Jessye Norman - The Unreleased Masters; Richard Wagner: Tristan und Isolde (Auszüge); Jessye Norman, Thomas Moser, Ian Bostridge, Gewandhausorchester Leipzig, Kurt Masur - Richard Strauss: Vier letzte Lieder; Richard Wagner: Wesendonck-Lieder; Jessye Norman, Berliner Philharmoniker, James Levine - Joseph Haydn: Scena di Berenice; Hector Berlioz: Cléopâtre; Benjamin Britten: Phaedra op. 93; Jessye Norman, Boston Symphony Orchestra, Seiji Ozawa; 3 CDs Decca 4852984; Aufnahmen 1988-1998, Veröffentlichung 24.3.2023 - Rezension von Remy Franck

Die Liste mit Aufnahmen von Jessye Norman ist lang und reich an ganz herausragenden Interpretationen. Dennoch gibt es etliches, was mitgeschnitten wurde, im Studio oder auch live, was bisher nicht erhältlich war. Einige solcher Aufnahmen werden nun mit dieser Box zur Verfügung gestellt.

Dazu gehören, auf der ersten CD, Auszüge aus einer Tristan-Produktion, die Jessye Norman abgebrochen hat, weil die ersten Teile der Aufnahme sie nicht zufrieden stellten. Im Bocklet steht: « Angeblich waren sich Norman und Masur nicht in allen musikalischen Punkten einig, und es gibt Berichte über Spannungen bei den Sitzungen. »

Die Tondokumente, die nun veröffentlicht werden, bestätigen das. Nicht weil Normans Stimme manchmal angestrengt klingt (aber wirklich nur ganz selten), sondern weil ich den Eindruck habe, dass ihr leidenschaftliches Engagement in Masurs Dirigat nicht die entsprechende Unterstützung findet. Da gibt es zwei ganz verschiedene Ebenen. Am nachteiligsten wirkt sich das in der großen Liebesszene aus, wo sowohl Masur als auch der sehr flach und auf Nummer sicher gestaltende Thomas Moser die Norman zu bremsen scheinen. Aber es ist vor allem Masur, der mit dem Orchester allzu sehr im Hintergrund bleibt und Wagners herrliche Musik farblos werden lässt.

Mit das Interessantes an den Auszügen aus dem 1. Akt ist der Umstand, dass Jessye Norman nicht nur die Isolde singt, sondern auch die Rolle der Brangäne, wobei sie das Timbre ihrer Stimme für diese Rolle leicht abdunkelt. Doch das Faszinierende ist wohl, wie genau sie die Charaktere differenziert und auch bei dem technischen Aspekt des Dubbing in beiden Rollen eine Spontaneität erzielt, die einen richtigen Dialog ermöglicht, auch wenn beide Rollen in zwei Aufnahmesitzungen aufgenommen wurden. Das ist große Kunst.

Die große Enttäuschung kommt am Ende mit dem Liebestod und durch den Vergleich mit der Liveaufnahme von Norman und den Wiener Philharmonikern unter Herbert von Karajan aus dem Jahre 1987. Da liegen Welten zwischen beiden Einspielungen. Hier Sensualität bei Karajan, der Normans Stimme in eine schillernde Klangschatulle hüllt, dort Masur, der mit stumpfer Geste alle Gefühle abtötet. Jessye Norman singt zwar schön und nuancenreich, aber ein Vergleich mit ihrer eigenen Leistung unter Karajan fällt sehr zum Nachteil der Leipziger Aufnahme aus.

Die zweite CD enthält zunächst die Liveaufnahme der Vier letzten Lieder von Richard Strauss (ein Werk, das Jessye Norman erfolgreich im Studio mit Kurt Masur aufgenommen hatte). Hier sind James Levine und die Berliner Philharmoniker ihre Partner. Und zwischen ihnen und der Sängerin kommt es zu einer besonders schönen Chemie, so dass es schwer fällt, sich für die eine oder andere Aufnahme zu entscheiden. Am Ende ziehe ich dann doch die Berliner Philharmoniker dem Gewandhausorchester vor. Wagners Wesendonck Lieder hat Jessye Norman mehrmals aufgenommen, mit und ohne Orchester. Mit James Levine hat sie den Zyklus am Klavier aufgenommen und mit ihm als Dirigenten singt sie auch in diesem Livemitschnitt mit den Berliner Philharmonikern.  Hinsichtlich Gesangskultur und Ausdruckspalette ist dies eine singuläre Leistung.

Im Februar 1994 präsentierten Norman und das Boston Symphony Orchestra mit Seiji Ozawa drei antike Königinnen, Haydns Berenice, Brittens Phaedra und Berlioz’ Cléopâtre. Haydns Berenice braucht nicht unbedingt eine Stimme wie die der Norman, aber der Wirkung ihrer leidenschaftlichen Strahlkraft kann man sich nicht entziehen. Sie gibt auch ‘Phaedra’ die Leidenschaftlichkeit, die dieses kleine Klangdrama verlangt. Mit ihrer brillanten und klar fokussierten Stimme ist sie direkt elektrisierend.

Dann ist noch La mort de Cléopâtre zu hören, eine jener vier Kantaten, die Berlioz in den Jahren 1827 bis 1830 als Kandidat im Wettbewerb für den Prix de Rome schrieb, für die er aber keinen Preis erhielt. Ozawa liefert von diesem dramatischen Werk eine packende Interpretation, und die wiederum exzellente Jessye Norman, die über eine weitgespannte Skala von Ausdrucksmöglichkeiten verfügt, setzt diese in dem nicht einfachen Werk sehr subtil ein. Ich ziehe diese Einspielung der des Teams Norman-Barenboim mit dem Orchestre de Paris vor.

Und so kann man nicht bestreiten, dass Decca mit dieser Dreierbox ein wichtiges Element in die Diskographie von Jessye Norman einbringt, auch wenn Masur im Tristan so entsetzlich versagt.

The list of Jessye Norman’s recordings is long and rich in outstanding interpretations. Nevertheless, there is quite a bit that has been recorded, in the studio or live, that has not been available until now. Some such recordings are now published with this box set.

These include, on the first CD, excerpts from a Tristan production that Jessye Norman abandoned because the first parts of the recording did not satisfy her. The Bocklet states, « Reportedly Norman and Masur did not agree on all musical points, and there are reports of tension in the meetings. »

The audio documents now being released confirm this. Not because Norman’s voice is sometimes strained (but really only very rarely), but because I get the impression that her passionate commitment does not find the appropriate support in Masur’s conducting. There are two quite different levels there. The most detrimental effect comes in the big love scene, where both Masur and the very flat, play-it-safe Thomas Moser seem to slow Norman down. But it is mainly Masur who remains all too much in the background with the orchestra, leaving Wagner’s glorious music colorless.

One of the interesting things about the excerpts from Act 1 is the fact that Jessye Norman sings not only Isolde, but also the role of Brangäne, slightly darkening the timbre of her voice for this role. But the fascinating thing, I suppose, is how precisely she differentiates the characters and, even with the technical aspect of dubbing in both roles, achieves a spontaneity that allows for proper dialogue, even though both roles were recorded in two recording sessions. This is great art.

The big disappointment comes in the Liebestod and by comparison with the 1987 live recording of Norman and the Vienna Philharmonic under Herbert von Karajan. There are worlds between the two recordings. Here sensuality with Karajan, who wraps Norman’s voice in a shimmering sound casket, there Masur, who kills all feelings with blunt gestures. Jessye Norman sings beautifully and with nuance, but a comparison with her own performance under Karajan is very much to the disadvantage of the Leipzig recording.

The second CD first contains the live recording of Richard Strauss’s Four Last Songs (a work she had successfully recorded in the studio with Kurt Masur). Here James Levine and the Berlin Philharmonic are her partners. And there is a particularly nice chemistry between them and the singer, making it hard to choose one recording or the other. In the end, I prefer the Berlin Philharmonic to the Gewandhaus Orchestra. Wagner’s Wesendonck Lieder have been recorded several times by Jessye Norman, with and without orchestra. With James Levine she recorded the cycle on the piano and with him as conductor she also sings in this live recording with the Berlin Philharmonic.  In terms of vocal culture and expressive range, this is a singular achievement.

In February 1994, Norman and the Boston Symphony Orchestra with Seiji Ozawa presented three ancient queens, Haydn’s Berenice, Britten’s Phaedra and Berlioz’s Cléopâtre. Haydn’s Berenice doesn’t necessarily need a voice like Norman’s, but there’s no escaping the effect of her passionate radiance. She also gives the ‘Phaedra’ the passionate quality this little sound drama demands. With her brilliant and clearly focused voice, she is directly electrifying.

Then there is La mort de Cleopâtre, one of those four cantatas Berlioz wrote between 1827 and 1830 as a candidate in the competition for the Prix de Rome, but for which he received no prize. Ozawa delivers a gripping interpretation of this dramatic work, and the again excellent Jessye Norman, who has a wide range of expressive possibilities, uses them very subtly in what is not an easy work. I prefer this recording to that of the Norman-Barenboim team with the Orchestre de Paris.

And so one cannot deny that Decca adds an important element to Jessye Norman’s discography with this triple box, even if Masur fails in the Tristan.

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