Johannes Brahms: Symphonien Nr. 1 & 3; Clara Wieck Schumann: Lieder; Felicity Lott, Wolfgang Holzmair, Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi, John Axelrod; 2 CDs Telarc 34659; 2013 (o.A.) – Rezension von Remy Franck

Konsequenter noch als in den Brahms-Symphonien Nr. 2 und 4 (Rezension) geht John Axelrod mit der Ersten und der Dritten seinen ganz persönlichen Weg, um der verschlungenen Ausdrucksweise des Komponisten gerecht zu werden und in der c-Moll-Symphonie den Charakter der ‘Schwergeburt’ deutlich zu machen: Schwer lastet die Bürde auf Johannes Brahms. Die Musik kommt nur schwerfällig voran. Doch dann fasst er Mut. Mit Entschlossenheit bringt er den ‘Karren’ ins Rollen. Das organische Wachsen des Satzes beinhaltet aber auch immer wieder Nachdenklichkeit, als blicke er sich um, ob ihm der Geist Beethovens nicht mit dem Hammer folge… Ist das der Weg? Umso dezidierter treibt der Dirigent dann das Gespann wieder vorwärts. Spannung baut sich auf, nimmt ab, die Verfinsterung der Stimmung wird durch agogischen Ausdruck verschärft. Ein Versuch der Leichtfüßigkeit scheitert. Die Oboe beklagt es. Fast grimmig reißen die tiefen Streicher wieder an, der Zerfall ist umso schmerzlicher.

Auch im langsamen Satz wird das schwere Atmen betont, werden Streicherkantilenen schmerzlich ausgesungen, selbst wenn die Oboe etwas schwärmerisch sein darf. Der dritte Satz spielt als zügig genommenes Allegretto-Intermezzo seine wirkliche Rolle.

Ganz fahle Klangfarben gibt es am Anfang des Finalsatzes. Das abgründig-ungewisse Moment der Einleitung wird ergreifend herausgeschält. Der Ruf des Alphorns und die Wiederholung durch die Flöte klingen dann seltsam matt und müde. Nichts Mystisches, nichts Erlösendes gibt es hier! Tief empfunden und nicht vorzeitig alle Reserven aufbrauchend beginnt das Allegro non troppo. Die Gegensätze dieses dramatischen Satzes werden großartig herausgearbeitet, und die Stretta wirkt nicht aufgesetzt, sondern bekommt ihren Siegescharakter als Brahmsscher Befreiungsstoß.
Wer die CD mit der Dritten Symphonie in seinen Player legt, begibt sich auf eine abenteuerliche Reise. Mit mächtig wogenden Klangwellen beginnt das Werk, auf dem Streicherschiff tanzen die Holzblasinstrumente. Die Sicherheit, mit der Axelrod Dynamik, Tempi und Ausdruckskraft verbindet, führt zu einer organischen Verschmelzung des Materials, so, dass zwischen den gross-symphonischen und den kammermusikalisch feinen Teilen des ersten Satzes keine Brüche entstehen. Axelrods ausgeklügeltes Rubatospiel ruft unweigerlich Erinnerungen an Mengelberg und Knappertsbusch hervor. Und weil er die Melodiestränge nicht einfach auffächert und in Transparenz verschwimmen lässt, sondern die Stränge in sich bündelt, kommen Klangwirkungen zustande, wie ich sie definitiv in diesem Werk noch nicht gehört habe.
Der Mär, das Andante sei von geringerem Gewicht, ein Intermezzo bloß, setzen John Axelrod und sein italienisches Orchester ein kräftiges ‘Non è vero’ entgegen. Es passiert viel Spannendes hier, denn Axelrod lässt grosse Gefühle zu. Im Mittelteil kommt etwas wie Verlorenheit auf.

Im Poco Allegretto legt der Dirigent das Gewicht auf ‘poco’ und traut sich zu einem recht langsamen Tempo, indem er die Musik gestisch am Leben erhält. Keine Schwere kommt auf, die Expansionsfähigkeit der Musik wird wirkungsvoll ausgenutzt. Mit majestätisch-heroischem Elan und einer spannungsgeladenen Coda wird die Symphonie abgeschlossen.

In den Liedern von Clara Schumann, die John Axelrod den Symphonien folgen lässt, kann man einmal mehr die gestalterische Überlegenheit von Felicity Lott und die Ausdruckswärme von Wolfgang Holzmair bewundern, auch wenn die Stimmen ihren Leistungszenith überschritten haben.

Und am Ende darf auch nicht verschwiegen werden, dass im Eifer des leidenschaftlichen Musizierens im Orchester das Reinheitsgebot nicht immer vollständig beachtet wird. Aber wer würde nach klinischer Sauberkeit verlangen, wenn die Seele so sehr mit der überschwänglichen Intensität des Ausdrucks beschäftigt ist?

John Axelrod’s Brahms is far from any current mainstream. Going back to such a rubato technique as it was used by Knappertsbusch and Mengelberg, the conductor allows big feelings in an overall meaningful and rhetoric orchestral playing.

 

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