Peter Sellars

Bach’s St Matthew Passion in the staging by Peter Sellars is one of the landmarks of the Simon Rattle era with the Berliner Philharmoniker. In this haunting version, Bach’s monumental work is not only explored from a new perspective; in a way never seen before, the Philharmonie itself proved to be a great venue for staged performances. The Berlin Philharmonic is now offering this production free in its Digital Concert Hall. This recording comes from the second series of performances in October 2013. https://www.digitalconcerthall.com/en/concert/16913

Remy Franck wrote about the production released on DVD: « Johann Sebastian Bachs ‘Matthäus-Passion’ verwandelte John Neumeier bereits 1980 in ein Ballett. Peter Sellars realisierte in Berlin und Salzburg eine halbszenische ‘Ritualisierung’.

Was der Zuschauer am Bildschirm erlebt, hat kein Zuschauer im Saal so gesehen. Die zahlreichen Kameras sind in dieser Ritualisierung ein essentielles Element. Die Intensivierung von Text und Musik erreicht Sellars durch Bewegung, durch Blicke, durch Gesten, durch Berührungen. Das kann nur die Kamera in ganzer Deutlichkeit transportieren, aufbauend auf Bachs genialer Musik, die bei dem Ganzen immer im Mittelpunkt bleibt. Dafür sorgt Simon Rattle als musikalisch Verantwortlicher zwischen umher wandernden Chorsängern, den solistischen Sängerdarstellern, den Instrumentalsolisten, den partiturgetreu in zwei Orchester aufgeteilten Berliner Philharmonikern und der Continuo-Gruppe mit Cello, Orgel, Laute und Theorbe.

An Requisiten gibt es nur eine durch die Kamera sternförmig leuchtende Glühbirne sowie einige Quader und Würfel, die kleineren sind Sitzgelegenheiten, der größere Abendmahltisch, Opferaltar und Sarg.

Zentralpunkt in dem Ganzen ist – neben Rattle – der Evangelist. Mark Padmore ist nicht nur stimmlich überragend – und in der Textdramatisierung einer der besten Evangelisten überhaupt, er ist auch darstellerisch großartig. Er hat nämlich nicht nur seinen Part zu rezitieren, sondern spielt auch in Sellars’ Ritualisierung die Rolle des Jesus – während Christian Gerhaher, der Sänger des Christus, statisch einige Meter über dem Geschehen steht.

Simon Rattle
(c) Sébastien Grébille/Philharmonie Luxembourg

Padmores schauspielerische Ausdruckskraft steht jener seines Gesangs in nichts nach. Sellars’ Regie lebt, wie gesagt von Blicken, von Mimik, aber auch von signifikanten Gesten wie z.B. dem Judaskuss, den der Verräter Christus nicht auf die Wange gibt, sondern auf den Mund. Es gibt viele Details, die man hier auflisten könnte, um zu zeigen, mit welchen Mitteln Sellars der Matthäuspassion eine tiefere Bedeutung gibt, wie er durch eine Stärkung der Innenspannung Gefühl und vor allem Mitgefühl erzeugt, weil die letzten Stunden Christi mit ihrer ganzen Angst und Verzweiflung ihrer Unerbittlichkeit, ihrer Gewalt und ihrer ganzen spirituellen Dimension vor uns aufleben.

Rattles Bach ist leicht, transparent, farbig, oft tänzerisch. Die größten Wirkungen aber erzeugt der Dirigent aus seiner dynamisch weit gestreckten musikalischen Leitung, vom feinsten Piano bis zum dramatischsten Fortissimo. Das Orchester spielt hervorragend, die Instrumentalsolisten sind in dieser kammermusikalisch aufbereiteten Passion Sänger auf ihren Instrumenten. Die Chöre sind über ihr schauspielerisches Potenzial hinaus, von phänomenaler vokaler Wirkung. Neben Gerhaher und Padmore sind die hoch schwangere Camilla Tilling, Magdalena Kozena, Topi Lehtipuu und Thomas Quasthoff tragende Elemente der einmalig guten Produktion, die auch dem, der die Matthäuspassion gut zu kennen glaubt, eine neue Sicht der Dinge erlaubt.

Simon Rattle sagte rückblickend, diese Aufführungen der Matthäus-Passion seien, « das Wichtigste, was wir hier je gemacht haben ». Es ist aber vielleicht noch mehr, es ist dies das vielleicht Wichtigste, was der Matthäuspassion widerfahren ist, seit sie ihren Triumphzug um die Welt antrat, im Jahr 1829, als sie Felix Mendelssohn Bartholdy der Vergessenheit entriss. Die Emotionen, die hier transportiert werden, sind in Worten nicht zu beschreiben. Das muss man erlebt habe, jeder für sich, jeder von seinem Standpunkt aus. Mich hat der Film völlig überwältigt und sich als unauslöschliches Erlebnis eingeprägt und als eines der schönsten in über fünfzig Jahren Musikhören. »

  • Pizzicato

  • Archives