Frédéric Chopin: Complete Nocturnes; Jan Lisiecki, Klavier; 2 CDs Deutsche Grammophon 4860761; Aufnahme 10.2020, Veröffentlichung 08.2021 (123') – Rezension von Remy Franck

Frédéric Chopins Nocturnes hat man in sehr unterschiedlichen Interpretationen gehört, von sehr gefühlvollen, sehr introvertierten, hellen und dunklen, kühl-intellektuellen bis hin zu denen, die Sentimentalität bis hin zur Trockenheit des Diskurses vermeiden.

Der Kanadier Jan Lisiecki legt Wert auf die Kantabilität. Er tut das sehr stilvoll, bemüht, nie sentimental zu werden und die Emotionalität mit feinen farblichen und dynamischen Nuancen, klugem Rubato und einem immer spontan-wachen Spiel zu erzielen. Er baut sehr wirkungsvoll Spannungen auf, um sie genauso sicher wieder abzubauen, er spielt mit extremer Klarheit, und immer mit jenem Grad an Nachdenklichkeit, mit jenem Reichtum an Differenzierung, der diese Werke so unverwechselbar macht. Formale Feinstrukturen werden hier überaus deutlich, harmonische Mischungen werden in ihrer ganzen Komplexität berücksichtigt.

Lisiecki geht seinen ganz persönlichen und manchmal eigenwilligen Weg, wenn er akzentuiert, herausstreicht oder in den Hintergrund stellt. So bleibt die Musik immer lebendig und im Fluss der Kantabilität  sehr geschmackvoll, sehr musikalisch. Wegen ihres Raffinements und ihrer genuinen Schönheit halte ich dies für eine der attraktivsten und poetischsten Nocturnes-Aufnahmen im Katalog.

The Canadian Jan Lisiecki attaches great importance to cantabile. He does this very stylishly, striving to never become sentimental and to achieve emotionality with fine color and dynamic nuances, clever rubato and always spontaneously alert playing. He builds tensions very effectively, only to release them just as surely, playing with extreme clarity, and always with that degree of thoughtfulness, with that richness of differentiation that makes these works so distinctive. Formal fine structures become exceedingly clear here, harmonic mixtures are considered in all their complexity.
Lisiecki goes his own personal and sometimes idiosyncratic way when he accentuates and emphasizes or does just the contrary. In this way the music always remains lively and in the flow of cantabile very tasteful, very musical. Because of its refinement and genuine beauty, I consider this one of the most attractive and poetic Nocturnes recordings in the catalog.

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