Arditti Quartet
(c) Eric Devillet

Das Streichquartett ist neben der Symphonie vielleicht die markanteste Kompositionsform für Tonsetzer, die die Geschichte ebenso aufgreifen wollen wie sie neue Wege zu ergründen suchen. Auf die Suche der Darstellung dieser Bestrebungen begibt sich mit nach wie vor nicht nachlassendem Eifer und auch Erfolg immer wieder das Arditti String Quartet. Dass es dabei immer wieder spannungsreiche Programme präsentieren kann, weiß Uwe Krusch zu berichten.

Zwei alte Klassiker rahmten den intensiven Abend. Gleich ein Schwergewicht und nicht nur eine Ouvertüre war mit dem zweiten Quartett von Jonathan Harvey zu Beginn zu hören, mit gut dreißig Lebensjahren immerhin noch zwanzig Jahre jünger als das abschließende Werk von György Ligeti, auch der zweite Gattungsbeitrag. Die beiden in der Programmmitte gespielten Kompositionen nehmen auf unterschiedliche Weise Bezug auf die Gegenwart. Während es bei Toshio Hosokawas ‘Passage’ Reflexionen über Bemerkungen der Zeitgenossen Beethovens in dessen Konversationsheften zu dessen Geburtstag geht, hat das von Betsy Jolas mit Topeng betitelte siebte Quartett, auch datiert 2019, sicherlich unfreiwillig, einen tagesaktuellen Ansatz. Das indonesische Wort Topeng ist ein Oberbegriff für balinesisches Tanztheater, im engeren Sinne meint es die dabei getragenen Masken, die szenenhaft dabei verwendet werden. Und das alltägliche Maskenballett in Bus, Büro und Boutique unserer Tage kennt ja jeder.

Darüber hinaus, insoweit fiel Ligeti aus dieser Kombination etwas heraus, sind die drei anderen Werke auch durch asiatisch spirituelle Einflüsse geprägt. Wiederum allen vier Stücken gemeinsam ist ihre explizite Einbeziehung des Leisen bis hin zur Pause als, für manche mindestens, wesentlichster Bestandteil der Musik. Keiner der Komponisten setzt auf klare knallige Schlussformulierungen, sondern diese Quartette verhauchen eher, so dass sich im Anschluss nicht aufbrausender Beifall, sondern besonnene Ruhe oder auch Unsicherheit, ob es denn vorbei ist, ausbreitete, ehe der befreiende Applaus aufbrandete. Dass dieser sich quasi bis zum Ende anstauen musste, lag daran, dass das Arditti Quartett zwischen den je gut viertelstündigen Aufführungen gerade einmal notwendigen Beifall entgegennahm und sich sofort wieder dem Weiterspielen zuwandte. Das ist umso erstaunlicher, da diese Musik mit ihren interpretatorisch und spieltechnisch höchsten Ansprüchen vermeintlich Ruhepausen erforderlich macht. Aber vielleicht wollten die Instrumentalisten für sich gerade den Spannungsbogen und den Bezug der Werke aufeinander erhalten.

Arditti Quartet
(c) Eric Devillet

Mit dieser Konzentration wirkte das Arditti Quartett fast ein wenig spröde gegenüber dem Publikum, auch wenn es spätestens den Schlussapplaus gelöst und dankbar entgegennahm. Aber das ist vielleicht der Anspannung an die Aufgabe geschuldet. Mit nonchalant wirkender Selbstverständlichkeit, die gleichzeitig Konzentration und Spannung ausstrahlte, widmete es sich jedem der Werke. Dass man bei den Eckpfeilern des Abends die genaue Kenntnis dank wiederholter Aufführungen annehmen durfte, darf vorausgesetzt werden. Doch auch bei den beiden jungen Werken waren keinerlei Unsicherheiten oder Zweifel zu bemerken. Auch hier hatte das Quartett die Materie schon zutiefst verinnerlicht und sich zu eigen gemacht. Und alle vier Mitglieder richteten sich ganz auf die Musik und das Zusammenspiel aus und nicht auf die Zurschaustellung irgendwelcher Eitelkeiten, wie man es etwa vom Primarius eines der gelobtesten Quartette der klassischen Musik gewohnt war.

Gerade bei diesen vier Musikern wird deutlich, wie wichtig ein Spezialensemble für die Vermittlung von Musik ist. Das gilt eben nicht nur für alte Musik, sondern vielleicht noch mehr für die moderne und zeitgenössische. Denn die für einen Teil der Zuhörer sicherlich – platt gesagt – nicht einfach zu fassende Musik gewinnt durch erfahrene Spezialisten in der Darbietung bzw. ist nur so adäquat zu erfahren. Andere Darbietungen, wie sie ‘auch mal’ bei philharmonischen Orchestern etwa eingestreut werden, leiden dann oft unter der mitunter für solche Werke zu knappen Probenzeit, da auch ein Musiker sich mit solch ungewohnter Musik auseinandersetzen muss. Hier also durfte das Publikum der Philharmonie einen großen Abend in der Reihe Musiques d’aujourd’hui erleben. Leider geht es erst Anfang Mai in diesem Kontext weiter.

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