Time & Eternity; John Zorn: Kol Nidre für Violine & Orchester; Karl Amadeus Hartmann: Violinkonzert Concerto funebre; Frank Martin: Polyptyque für Violine & 2 Streichorchester; Lubos Fiser: Crux für Violine, Pauken, Glocken; Johann Sebastian Bach: Choral-Transkriptionen für Streichorchester (Als Jesus Christus in der Nacht BWV 265; Ach großer König & Durch dein Gefängnis & Wer hat dich so geschlagen & O große Lieb, aus der Johannes-Passion BWV 245); Monika Würsten, Sarah Würsten, Beata Würsten, Gesang, Wieslaw Pipczynski, Akkordeon, Peter Fleischlin, Schlagzeug, Patricia Kopatchinskaja, Camerata Bern; 1 CD Alpha 545; Aufnahme 2018, Veröffentlichung  09/2019 (76') – Rezension von Remy Franck

« Diese Musik besteht aus dem Blut und den Tränen gequälter Seelen: ein erstickter Schrei, Stimmen, die inmitten einer verängstigten Stille murmeln, die Geräusche des Krieges in einer improvisierten Kadenz. Es geht um uns, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft », schreibt Patricia Kopatchinskaja zu dieser CD, ihrer ersten als Künstlerische Leiterin der Camerata Bern.

Das Programm beginnt mit Kol Nidre, dem Einführungsgebet zum Yom Kippur, das von einem Kantor der jüdischen Gemeinde gelesen wird. Es folgt das gleichnamige Stück von John Zorn (*1953) mit einer Musik von elegischer Tiefe. Danach hören wir das hebräische Lied Eliyahu hanavi (Elias der Prophet) gesungen von den Schwestern Würsten, ehe uns die ganze emotionale Wucht von Karl Amadeus Hartmanns Concerto funebre erreicht. In diesem 1939 komponierten Werk bringt Hartmann seine Entrüstung über den Naziterror zum Ausdruck. Kopatchinskaja und die Camerata Bern bringen die Musik zum Glühen, lassen sie aber auch bissig attackieren.

Ein weiteres Lied mit den Schwestern Würsten und dem Akkordeonvirtuosen  Wieslaw Pipczynski sowie ein Text mit dem polnischen Priester Wojciech Mariuszewski leiten über zu Tadeusz Syguietynskis Meditation Zwei Herzen.

Das von Yehudi Menuhin in Auftrag gegebene Polyptyque von Frank Martin ist für Violine und zwei kleine Streichorchester geschrieben und thematisiert sechs Szenen aus der Passion Christi. Hier wird es umrahmt bzw. getrennt durch den Kyrie von Guillaume de Machaut (1300-1377) und Transkriptionen von Bach-Chorälen. Auch dies ist eine emotional von Kopatchinskaja tief ausgelotete Strecke mit dem Hauptaugenmerk auf Martins Polyptyque, einem Stück, so sagt die Geigerin, « über Gottes Leiden und das Leid, das er ertragen musste, um die ewige Erlösung für die Menschheit zu erlangen ». Die Vermischung der Musik lässt Martins Werk noch viel stärker wirken als sonst.

Auch Crux des tschechischen Komponisten Lubos Fiser (1935-1999) ist in die Martin-Bilder eingebaut. Es ist eine Darstellung der  Kreuzigungsszene, die aus seinem Requiem stammt, das als Reaktion auf die brutale Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjets 1968 geschrieben wurde. Es ist ein Duo für Geige und Schlagzeug, das Kopatchinskaja und Peter Fleischlin intensiv gestalten.

Nach einer Lesung durch einen russisch-orthodoxen Priester endet das Programm mit einer Transkription eines Chores aus der Johannespassion für Streichorchester « als hoffnungsvoller Aufruf zur ewigen Erlösung. »

Eine starkes Konzept und eine starke CD!

About this CD, Patricia Kopatchinskaja says: « This music is made out of the blood and tears of tortured souls: a strangled scream, voices muttering amid a terrified silence, the sounds of war in an improvised cadenza. It is about us, our past and our future. »
The programme begins with the prayer Kol Nidre read by a cantor of the Jewish community, followed by John Zorn’s piece of the same name. It’s music of elegiac depth. We hear the Hebrew song Eliyahu hanavi sung by the Würsten sisters, and then all the emotional force of Karl Amadeus Hartmann’s Concerto funebre reaches us. Kopatchinskaja and the Camerata Bern make the music glow.
Another song with the Würsten sisters and the accordion virtuoso Wieslaw Pipczynski as well as a text with the Polish priest Wojciech Mariuszewski lead to Tadeusz Syguietynski’s Meditation Two Hearts.
Frank Martin’s Polyptyque was commissioned by Yehudi Menuhin and is written for violin and two small string orchestras. The work presents six scenes from the Passion of Christ. Here it is framed or separated by the Kyrie by Guillaume de Machaut and transcriptions of Bach chorales. For Kopatchinskaja it is an emotional journey.
Crux by the Czech composer Lubos Fiser is also included in Martin’s composition. It is a depiction of the crucifixion scene from his Requiem, written for violin and percussion that Kopatchinskaja and Peter Fleischlin perform intensively.
After a reading by a Russian Orthodox priest, the program ends with a transcription of a choir from the St. John Passion for string orchestra « as a hopeful call to eternal salvation ». A strong concept and a strong CD!

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