Der Countertenor Valer Sabadus, Jahrgang 1986, wurde im rumänischen Arad geboren und lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in Deutschland. Er debütierte im Jahre 2007 auf der Opernbühne. Seither macht er eine glänzende Karriere, nicht zuletzt auch durch wichtige CD-Aufnahmen, u.a. bei Oehms Classics. In diesem Sommer singt er bei den 'Nuits Musicales d'Uzès' (Frankreich), beim Lucerne Festival und bei der Schubertiade Hohenems. Lesen Sie unser Interview mit einem der besten Countertenöre unserer Zeit.

Valer Sabadus

Sie kamen im Alter von fünf Jahren nach Deutschland. Ihre erste musikalische Ausbildung erhielten Sie in den Fächern Geige und Klavier. War da gar kein Gesang?
Doch, Gesang war eigentlich immer dabei. Ich wurde ja zuhause musikalisch erzogen, weil meine Eltern beide Musiker waren. Meine Eltern haben auch viel gesungen und ich habe immer ‘nachgesungen’. Ich habe immer versucht, das zu imitieren, was ich von meinen Eltern gehört hatte. Mit sieben Jahren bin ich dann einem Chor beigetreten.

Haben Sie damals daran gedacht, Sänger zu werden?
Nein, überhaupt nicht! Nach der Revolution in Rumänien war für uns zunächst einmal das Wichtigste, auszuwandern. Mein Vater war sehr früh verstorben und meine Mutter wollte nach Deutschland. Wir mussten ein neues Leben anfangen. Es war sehr schwierig. Wir mussten mehrmals umziehen, bis meine Mutter endlich einen Posten als Klavierlehrerin bekam. Und erst dann konnte auch ich mich wieder so richtig der Musik widmen, konnte Klavierunterricht nehmen, auch Geigenunterricht, aber ich hatte damals nie den Wunsch, Sänger zu werden.

Und wie haben Sie Ihre Stimme entdeckt?
Das war eigentlich ein Zufall. Als ich siebzehn war, schaute ich mir einmal zusammen mit meiner Mutter eine Sendung im Fernsehen an, in der Andreas Scholl auftrat. Ich versuchte spontan, ihn zu imitieren. Meine Mutter war sehr erstaunt, schaute mich an und sagte: « Machst du das jetzt nur aus Spaß? » – « Nein! », sagte ich, « Ich singe immer so. » Dann hat sie mich gleich ans Klavier geholt, wir haben alle möglichen Stücke durchgenommen, ‘Panis Angelicus’, ‘Ave Maria’ usw., und ich habe immer schön mit meiner Kopfstimme gesungen. Dann sagte sie: « Du bist ein Countertenor. » Ich habe sie fragend angeschaut, denn ich wusste damals gar nicht, was das ist. Ich habe mich dann langsam eingearbeitet und diese ganze Welt der Countertenor-Stimme entdeckt. Ich hatte mich bis dahin nie richtig mit Singen abgegeben, denn stimmlich bin ich ein schlechter Tenor, ein Tenor ohne gute Höhe, und ein schlechter Bariton, ohne gute Tiefe. Im Alter von 17 Jahren begann ich meine Studien als Countertenor an der Hochschule für Musik und Theater München, bei Prof. Gabriele Fuchs.

Vor einigen Jahren war ein Countertenor noch ein exotischer Künstler. Inzwischen sind Countertenöre echte Stars im Klassikbetrieb, und das Publikum liebt diesen Gesang. Warum?
Es bleibt immer noch etwas Exotik. Die Stimme klingt eben androgyn. Man sieht einen Mann, der wie eine Frau singt. Der Zuhörer hat den Eindruck, dass dieser Gesang gar nicht zu dem Köper passt. Und dann entsteht das Aha-Erlebnis, wenn man sieht, dass das eigentlich ganz natürlich ist. Und das ist auch das Wichtigste für einen Countertenor, dass er immer natürlich bleibt und nicht versucht, einen Kastraten zu imitieren, sondern seinem Stimme treu bleibt. Philippe Jaroussky hat einmal erklärt, dass die Countertenor-Stimme irgendwo auch etwas Kindliches hat, nicht durch das Physiognomische, sondern durch das, was die Stimme klanglich kolportiert. Und das macht dann diesen exotischen Charakter aus.

Valer Sabadus und Remy Franck bei der Verleihung des 'Young Artist of the Year Award' der ICMA in Mailand, im März 2013

Valer Sabadus und Remy Franck bei der Verleihung des ‘Young Artist of the Year Award’ der ICMA in Mailand, im März 2013

Nun haben Sie ja aber eine sehr typische, leicht erkennbar Stimme. Haben Sie dieses Timbre ganz besonders gepflegt?
Wie ich schon sagte, das Wichtigste ist, die Stimme natürlich fließen zu lassen. Es wäre falsch, seine Stimme so einzufärben, dass sie einer Stimme entspricht, die man kennt. Sonst wird man sehr schnell ein Abbild von einem anderen. Wichtig ist eine gute Ausbildung, und alles andere kommt dann von alleine. Das Timbre entwickelt sich und die Stimme wächst. Man muss ihr einfach die nötige Zeit geben. Sie muss ja einen Raum füllen können, auch wenn sie nicht sehr gross sein muss, um tragfähig zu sein. Man muss der Stimme vertrauen, dass sie auch obertonreich ist und, dass das auch beim Publikum ankommt. Wenn man zuviel Druck gibt und künstlich versucht, die Stimme zu vergrößern, geht das oft die falsche Richtung.

Hat man deswegen bei Ihnen und auch bei Jaroussky den Eindruck dass Sie ‘mühelos’ singen?
In einer Oper muss man ja nicht nur singen, sondern die Rolle interpretieren. Und dabei ganz natürlich Spannung produzieren. Überspannt ist genau so schlecht wie Unterspannung. Man muss die goldene Mitte finden. Wenn meine Stimme ‘mühelos’ klingt, ist das ein Kompliment für mich, denn dann ist es mir gelungen, mit meiner guten Ausbildung und meiner Natürlichkeit das zu erreichen, was beim Countertenor alles ausmacht.

Pflegt man eine Countertenor-Stimme wie jede andere Stimme?
Es gibt Übungen, um sich aufzuwärmen, und das funktioniert natürlich anders als bei einer normalen Stimme, weil ich ja viel mehr Kopfstimme brauche. Ich muss also die Randstimmfunktion trainieren, ich muss alles auflockern, den Kehlkopf entspannen, dass er schön tief ist. Aber ich glaube, wie das alles genau zu funktionieren hat, muss jeder für sich entscheiden. Wichtig ist für mich, auch die Bruststimme zu trainieren, denn ich glaube nicht, dass wir mit verschiednen Stimmen singen, sondern nur mit einer, auch wenn man verschiedene Register hat. Es ist wichtig, diese Register auszugleichen, damit der Ton sich oben nicht gepresst und unten nicht gedrückt anhört.

Nach einer so langen Oper wie ‘Artaserse’ hat Jaroussky gesagt, das sei schon Sport. Ist Countertenor-Singen anstrengender als Gesang mit einer normalen Stimme?
Ich glaube generell, dass der Sängerberuf etwas vom Sportlerberuf hat. Wenn man sich den heutigen Opernbetrieb anschaut, dann wird das ganz offensichtlich. Die Vorstellungen sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Wenn eine Aufführung, wie im Falle von Vincis ‘Artaserse’, vier Stunden dauert, kommen ja davor noch mentales Vorbereiten, Einsingen, Maske, und danach muss man sich ja auch noch entspannen können. Wenn man das jeden zweiten Tag macht, ist das ganz schön anstrengend. Aber die ganzen Vorbereitungen sind halt notwendig, denn ein Kaltstart wäre fatal.
Die Countertenor-Stimme ist insofern speziell, weil man mit der Randstimmfunktion singt und den Ton nicht mit dem ganzen Stimmbänderanteil zum Schwingen bringt, sondern nur mit den Rändern. Das erfordert mehr Druck, und es ist daher wichtig, diesen Atemdruck zu kontrollieren, damit er sich nicht negativ auswirkt.

Das klingt alles sehr technisch, aber Technik ist ja nicht das Einzige, es kommt ja auch das Interpretieren hinzu. Das ist ja dann das, was Sie mit mentaler Vorbereitung bezeichnen?
Sicher! Nehmen wir noch einmal das Beispiel ‘Artaserse’, wo ich eine Frauenrolle singe, die für einen Soprankastraten komponiert wurde. Ich muss mich ja in den Kopf dieser Person versetzen, die ich singen soll. Es geht ja nicht nur um Gesten. Ich muss also die ganze Geschichte, die ganze Partitur und jede Figur genau kennen. Und das ermöglicht dann auch eine gewisse Spontaneität. Oper ist eine Kollektivarbeit, und die läuft immer etwas anders ab. Es gibt keine zwei Vorstellungen, die hundertprozentig übereinstimmen. Es existiert also einen gewissen Improvisationseffekt, der ebenfalls viel Kraft kostet.

Ist es für einen Countertenor schwieriger, Emotionalität zu vermitteln als für einen Tenor?
Das glaube ich nicht. Emotionalität kommt ja nicht nur durch die Stimme, sondern durch die gesamte Ausstrahlung. Und das ist etwas Unbewusstes, das ist Charisma. Entweder man hat es oder man hat es nicht. Was beim Countertenor anders ist, das ist die ganze Situation: wenn ein Zuhörer den Stimmtyp nicht mag, wenn er das als unnatürlich empfindet, als affektiert, dann wird es mir nie gelingen, ihn zu überzeugen.

Oper ist ja nicht nur Gesang, sondern auch Spiel, Darstellung, Theater. Ist das etwas, was Sie interessiert?
Ja, ich mag das sehr. Ich liebe es, eine Rolle zu spielen, sie zu entwickeln, den Charakter vom Anfang bis zum Ende durchzuformen. Es gibt natürlich monotone Rollen, die kein großes schauspielerisches Talent verlangen, aber es gibt auch ganz spannende Rollen, wo man sehr viel machen kann. Ich warte daher bei einer Produktion auch immer auf die erste Kostümprobe, wo wirklich alles zusammenläuft und sich zum ersten Mal ein vollständiges Bild ergibt.

Es gibt viele schöne Countertenor-Rollen. Bedauern Sie trotzdem nicht manchmal, keine der großen Tenorrollen, keinen Radames, keinen Rodolfo singen zu können?
Ja, manchmal bedauere ich es, weil in der Romantik oder im Verismo der Stoff es einem leichter macht, beim Publikum anzukommen. Das ist in der Barockoper schwieriger. Es wird hier viel mit Affektiertheit gespielt, aber es gibt auch heroische Rollen und es gibt die späten Kastratenrollen, wie z.B. den Sesto in Mozarts ‘Idomeneo’, wo ja unheimlich viel Dramatik enthalten ist. Und da geht einem dann wirklich das Herz auf. Und dann gibt es die zeitgenössische Musik. Die Komponisten können uns ja heute wirklich die Rollen auf den Leib schreiben, so wie das die Komponisten früher mit den Kastraten taten. Und das ist eine große Chance.

Kollegen von Ihnen singen auch gerne Lieder der Romantik oder des XX. Jahrhunderts. Interessiert Sie das ebenfalls?
Wieso nicht? Ich habe in meiner Ausbildung dieses Repertoire erarbeitet Diese Lieder, die sehr oft sehr dramatisch sind, wurden ja nicht für einen bestimmten Stimmtypus komponiert, und wenn sie von einem Bariton, einem Tenor, einem Sopran oder einem Mezzo gesungen werden können, warum soll sie dann nicht auch ein Countertenor singen dürfen? Ich habe natürlich meine Präferenzen und werden einige Lieder sicher nie singen. Aber ich werde bestimmt immer wieder Lieder singen. Sie müssen nur passen.

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