Versinkende Sonne; Fritz Kreisler: Syncopation; Anton Webern: Langsamer Satz für Streichquartett; Egon Wellesz: Streichquartett Nr. 5 op. 60; Alexander Zemlinsky: Streichquartett A-Dur op. 4; Auner Quartett (Daniel Auner, Barbara de Menezes Galante Auner, Violine, Nikita Gerkusov, Viola, Konstantin Zelenin, Cello); 1 CD Gramola 99220; Aufnahme 04.2019, Veröffentlichung 15.10.2021 (62'26) – Rezensionen von Guy Engels & Uwe Krusch

(Guy Engels) – 1871 erblickt Alexander Zemlinsky das Licht der Welt. 1974 stirbt Egon Wellesz. Über 100 Lebensjahre liegen zwischen beiden Komponisten.  Zemlinsky erlebt als 40-Jähriger den Zusammenbruch des alten Europa und im Alter zudem das Nazi-Regime auf dem Höhepunkt seiner Schreckensherrschaft. Dieser Schreckensherrschaft musste Egon Wellesz sich wegen seiner jüdischen Wurzeln und seiner ‘Entarteten Kunst’ beugen und ins Exil flüchten. Wellesz war der erste Biograph von Arnold Schönberg, dessen Schüler Anton Webern ebenfalls in diesem CD-Programm zu finden ist.

Das Auner Quartett hat ein kluges, kohärentes Programm zusammengestellt, dessen Musik von Verlustängsten, von Existenzängsten, Sehnsüchten und innerer Zerrissenheit geprägt ist.

Bei Alexander Zemlinsky ist es vor allem die Sehnsucht der schwindenden Spätromantik.  Das Auner Quartett spielt sein Quartett Opus 4 mit einer feinen, ausgeklügelten Klangbalance in einem finalen Aufschwung von romantischer Leidenschaft, gepaart mit wunderbar lyrischem Schmelz.

Klanglich wesentlich kompakter gestaltet sich das 5. Quartett von Egon Wellesz, ein Ausdruck des innerlichen Aufruhrs. Immerhin ist dieses Werk im vierten Kriegsjahr 1943 entstanden. Das Auner Quartett packt zu, setzt diese Musik mit viel Intensität und Spannung in expressive Klänge und Emotionen um – eine Interpretation, die betroffen macht.

Nicht minder ausdrucksstark gelingt Anton Weberns Langsamer Satz, ein letzter Ausflug des Schönberg-Schülers in die Spätromantik.

Mit Fritz Kreislers Syncopation gelingt zum Schluss noch ein stilsicherer Kontrapunkt – Musik aus den Goldenen Zwanzigern, jenes Jahrzehnt, in dem Europa zwischen zwei Katastrophen noch einmal tief Luft holt.

Alexander Zemlinsky was born in 1871. Egon Wellesz died in 1974. More than 100 years of life lie between the two composers.  At the age of 40, Zemlinsky experienced the collapse of the old Europe and, in his old age, the Nazi regime at the height of its reign of terror. Egon Wellesz had to bow to this reign of terror because of his Jewish roots and his ‘degenerate art’ and had to flee into exile. Wellesz was the first biographer of Arnold Schoenberg, whose student Anton Webern is also featured in this CD program.
The Auner Quartet has put together a clever, coherent program whose music is marked by fears of loss, existential angst, longing and inner turmoil.
In Alexander Zemlinsky’s case, it is above all the longing of the waning late Romantic period. The Auners play his Quartet Opus 4 with a fine, sophisticated tonal balance in a final upsurge of romantic passion coupled with wonderfully lyrical melting.
Tonally much more compact is the Fifth Quartet by Egon Wellesz, an expression of inner turmoil. After all, this work was written in the fourth year of the war, 1943. The Auner Quartet is gripping, transforming this music with much intensity and tension into expressive sounds and emotions – an interpretation that makes one concerned.
No less expressive is Anton Webern’s Langsamer Satz, a last excursion by the Schoenberg pupil into the late Romantic period.
Fritz Kreisler’s Syncopation is a stylistically confident counterpoint at the end – music from the Golden Twenties, the decade in which Europe took a deep breath between two catastrophes.

(Uwe Krusch) – Das Gemälde Versinkende Sonne von Egon Schiele geht über die rein bildhafte Gestaltung hinaus, wenn das Auner Quartett Werke am Übergang von der Spätromantik hin zur Moderne einspielt. Denn die hier vorgestellten Stücke stehen vor allem noch der auslaufenden Epoche nahe und die kommenden Entwicklungen werden nur angedeutet. Bei Egon Wellesz mag man den Titel auch noch in persönlicher Weise lesen, da er das 5. Quartett schrieb, nachdem er wegen der Nationalsozialisten ins Englische Exil gegangen war und speziell im dritten Satz seinen Verlust in Töne fasste.

Mit den frühen Kompositionen von Webern und Zemlinsky bietet das Auner Quartett den Rahmen für das Werk von Wellesz, das den schon gereiften Komponisten zeigt. Das Ensemble hat sich in der noch überschaubaren Zeit seines Bestehens inzwischen eine feine Spielart angeeignet, die von einer mehr als zuverlässigen Technik eingefangen wurde. Mit sicherer Balance arrangieren sie das Miteinander der Stimmen zu einem fein gewobenen Stimmengeflecht, das die Werke in charmant unaufgeregter Art interpretiert. Insbesondere der nach wie vor fast vergessene Egon Wellesz ist hier mit seinem Fünften Quartett in einer trefflichen Deutung zu erleben. Abgerundet wird die Aufnahme mit Syncopation von Fritz Kreisler, das mit seinem Hauch von Morbidität und Moderne einen versöhnlichen Abschluss zu einem ohnehin nicht aufreizend neutönenden Programm setzt.

The painting Sinking Sun by Egon Schiele goes beyond the purely pictorial when the Auner Quartet performs works at the transition from late romanticism to modernism. For the pieces presented here are above all still close to the expiring epoch and the coming developments are only hinted at. In the case of Egon Wellesz, the title may also be read in a personal way, since he wrote the Fifth Quartet after he had gone into exile in England because of the National Socialists, and especially in the third movement he captured his loss in tones.
With the early compositions of Webern and Zemlinsky, the Auner Quartet provides the framework for the piece by Wellesz, which shows the already mature composer. In the still manageable time of its existence, the ensemble has meanwhile acquired a fine style, enabled by a more than reliable technique. With a good balance, they arrange the interplay of their parts into a fine performance that displays the works in a charmingly unagitated manner. Egon Wellesz, still not known enough, can be experienced here with his Fifth Quartet in an excellent interpretation. The recording is rounded off with Syncopation by Fritz Kreisler, which, with its touch of morbidity and modernity, brings a conciliatory conclusion to a program that is in any case not tantalizingly threatening with new sounds.

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