolle.

An den offiziellen Abschluss des Programms hatte Arditti die Sei Capricci von Salvatore Sciarrino gesetzt. Auch diese vertonen mit dem Erkunden von Klangfarben und Atmosphärischem Ungreifbares. Und Sciarrino hat diese sechs Studien so mit technischen Herausforderungen, umso weniger mit strukturellen, Herausforderungen gespickt, dass jedem Solisten ihrer perfekte Realisierung unmöglich gemacht wurde, so dass man die zweite Bedeutung von Capriccio, Laune oder Grille, mithören konnte.

Wenn man Ardittis Spielstil an diesem Abend verstehen wollte, mochte man das von diesen letztgespielten Werken her hören. Wenn die technisch saubere Umsetzung kaum möglich war, so konnte man es auch gar nicht erst versuchen. Wenn ein gestandener Musiker wie Arditti, für jeden Amateurgeiger seit Jahrzehnten ein Idol, nicht jedes Detail, das man in einem Geigenunterricht gelernt hat, schulmäßig umsetzt, so ist das, wenn das Ergebnis stimmt, schlichtweg egal. Wenn aber im Konzert beispielsweise nicht ein einziger Bogenstrich parallel zum Steg geführt wird, sondern alle wild diagonal, dann stimmt das nachdenklich. Damit sind nicht etwa komponierte kreisende Bewegungen über dem Griffbrett oder andere Vorgaben gemeint, sondern eben eine unsaubere Bogenhaltung.

Das wäre auch dann noch egal, wenn das klangliche Resultat stimmen würde. Aber wenn im gesamten Konzert sozusagen nicht ein Ton (physikalisch aus einer gleichmäßigen Welle) wahrzunehmen war, sondern nur Geräusche, dann lässt das den Rezensenten sprachlos zurück. Möglich wäre es natürlich auch, dies als gestalterische Absicht zu deuten und neue Musik so zu hören, dass nichts mehr tonlich und ‘schön’ erklingt. Aber so habe ich bisher weder das Spiel von Arditti noch das anderer Vertreter der Zunft je gehört und verstanden. Im Nachhinein habe ich zur Vergewisserung andere Aufnahmen der Werke kontrolliert. So konnte ich deutlich hören und, auch das geht heute ja, sehen, dass andere mit schulisch korrekteren Bogenhaltungen auch Ergebnisse erzielen, die klingen und der Musik ein anderes Gepräge geben.

Es ist immer eine große Herausforderung, als Künstler allein im Scheinwerferlicht auf der Bühne zu stehen und vielleicht auch das Lampenfieber zu beherrschen. Insofern muss man dem jeden Respekt zollen, der das macht. Aber zu meiner großen Enttäuschung musste ich leider in gewisser Weise bei diesem Auftritt von einem Idol Abschied nehmen. Da half dann auch die Zugabe Eight Whiskus von John Cage nicht, die keine anderen Seiten der Darstellung aufzeigte. Und auch der teilweise frenetische Applaus des zahlreichen Publikums änderte mein Hörerlebnis leider nicht.

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