Dmitri Shostakovich

Zweimal, 1960 und 1972, weilte Dmitri Shostakovich zur Erholung im idyllischen Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz. Hier komponierte er u. a. sein berühmtes 8. Streichquartett. Seit 2010 ist ihm in Gohrisch ein eigenes Festival gewidmet. Michael Oehme berichtet.

Programmatisch begannen die Internationalen Shostakovich Tage mit dem hier von ihm komponierten 8. Streichquartett in c-Moll, entstanden auch unter dem Eindruck der noch stark von der Zerstörung gekennzeichneten Stadt Dresden. Vier herausragende Musiker der Sächsischen Staatskapelle – Konzertmeister Matthias Wollong und Holger Grohs, Violine, Sebastian Herberg, Viola und der noch ganz junge neue Konzertmeister der Violoncelli, Sebastian Fritsch boten eine bewegende Interpretation. Zum Klavierquintett g-Moll op. 57 gesellte sich noch Onute Grazinyte, die Schwester von Mirga Grazinyte-Tyla als Pianistin hinzu. Dieses feinsinnige Werk berührt ja vor allem durch seinen ins Überirdische entschwindenden Schluss. Da nahm die überaus temperamentvolle Wiederholung des Scherzos als Zugabe fast etwas von der emotionalen Tiefenwirkung dieser Komposition beim Publikum. Ja und am Anfang nach der freundlich-launigen Begrüßung durch Festivalleiter Tobias Niederschlag sprach die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa, Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial. Es gab eindrückliche Worte zu den Geschehnissen um Dmitri Shostakovich in der Vergangenheit und den erschreckenden Parallelen in unserer Zeit.

Sofia Gubaidulina
Photo: Remy Franck

Eine Filmmatinee als Hommage an die im März verstorbene Sofia Gubaidulina am Folgetag zeigte ´Sophia – Ein Violinkonzert für Anne-Sophie Mutter´von Jan Schmidt-Garre. Künstlerisch eher durchschnittlich gelungen, bot der Film interessante Einblicke in das Entstehen eines solchen Werkes, das die Komponistin mit Anne-Sophie Mutter, den Berliner Philharmonikern und Sir Simon Rattle für die Uraufführung in Luzern erarbeitet hatte. Beeindruckender waren da die musikalischen Beiträge von Geir Draugsvoll, Bajan und David Geringas, Violoncello und die von Jan Brachmann (FAZ) moderierte Gesprächsrunde, welche an die große Künstlerin und an den Menschen Sofia Gubaidulina erinnerte.

Die Schostakowitsch Tage in Gohrisch beleuchten immer wieder Komponisten, denen Schostakowitsch nahestand bzw. von ihm gefördert wurden, allen voran Mieczyslaw Weinberg. Mirga Grazinyte-Tyla dirigierte mit der Kremerata Baltica u. a. dessen zartbeseeltes Concertino für Violoncello und Streichorchester mit Magdalena Ceple als Solistin, sowie das energisch-effektvolle Klarinettenkonzert op. 104, Oliver Janes, Klarinette. Von Todesgedanken umgeben schrieb Shostakovich 1969 seine 14. Sinfonie, eher ein Liedzyklus für Sopran, Bass und Orchester auf Texte u. a. von Lorca, Apollinaire und Rilke. Bis heute wirkt diese Musik und verstört zugleich. Überzeugend sangen Elena Tsallagova und Alexei Botnarciuk die Solopartien.

Vor 75 Jahren, 1950, kam Shostakovich als Juror zum 1. Internationalen Bachwettbewerb nach Leipzig. Seine 24 Präludien und Fugen op. 87 gelten als Nachwirkung davon. Die großartige Yulianna Avdeeva, erst kürzlich hat sie beim Shostakovich Festival in Leipzig den kompletten Zyklus aufgeführt, spielte eine Auswahl daraus. Man fühlte sich durch Shostakovich direkt zu Bach hinbegeben. Danach als romantisches Gegenstück noch die 24 Préludes op. 28 von Frédéric Chopin. Avdeeva ging sie durchaus diesseitig an, ohne die verträumten Seiten zu vernachlässigen.

Marie Jacquot
(c) Werner Kmetitsch

Den alljährlichen Internationalen Shostakovich Preis erhielt die Sächsische Staatskapelle Dresden – mehr als zurecht, denn von Anbeginn des Festivals 2010, also zum 16. Mal ist sie so etwas wie eine Säule und das Rückgrat des Festivals. Im nun schon traditionellen großen Orchesterkonzert im Dresdner Kulturpalast am Vorabend des Festivals spielte sie unter der engagiert-sicheren Leitung von Marie Jacquot zunächst Shostakovichs Festouvertüre aus dem Jahr 1954. Das herrlich plakative, effektvolle Stück sollte den Oberen der damaligen Zeit gefallen. Dann folgten mit Kirill Gerstein die beiden Klavierkonzerte des Komponisten (das erste mit Helmut Fuchs, Solotrompeter der Kapelle, souverän und klangschön natürlich). Gerstein überwältigte mit seiner Virtuosität, aber auch mit der Zartheit seines Anschlags, zumal im langsamen Satz des zweiten Konzerts. Kurt Weills zweite Sinfonie aus dem Jahr 1934 erlaubte dann noch einen interessanten Vergleich oder Blick auf die Musik insgesamt aus dieser Zeit.

In Gohrisch selbst erklang dann mit den Dresdnern die Kammersinfonie op. 110, die Bearbeitung des 8. Streichquartetts also für Streichorchester von Rudolf Barschai. Das bedeutsame Werk erhält durch diese Orchestrierung eine nochmalige Dimension hinzu. Dem Publikum standen nach der Interpretation in dieser Intensität und Qualität die Tränen in den Augen. Dmitri Jurowski, einer der Söhne von Michail Jurowski, der dem Festival eng verbunden war, leitete das Konzert – im zweiten Teil mit dem Operneinakter ‘Rothschilds Geige’ von Benjamin Fleischmann, der 1941 als nur 28jähriger an der Leningrader Front ums Leben kam. Uneigennützig wie immer hat Shostakovich auch hier mit der Vervollständigung und Instrumentierung diese Komposition vor dem Vergessen bewahrt. Nach einer Erzählung von Anton Tschechow im jüdischen Milieu wird nach allerlei Streitereien und Verbitterungen die Weitergabe einer Geige zum Zeichen der Versöhnung. Passabel gesungen von Thorsten Büttner, auffallend gut von Jürgen Müller war Gohrisch 2026 wieder einmal gut für Entdeckungen. Die Festspielgemeinde freut sich schon auf das nächste Jahr.

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