Johann Sebastian Bach

Der Leipziger Bach-Forscher Peter Wollny hat im Schütz-Haus Weißenfels eine bisher unbekannte Handschrift von Johann Sebastian Bach entdeckt. Dies teilten jetzt das Bach-Archiv Leipzig und das Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels mit. Fund und Identifizierung gelangen dem Stellvertretenden Direktor des Bach-Archivs Leipzig im Zuge des von seiner Institution seit Anfang 2012 betriebenen und von der Gerda-Henkel-Stiftung Düsseldorf geförderten Forschungsprojekts ‘Bachs Thomaner’.

Die um 1740 entstandene Abschrift einer Messe des italienischen Komponisten Francesco Gasparini (1661–1727) bietet wesentliche Einblicke in Bachs Beschäftigung mit dem sogenannten Stile antico und hilft, die stilistische Neuorientierung seines Schaffens in seinem letzten Lebensjahrzehnt zu verstehen. Francesco Gasparini wirkte als Komponist und Pädagoge in Rom, Bologna und Venedig und schuf zahlreiche von seinen Zeitgenossen hoch geschätzte Opern, Kammerkantaten und Kirchenstücke.

Die Quelle enthält eindeutige Indizien dafür, dass Bach Gasparinis Werk in den beiden Leipziger Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai mehrfach aufgeführt hat. Bach verwendete für seine Abschrift das gleiche Papier wie für den zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers. Dieser Befund sowie spezifische schriftkundliche Merkmale erlauben eine Datierung auf die Zeit um 1740. Spätere Zusätze beweisen, dass Bach das Werk ausgiebig studiert und wiederholt in den beiden Leipziger Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai aufgeführt hat. Die verschiedenen, offenbar abwechselnd eingesetzten Instrumentalgruppen bezeugen sein Bemühen um eine wirkungsvolle klangliche Realisierung des komplexen kontrapunktischen Gewebes.

Die Bedeutung des Quellenfundes sei kaum zu überschätzen, heisst es aus dem Bach-Archiv: Um 1740 – zu Beginn seines letzten Lebensjahrzehnts – entwickelte Bach einen neuen Kompositionsstil, der sich durch die verstärkte Verwendung der polyphonen Satztechnik, durch eine Vorliebe für die intrikate Setzkunst des Kanons und schließlich durch einen ausgesprochenen Pluralismus der Stile auszeichnet. In dieser Phase der Neuorientierung setzte Bach sich intensiv mit Werken anderer Meister auseinander, in denen die genannten Tendenzen besonders deutlich zutage traten. Die Missa canonica von Francesco Gasparini erscheint somit als ein aufschlussreiches Vorbild für die Kanonkunst und strenge Polyphonie in Bachs Spätwerk, wie sie uns etwa im Musikalischen Opfer, in der Kunst der Fuge und in der h-Moll-Messe begegnet.

Die Handschrift wird vom 7. Juni bis zum 14. Juli 2013 im Schütz-Haus.

www.bach-leipzig.de

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