SWRmusic – 25th Anniversary: Legendary Recordings; Werkliste siehe unten/ works, see underneath; SWR Symphonieorchester, SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, SWR Vokalensemble, Clara Haskil, Hans Rosbaud, Michael Gielen, Carl Schuricht, Roger Norrington, Eliahu Inbal, Marcus Creed; # SWR Classic SWR19437CD; Aufnahmen 1952-2018, Veröffentlichung 13.06. - 11.7.2025 (73'19, 57'34, 68'54, 72'01 65'29, 58'18) - Rezensionen von Remy Franck, Guy Wagner, Alain Steffen, Norbert Tischer

Das Label SWR Classic feiert sein 25-jähriges Bestehen und veröffentlicht eine Zusammenstellung von Aufnahmen, die vom Herausgeber als legendär angesehen werden. Die Auswahl muss aufgrund des vorhandenen Materials schwierig gewesen sein und ich hätte wohl, wenn ich mir die Pizzicato-Rezensionen ansehe, eine andere Auswahl getroffen. Was die Dirigenten anbelangt, fehlt einer ganz besonders, Sylvain Cambreling, von dem es zahllose herausragende Aufnahmen mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg gibt. Doch kommen wir nun zu den vorliegenden sechs Alben.

(Remy Franck) – Aus der Kollektion der zwölf Londoner-Symphonien, gespielt vom Radio-Sinfonieorchester Stuttgart unter Roger Norrington wurde eine Auswahl zusammengestellt. Die Aufnahmen sind kammermusikalisch transparent, pulsierend und lebendig, höchst fantasievoll, leicht und locker. Mit einer wunderbaren Balance zwischen den einzelnen Instrumentengruppen leben sie von Haydns und Norringtons Vitalität, von Haydns und Norringtons Humor. Freche Blechbläser, keckes Holz und agile Streicher zeigen pure Spiellust in den reichen ersten Sätzen, in wunderbar lyrischen langsamen Teilen, tänzerischen Menuetten und quirlig-prickelnden Finalsätzen. Nicht nur im Andante der Symphonie mit dem Paukenschlag (Surprise) zeigt Norrington seinen ganz besonderen Spürsinn für Haydns subtile klangliche Scherze, beim ihm könnten alle Symphonien den Beinamen Surprise tragen.

(Alain Steffen) – Wenn man von Clara Haskil spricht, denkt man natürlich unweigerlich an Mozart und ihre wunderbaren Aufnahmen mit Ferenc Fricsay und Igor Markhevich. Ihre große Zeit erlebte die zierliche, von einer Wirbelsäulenverkrümmung behinderte Pianistin in den Fünfzigerjahren. Ihr Mozart ist nach wie vor von einer zeitlosen Schönheit, der allen Trends der vergangenen vier Jahrzehnte trotzen konnte. Haskils Interpretationen sind nicht gealtert, das Spiel ist frisch und ehrlich wie am ersten Tag. Mozarts Musik erklingt mit einer Selbstverständlichkeit, einem untrüglichen Sinn für das Wesentliche, einem Feeling, alles Charakteristika, die nur wenige Künstler auszeichnen. Die beiden hier vorliegenden Konzerte zeigen Clara Haskils Spiel von ihrer schönsten, im Live-Konzert allerdings nicht von ihrer technisch besten Seite. Hinsichtlich ihrer wirklich großartigen Interpretation des Klavierkonzerts Nr. 19 fallen einige spielerische Ungereimtheiten kaum ins Gewicht.

Mit einem Augenzwinkern und viel jugendlichem Charme besticht Clara Haskil in neunten Konzert und baut einen unkonventionellen, lebendigen Dialog zu dem Dirigenten Carl Schuricht auf. Schuricht, zum Zeitpunkt der Aufnahmen immerhin schon zweiundsiebzig resp. sechsundsiebzig Jahre auf reagiert mit derselben jugendlichen Frische wie seine um fünfzehn Jahre jüngere Partnerin. Großartig ist ebenfalls Schurichts Begleitung in dem anspruchsvolleren 19. Klavierkonzert, wo er alle Register seines kapellmeisterlichen Könnens aufbietet und wiederum als sensibler Begleiter und Partner agiert.

(Guy Wagner) – Pizzicato hat bereits mehrmals auf die beeindruckenden Einspielungen der Mahler-Symphonien durch Michael Gielen hingewiesen und ihren Ausnahmecharakter hervorgehoben. Aus der Gesamtaufnahme wurde für diese Box die 5. Symphonie ausgewählt.

Im gesamten Zyklus wird die innere Geschlossenheit dieser Gesamteinspielung einsichtig. Vor allem wird deutlich, wie Gielen imstande ist, die Strukturen der Musik aufzuhellen, die Werke fast Röntgenartig zu durchleuchten, ohne sie aber zu Gerippen werden zu lassen, im Gegenteil: Die Sinnlichkeit des Klanges verbindet sich bei ihm mit einer Klarsicht der Auslegung, die seine Arbeit zu einer der faszinierendsten Auseinandersetzungen seit langem machen.

Auffallend an der Interpretation der fünften Symphonie ist Gielens fast besessener Wille, jede Sentimentalität zu vermeiden. Das wird besonders einsichtig beim berühmten Adagietto, hier wohl eines der schnellsten der gesamten Mahler-Literatur. Dennoch wirkt es nicht hektisch, nur zügig, und vor allem, unaffektiert. Gleiches gilt für das Finale, in dem sich Gielen ebenfalls gegen jede Überspitzung wehrt. Zudem muss man begrüßen, dass Gielen die beiden Anfangssätze besonders klar herausmeißelt und ohne den üblichen Pathos auskommt. Er macht dafür einsichtig, wie durchdacht und komplex der Wandel von den Symphonien mit Stimmen zu den rein instrumentalen Werken der mittleren Periode ist, die Gielen besonders akkurat gestaltet, und wie sehr Mahler mit sich und seiner Musik gerungen hat.

(Norbert Tischer) – Von Hans Rosbaud enthält die Geburtstagsbox eine Zusammenstellung von Wagner-Ouvertüren und Vorspielen mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, aufgenommen zwischen 1955 und 1059. Die Monoaufnahmen sind von entsprechend guter Qualität, die Interpolationen sind korrekt und vor allem in den ruhigeren Stücken (Lohengrin, Meistersinger III und Parsifal) gut und tief empfunden. Leider klingt das Orchester spieltechnisch nicht immer besonders gut.

(Remy Franck) – Neben sieben Motetten erklingt auf dem Bruckner-Album mit dem SW Vokalensemble unter Marcus Creed die e-Moll-Messe für achtstimmigen Chor und Bläser (1866). Sie entstand im Auftrag des Linzer Bischofs Franz Rudiger, der Bruckner als Organist schon sehr bewundert und vehement gefördert hatte, seine Improvisationskunst auch ausgesprochen schätzte und um ein Stück zur Einweihung der Votivkapelle des neuen Linzer Doms gebeten hatte. Die schwebend angelegten, wunderbar ausbalancierten Interpretationen sind von größter Sensibilität und lassen Bruckners Chormusik transparent zu schönster und eindringlichster Wirkung kommen.

(Remy Franck) – Das sechste Album dieser Box ist enttäuschend. Eliahu Inbal dirigiert Shostakovichs 11. Symphonie, über deren Programm und die versteckte Botschaft, die sie vermitteln könnte, viel gerätselt worden ist. Doch ist es so wichtig, ob Shostakovich in diesem Werk die Folgen der Revolution anprangern wollte, die er mit seiner Musik beschreibt? Sollten wir wirklich in ihr mehr sehen als die dramatische Symphonie, die die blutigen Ereignisse des Jahres 1905 in St. Petersburg beschreibt? Dem Werk ist m.E. mit einer purifizierenden, intellektuellen Interpretation gar nicht beizukommen. Es braucht, um zu wirken, ein möglichst spannungsgeladenes, elektrisierendes, atmosphärisch dichtes Spiel. Eliahu Inbal ist das in seiner Wiener Aufnahme bei Denon von 1992 sehr gut gelungen. Er realisiert darin die Symphonie mit ausgesprochen viel Gespür für dramatische Abläufe, für Spannung und Entspannung und er gibt ihr einen inneren Zusammenhalt.

All das hat seine Neueinspielung mit dem (technisch exzellenten) SWR-Orchester aus Stuttgart nicht mehr. Sie wirkt wie aus Einzelteilen zusammengekittet. Ohne wirklichen Entwicklungsprozess, ohne übergreifendes Atmen ergibt sie kein Ganzes. Wer eine gute 11. Shostakovich sucht, sollte sich die alte Denon-Aufnahme besorgen, oder, besser noch, jene mit dem Gürzenich Orchester unter Kitajenko (Capriccio C71036).

Disc 1 (73’19)
Roger Norrington dirigiert Haydn
Symphonie Nr. 94 G-Dur, Hob.I:94, Mit dem Paukenschlag
Symphonie Nr. 98 B-Dur, Hob.I:98
Symphonie Nr. 102 B-Dur, Hob.I:102
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Roger Norrington

Disc 2 (57’34)
Clara Haskil spielt WOLFGANG AMADEUS MOZART
Klavierkonzert Nr. 9 KV 271, Jeunehomme
Klavierkonzert Nr. 19 KV 459
Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR · Carl Schuricht

Disc 3 (68’54)
MICHAEL GIELEN dirigiert GUSTAV MAHLER
Symphonie Nr. 5 cis-Moll
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg

Disc 4 (72’01)
HANS ROSBAUD dirigiert RICHARD WAGNER
Rienzi – Ouvertüre
Der fliegende Holländer – Ouvertüre
Tannhäuser – Ouvertüre
Lohengrin – Vorspiel zum 1. Akt
Lohengrin – Vorspiel zum 3. Akt
Die Meistersinger von Nürnberg – Einleitung zum 3. Akt
Parsifal – Vorspiel
SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, Hans Rosbaud

Disc 5 (65’29)
SWR VOKALENSEMBLE singt ANTON BRUCKNER
Motetten
Messe Nr. 2 in e-Moll WAB 27
Mitglieder des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR
Markus Creed

Disc 6 (58’18)
Eliahu Inbal dirigiert DMITRI SHOSTAKOVICH
Symphonie Nr. 11 g-Moll op. 103, Das Jahr 1905
SWR Symphonieorchester, Eliahu Inbal

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