Die Pianistin Sophie Pacini, Beethoven-Botschafterin von BR Klassik, hat die Bedeutung des Komponisten im Zusammenhang mit der Corona-Krise untersucht. Den Text hat sie Pizzicato freundlicherweise zur Veröffentlichung überlassen.

Sophie Pacini

Ist diese Zeit gerade eine eindringliche Botschaft an uns? Will Beethoven gerade deutlicher zu uns durchdringen, als durch das zirkulierende, permanent-Spiel seiner Werke? Brauchen wir Taubheit für das Werte-Verständnis von Anhörung?

Ausgerechnet im Beethoven-Jahr sind wir zur „Stille“ verbannt. Wir waren es gewöhnt, in Endlosschleife zu hören, fast nicht mehr in der Lage zu sein, all die Höreindrücke, die uns täglich umgeben, mit Emotionen zu verbinden, sie in uns zu verankern, sie in Botschaften an unser eigenes Leben umzuwandeln, die gehörte Vergangenheit mit der Gegenwart zu verbinden, um die Zukunft auszumalen. Wir haben angefangen, uns „Relax“-Apps herunterzuladen, die wir hören, um Ruhe um uns zu kreieren. Dieses Sinnesorgan, das wir wertvoll einsetzen sollten, um Geschehen wahrzunehmen, noch bevor wir sie visuell einsortieren können, wurde übertönt.


Wir haben angefangen, uns vor der Leere zu fürchten, die einsetzen würde, wenn wir nicht mehr ständig beschallt werden, wenn wir nicht mehr ständig unsere Gedanken von den menschlichen, uns täglich umgeben Ängsten ablenken können.


Wir haben angefangen, uns vor der Leere zu fürchten, die einsetzen würde, wenn wir nicht mehr ständig beschallt werden, wenn wir nicht mehr ständig unsere Gedanken von den menschlichen, uns täglich umgeben Ängsten ablenken können. Ängste, die wir anfingen, mit Stille zu verbinden, wiewohl sie doch wichtig sind, um aus ihnen zu lernen und mit ihnen umzugehen, sie für unseren Fortschritt zu nutzen.

Sophie Pacini

Wir sind geflohen vor dem Strudel der Zeit, der anfing, uns einzuholen, in der Hoffnung, zu laufen, unsere Ohren zuzuhalten mit Dauerbeschallung und somit der „Stille“ zu entkommen. Und nun wurden wir eingeholt von der Gewalt des Höheren, von einer Macht, vor der wir nicht mehr fliehen können. Was wir als selbstverständlich hingenommen haben, steht nun still. Wir haben nicht gelernt, uns zuvor mit diesem Gefühl auseinanderzusetzen, wir sind überfordert, wir sind in ungewisser Starre.


Ist es Ironie des Schicksals, dass wir in dem Jahr, in dem wir das Genie Beethovens jederzeit, allerorten, tönend zelebrieren wollten, „ertaubt“ wurden? Wir wollen uns noch nicht so recht daran gewöhnen, wir streamen aus jedem Haushalt, in jeder Tonqualität, in jeder Lebenslage und zwangsbeglücken teilweise auch Menschen, die sich gerade andere Wunden lecken.


Ist es Ironie des Schicksals, dass wir in dem Jahr, in dem wir das Genie Beethovens jederzeit, allerorten, tönend zelebrieren wollten, „ertaubt“ wurden? Wir wollen uns noch nicht so recht daran gewöhnen, wir streamen aus jedem Haushalt, in jeder Tonqualität, in jeder Lebenslage und zwangsbeglücken teilweise auch Menschen, die sich gerade andere Wunden lecken. Wir übersehen bei all diesem Tun, als Künstler vermeintlich alles beim Alten zu lassen, aber gerade die Tatsache, dass die Botschaft von Beethoven eine andere ist: dass er Musik als verbindendes Element verstand, das von der Tiefe aufgebaut ist, das perfektionistisch ausgefeilt ist, das niemals ziellos und niemals sinnlos durch unsere Seele ziehen darf. Jeder Mensch wird bei sich selbst abgeholt, wenn er bereit ist, in seiner eigenen inneren Stille zu graben, welche Ecke seiner Gefühlswelt beleuchtet werden soll. Musik ist nicht jederzeit und allerorten möglich, sie vereint die Werte von Sensibilität, Rarität und Integrität in sich und ein gemeinsames Erleben des Erhabenen.


Ist die Botschaft Beethovens Schaffens vielleicht die, dass Klang einer Harmonie des Geistes bedarf, die nur einen Raum voll Stille füllt? Dass eine Hürde nur dann eine ist, wenn wir sie als solche wahrnehmen?


Ludwig van Beethoven, 1819, von Joseph Karl Stieler

Ist die Botschaft Beethovens Schaffens vielleicht die, dass Klang einer Harmonie des Geistes bedarf, die nur einen Raum voll Stille füllt? Dass eine Hürde nur dann eine ist, wenn wir sie als solche wahrnehmen? Dass wir anders schöpfen, wenn wir die Weichen unserer inneren Fühler anders stellen müssen? Dass die Kraft der Musik vor allem  Vorstellungskraft aus dem Nichts heraus ist? Dass wir neue Wege einschlagen müssen, wenn wir uns nicht mehr auf Gewohntes verlassen können und dadurch lernen, wahrhaftiger zu schöpfen, da wir die Bestätigung nur in der Harmonie unserer Imagination finden.

Die Vertonung von „Seid umschlungen, Millionen“ ist Beethovens direkte Ansprache, für die er zusätzlich die menschliche Stimme wählte, die unmissverständliche, kantige Eigenschaft der Sprache, wenn man die richtigen Worte findet- so wie Schiller. Er umarmt uns mit der Vereinigung von Worten, die in Musik eingebettet sind, Worte, die an unseren Geist anklopfen, Musik, die unsere Seele umschließt, damit diese Verbindung zu einer Einheit freier Kraft verschmilzt. Er findet den Mut, das Neue zu wagen, zu dem Schluss zu kommen, dass es noch mehr Botschaft, klare Rhetorik und direkt übergehende Emotion durch die Neuerung von Stimme und Instrument braucht. Der Zeit voraus zu sein, um zeitlos zu bleiben. So zeitlos, dass Europa sich immer wieder an diese musikalische Phrase anlehnt, um an die Gefühlsebene anzuknüpfen, der es bedarf, um zusammen zu bleiben. Um einander zu umarmen und in Zeiten eines Neuanfangs, mit Mut, Erkenntnis und Wahrhaftigkeit, zusammenzuhalten.

Beethoven dachte nicht nur jenseits von traditionellen Grenzen, jenseits von instrumentalen und physischen Grenzen, sondern seine Botschaft „Liebe an die Menschheit“, sein Gesamtkunstwerk ist die wehende Flagge einer idealen Welt. Beethoven ist keine Botschaft für die Kunst allein, sondern er macht Kunst zum ethischen Grundwert, der zeigt, dass unser Erleben, Beleben, Überleben und Verleben Kunst ist, dass „Leben“ ein unzureichendes Abbild von Kunst ist. Ein Streben nach dem Erreichen von der Reinheit der Kunst. Beethovens Botschaft zu durchleben, bedeutet, sie an alle Lebensbereiche als Messlatte anzulegen und seine Mission zu unserer zu machen: Visionär sein für ein gemeinschaftliches, freies Idealbild einer Welt, die unerbittliche Wahrhaftigkeit als Wappen wählt, die Stille als Voraussetzung für Kreation sieht. Im Lexikon steht „Corona“ übrigens als Fachterminus von „Generalpause“, kein Witz.                                                                          Sophie Pacini

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