In der schönen, 2014 eröffneten Konzerthalle des ‘Shanghai Symphony’ begann gestern Abend die Endrunde der ‘Shanghai Isaac Stern International Violin Competition’. Die beiden Kandidatinnen des Abends wurden vom ‘Shanghai Symphony Orchestra’ unter der Leitung von Michael Stern begleitet. Remy Franck berichtet.

Vor der Jury, bestehend aus David Stern, Vera Tsu Weiling, Zakhar Bron, Martin Campbell-White, Glenn Dicterow, Augustin Dumay, Daniel Heifetz, Emmanuel Hondré, Sreten Krstic, Weigang Li, Siqing Lu, Maxim Vengerov, Lina Yu und Dora Schwarzberg traten an diesem ersten Abend zwei Geigerinnen auf.

Die erste Kandidatin war Nancy Zhou, Jahrgang 1993, aus San Antonio, Texas. Sie studierte an der ‘Harvard University’, bei Miriam Fried am ‘New England Conservatory’ und bei David Nadien in New York. Sie ist Stipendiatin der Anne-Sophie Mutter-Stiftung. Nancy Zhou hat einige Wettbewerbe gewonnen, kam aber in den wirklich wichtigen Wettbewerben nie auf den ersten Platz. Ihr Auftritt in Shanghai zeigte, warum.

Yuan Tang, Michael Stern & Shanghai Symphony
(c) SISIVC

Sie startete mit dem Pflichtwerk, dem Violinkonzert ‘La joie de la souffrance’ von Qigang Chen. Sie spielte es sehr virtuos, aber ohne das Werk strukturell und geistig zu durchdringen. Sie spielte ihren Part und konnte sich nicht wirklich mit dem Orchester vereinigen. In den langsamen Teilen blieb sie emotional eher kühl, in den schnelleren Teilen war ihr Spiel zwar sehr klar und rhythmisch, aber man hatte auch den Eindruck, dass der Zug immer kurz vor dem Entgleisen war.

Nancy Zhou (c) SISIVC

Diese Virtuosität und Brillanz prägte auch das Geigenkonzert von Piotr Tchaikovsky, das Zhou für ihren zweiten Auftritt ausgewählt hatte. Auch wenn sie es an Gestaltungsphantasie durchaus nicht fehlen ließ und einige interessante Ideen einbrachte, blieben diese doch meist inkohärent. Der erste Satz litt streckenweise unter heftigem Akzentuieren, im langsamen Satz fehlte es an Kantabilität, und der Schlusssatz blieb bei aller Virtuosität seltsam arm an souveräner Eloquenz. Zudem fehlte es Zhous Geigenklang an Substanz. Vor allem aber muss festgestellt werden: wir hörten in diesem Tchaikovsky-Konzert nicht eine Minute lang russische Musik.

Die zweite Kandidatin, die aus Shanghai stammende Yun Tang, studiert zurzeit bei Pierre Amoyal am Mozarteum in Salzburg. Sie spielte zunächst das Violinkonzert von Antonin Dvorak, dessen bezaubernd romantische Poesie und slawische Leidenschaft sie, wenn auch nicht vollendet, so doch ansatzweise zum Ausdruck brachte.

Wie bei Nancy Zhou hatte auch Tangs Geigenklang nicht genügend Korpus, und obwohl die junge Musikerin mit viel Energie spielte, konnte sie sich nicht immer gegen das freilich auch etwas laute Orchester durchsetzen. Vor allem die Holzbläser waren entweder einfach immer zu laut oder sie werden generell von der Saalakustik übermäßig herausgestellt.

Yun Tang (c) SISIVC

Das Drama im Mittelsatz wurde von der jungen Interpretin nicht voll erfasst, und der Musik fehlte es durchgehend in diesem Herzstück des Konzerts an Generosität und tänzerisch-kantabler Eleganz. Auch gab es gelegentlich erhebliche Koordinationsprobleme mit dem Orchester.

Sehr musikalisch näherte sich Yun Tang dem Konzert von Qigang Chen, das sich dem Hörer nach Zhous Vortrag wie ein ganz anderes Werk offenbarte, nicht nur durch eine idiomatische Betonung der chinesischen Elemente, sondern weil sie die Musk besser erfasst und hatte und viel tiefer in sie eindrang als ihre Mitstreiterin.

In den rhythmischeren Passagen fügte sie viel besser und logischer ins Orchestergeschehen ein als Zhou, spielte insgesamt auch emotionaler und spannender, was nicht nur die Eloquenz der Musik verbesserte, sondern vor allem die inneren Zusammenhänge verdeutlichte. So blieben denn auch in dieser Darbietung die Brücke, die Chen zwischen Yin und Yang, zwischen West und Ost baut, bestehen, während sie bei Nancy Zhou kollabierte.

Heute Abend geht das Finale mit der Ukrainerin Diana Tishchenko und der Chinesin Jia Yi Chen weiter.

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