Michael Gielen - Edition Vol. 4; Mendelssohn: Ein Sommernachtstraum (Ouvertüre); Smetana: Die verkaufte Braut (Ouvertüre); Liszt: Der Tanz in der Dorfschenke; Wagner: Vorspiel zum 1. und 3. Akt von Lohengrin; Die Meistersinger von Nürnberg (Vorspiel); Vorspiel zum 1. Akt und Isoldes Liebestod aus Tristan und Isolde; Berlioz: Symphonie fantastique, Requiem, Le Carnaval Romain; Weber: Klavierkonzert Nr. 2, Freischütz-Ouvertüre; J. Strauss II: Kaiserwalzer; Schumann: Symphonie Nr. 1; Szenen aus Goethes Faust, Manfred-Ouvertüre, Die Braut von Messina-Ouvertüre; Dvorak: Symphonie Nr. 7, Violinkonzert a-moll, Cellokonzert h-moll; Tschaikowsky: Symphonien Nr. 4 & 6; Rachmaninov: Die Toteninsel; Suk: Ein Sommermärchen; David Rendall, Heinrich Schiff, Josef Suk, Ludwig Hoffmann, Kölner Rundfunkchor, Vokalensemble Stuttgart, Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Michael Gielen; 9 CDs SWR Music SWR19028CD; Aufnahmen 1968-2014, Veröffentlichung 01/2017 – Rezension von Remy Franck

Das Programm der neun CDs in dieser Gielen-Box zeigt das weitgefächerte Repertoire des Dirigenten Michael Gielen. Es ist aber nicht nur vielfältig, es zeigt vor allem – zumindest, was den Dirigenten angeht – keine Schwächen.

Im Programm der ersten CD gefallen besonders die klanglich dichte ‘Verkaufte Braut’-Ouvertüre und eine extrem spannende und wirklich phänomenale Interpretation des Ersten Mephisto-Walzers von Franz Liszt, auf den das transzendente ‘Lohengrin’-Vorspiel sich nahtlos anfügt. Da hat der Produzent dieser CD ein ganz besonderes Feingefühl gezeigt.

Die Aufführung von Robert Schumanns ‘Faust-Szenen’ besticht durch ihre Dramatik. Gielen dirigiert diese große Chor-Symphonie

sehr zupackend, ohne das Schwelgerisch-Melodische zu vernachlässigen, und wenn Orchester und Chor sich sehr gut bewähren, so ist das Solistenensemble eher unausgeglichen. Weder Günter Reich (Faust) noch Judith Beckmann (Gretchen) können überzeugen.

Für seine Aufführung der Ersten Symphonie von Robert Schumann,

2014, also im letzten Jahr der Tätigkeit des Dirigenten aufgezeichnet, benutzt Gielen nicht die Originalfassung, sondern die Bearbeitung von Gustav Mahler, die er ganz bewusst dem Original vorzog. Seine Interpretation ist opulent und geschmeidig und wird vom 2014 schon zum Tode verurteilten SWR Orchester Baden-Baden und Freiburg hinreißend gespielt.

Die vierte CD enthält eine in allen Hinsichten gelungene, zwischen Dramatik und Zärtlichkeit (3. Satz) alternierende ‘Symphonie Fantastique’.

Eine historische Aufnahme, klanglich aber ganz in Ordnung, gibt es vom Dvorak-Violinkonzert, 1970 live aufgenommen in Stuttgart. Der Solist ist ein ausgewiesener Spezialist des Werks, Josef Suk, der Enkel des gleichnamigen Komponisten und Urenkel von Antonin Dvorak. Suks Spiel war technisch eigentlich nie fehlerfrei, aber sein Ton und seine Leidenschaftlichkeit übertünchen diese kleinen Fehler.

Eine sehr gute Aufnahme gibt es von Dvoraks 7. Symphonie: Gielen zeigt sich in Tempi und Dynamik eher brav und weigert sich strikt, die Musik anzuheizen, wenngleich er sehr viel Gespür für die Tanzrhythmen zeigt, die er wunderbar schwungvoll dirigiert. Und so lässt der federnde Klang die Interpretation letztlich schneller wirken als sie es tatsächlich ist.

Sehr gefühlvoll spielt Heinrich Schiff das Cellokonzert von Dvorak, und Gielen atmet diese Gefühle ganz wunderbar mit ihm. Auch seine Tchaikovsky-‘Pathétique’ auf derselben CD ist durchaus beachtlich, sehr klar im Klang, aber nie unterkühlt.

Die gefühlsmäßig sehr differenzierte Vierte Symphonie von Tchaikovsky macht unter Gielen vor allem im ersten Satz mehr Schmerz hörbar als in vielen anderen Interpretationen, und manchmal hat man den Eindruck Tschaikowsky äußere in dieser Fatum-Musik auch einiges an Selbstmitleid.

Das Requiem von Berlioz  wurde am 29. März 1979 live in Stuttgart aufgenommen, und Gielen dirigiert es wirklich zwingend. Mit Colin Davis’ oder Charles Dutoits Einspielungen kann es diese hier nicht aufnehmen, aber sie braucht sich aber auch nicht zu verstecken. Auch wenn es manchmal im Riesenensemble etwas wackelt, so nimmt einen die spannungsvolle und im Tempo recht zügige Interpretation (78 Minuten gegenüber 93 für Davis) durchgehend gefangen. Die Chöre sind hervorragend und David Rendall brilliert im Tenorsolo.

Sehr beglückend ist die letzte CD dieser Gielen-Box: Nach einer stimmungsdichten Interpretation von Rachmaninovs ‘Toteninsel’ erklingt Josef Suks ‘Sommermärchen’, eine symphonische Suite in fünf Sätzen voller eindringlicher, gefühlvoller, spätromantischer Musik, die in Gielen einen bewundernswert engagierten Anwalt hat.

Die Natur wird in dieser Komposition als eine den Menschen dominierende Urkraft dargestellt. Entsprechend dicht ist das Werk in seinem Gefühlsausdruck: Todessehnsucht, Mittagshitze, Melancholie, Wehmut und Geistererscheinungen bewegen den Zuhörer, ehe im letzten Satz (Nacht) friedvolle Ruhe einkehrt. Die Musik wird ungemein spannungsvoll und sehr klangbildlich gespielt.

This highly varied program shows how versatile a conductor Michael Gielen was. Most of the recordings of this box present really inspired und exciting performances.

 

  • Pizzicato

  • Archives