Ilya Gringolts
(c) Mats Baecker

Am 14. Januar wäre der Dirigent Mariss Jansons 77 geworden. Nun erlebte der Kammermusiksaal der Philharmonie in Luxemburg auf einem unerwarteten Feld eine unausgesprochene Hommage an diesen großen Dirigenten, schreibt Uwe Krusch.

Wie Jansons, der sich auch zu Lasten seines eigenen Lebens der Vermittlung und dem Er-Leben der Musik verschrieben hatte, gestaltete Ilya Gringolts mit drei Werkzyklen einen Abend, der ihm selbst, dem Publikum und auch seiner Geige, einer Guarneri del Jesu, und dem Bogen alles abverlangte.

Ein ganzes Konzert allein als einzelner Musiker zu bestreiten, ist eine Herausforderung. Da ein Geiger dabei auch steht, hat das auch einen rein körperlichen Aspekt. Da gilt umso mehr, wenn die ausgewählten Werke zusammen etwa 90 Minuten reine Spielzeit ergeben. Dass der Solist bis zum letzten Ton und dann auch noch bei der nicht eben leichten Zugabe keine Ermattung zeigte, außer dem Wechsel des Hemdes in der Pause, spricht für die herausragenden Qualitäten dieses Violinisten.

Die Basis der modernen Musik für Violine solo hat Nicolo Paganini mit seinen 24 Capricen geschaffen, die damals im wahrsten Sinne Unerhörtes boten, weil Paganini die Techniken nicht nur ausreizte, sondern neue Praktiken einführte bzw. die bestehenden so intensivierte, dass sie als neu gelten konnten. Dieses Kaleidoskop ist bis heute Anknüpfungspunkt für Kompositionen dieser Art. Solche Bezüge finden sich zuhauf in den sechs Capricci von Salvatore Sciarrino und den Études für Violine solo von Jörg Widmann. In beiden Zyklen finden sich Hinweise bis hin zu zitathaften Momenten auf diese Werkreihe des Genueser Musikers.

Dabei hatte Gringolts einen klugen Weg gewählt. Er nahm nur acht der Stücke von Paganini ins Programm, die eine breite Palette der gestalterischen Mittel zeigten und stellte sie den anderen Zyklen gegenüber. Dabei reihte er die Kompositionen nicht einfach aneinander, sondern kombinierte sie thematisch oder stilistisch so aufeinander, dass man mitunter schon sehr genau hinhören musste, um zu wissen, wo er sich gerade im Programmablauf befand. Dabei teilte er seinen Auftritt in zwei in sich geschlossene Abschnitte, die nicht nur äußerlich durch ein weißes bzw. ein schwarzes Hemd gekennzeichnet waren. Wenn man einer Farbmystik anhängt, dann entsprachen die beiden Tönungen nicht dem Gespielten, sondern widersprachen ihm eher. Die ‘weiße’ Seite war durch den schrofferen, kratzigen Auftritt gekennzeichnet, die ‘schwarze’ erschien dann eher melodisch und konziliant.

Mir erschien es so, dass Gringolts gerade vor der Pause zu kraftvoll agierte. Im Sport würde man dieses Vorgehen wohl als Pressing kennen. Zwar ist insbesondere in den jüngeren Werken auch zu guten Teilen eine geräuschhafte Szenerie hineinkomponiert, wie etwa mit Bogenstrichen hinter dem Steg oder kreisend schleifenden Bewegungen über dem Griffbrett oder auch dem Fingerklopfen auf dem Corpus. Doch der Hörvergleich mit den Etüden von Widmann und den Capricci von Sciarrino mit der Aufnahme von Carolin Widmann zeigt, dass diese die Werke schöner im Sinne eines geigerischen Klangs spielt, ohne die Werke deswegen ihres Reizes zu berauben. Gringolts trieb diese Schroffheit soweit, dass auch der Paganini wie Sciarrino oder Widmann klang und man sich fragen konnte, ob das Paganini war oder eine Bearbeitung.

Ilya Gringolts
(c) Mats Baecker

Nach der Pause bekam das Publikum dann tatsächlich Paganini zu hören, wie man ihn eher gewohnt ist. Der Vorteil dieser Sicht ist, dass Gringolts keine Null-acht-fünfzehn Leistung abliefert. Seine tiefe, schon in der Kindheit begründete Nähe zu Paganini war auch daran erkennbar, dass er diesen auswendig spielte. Und seine Deutungen sind weit entfernt von Zirsensik, so überwältigend sie auch von seinen Fähigkeiten her angeboten werden. Bei seinen mitunter fast nachdenklichen Hörangeboten kann man diesen Werken ganz neue Schichten abgewinnen. Doch auch die beiden anderen Werkreihen erlebten so mitreißende Interpretationen, dass das zahlenmäßig überschaubare Publikum nahezu atemlos und gebannt diesem einmaligen Erlebnis folgte.

Ach ja, zum Publikum. Da gab es wieder einige Störungen zu berichten. In den ersten Reihen saßen zwei Frauengruppen, die sich vor der Pause durch Lachen und Gelaber hervortaten, also zu erkennen gaben, dass sie dem Geschehen intellektuell nicht gewachsen waren. Vielleicht hatten sie ein Konzert eines langhaarigen Säuselgeigers erwartet. Zum Glück hatte das eine Grüppchen wohl das Konzert in der Pause verlassen, so dass im zweiten Teil nur noch das Mobiltelefon aus der anderen Gruppe die Impertinenz zeigen konnte. Auch wenig einfühlsam war der Herr in der Mitte der sechsten Reihe, der abwechselnd mit beiden Armen den Verlauf mitzeichnete. Dass er das mit viel Können und tiefem Wissen um die Werke machte, macht es nicht besser. Denn wer mittig im Gesichtsfeld des Solisten sitzt, kann mit solch auffälligen Hampeleien sicher nur irritierend einwirken. Denn gerade im Kammermusiksaal werden nicht nur alle Töne von der Bühne ins Auditorium getragen, sondern kommen umgekehrt auch alle Geräusche und auch Bewegungen auf der Bühne an.

Doch zurück zum eigentlichen Geschehen. Dieses Konzert war sicherlich ein einmaliges Erlebnis der Extraklasse mit einem bis in den letzten Zipfel seines Körpers hinein engagierten und beseelten Musiker. Trotz der kräftemäßigen Übertreibungen und dadurch bedingter tonlicher Schärfungen zeugen die Interpretationen von intensiver Auseinandersetzung und tiefem Verständnis für die Werke sowie gnadenlos sicherer Beherrschung des Instruments. Leider widmete sich nur eine begrenzte Zuhörschaft diesem, trotz aller modernen Töne und Geräusche, tollen Genuss; aber vielleicht war es auch besser so, da eben fast nur diejenigen kamen, die es auch zu würdigen wussten. Und so gilt der von Guido Fischer im Programmheft von Jörg Widmann zitierte Satz: „Für mich ist Virtuosität: Staunen! … staunen! Wie ein Kind.“ Ja, staunen, das konnte, durfte und musste man.

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