Roland Kluttig, der neue Chefdirigent der Grazer Oper im Gespräch mit Alain Steffen

Roland Kluttig
(c) Marco Borggreve

Herr Kluttig, nach 10 Jahren als Generalmusikdirektor am Landestheater Coburg wechseln Sie nun nach Graz. Sie halten sich demnach an die Regel von Lorin Maazel, nicht länger als 10 Jahre bei einem Klangkörper zu bleiben.
(lacht) Ich weiß nicht, ob man das so pauschalisieren kann und ob es eine richtige Jahreszahl gibt. Solange die Zusammenarbeit fruchtbar ist, und Musiker und Dirigent sich gefordert fühlen, kann man künstlerisch weiterkommen. Brauchen das Orchester oder der Dirigent ein neues Input, dann ist es Zeit, über den Wechsel nachzudenken, ob das jetzt nach 5, 7 oder 10 Jahren ist. Wichtig ist, dass man sich etwas zu sagen hat und keine ungesunde Routine eintritt. Für mich ist jetzt die Zeit gekommen, an ein anderes Haus zu gehen, was mir mehr Möglichkeiten bietet.

Was reizt Sie denn besonders an Graz?
Graz ist das zeitgrößte Opernhaus in Österreich und steht somit direkt nach der Wiener Staatsoper. Was für mich u.a. ausschlaggebend ist, ist das großbesetzte Orchester. In Coburg hatten wir nicht so viele Musiker, und viele Opern, die wir aufführten, mussten mit einem reduzierten Klangkörper gespielt werden. Das geht, ist aber auf die Dauer nicht optimal, insbesondere, wenn man Strauss oder Wagner aufführen will. Zudem ist Graz ein sehr weltoffenes Haus; ich habe hier schon 2018 Dukas Ariane et Barbe Bleu und 2019 Szymanowskis König Roger dirigiert. Auf der anderen Seite gibt es auch eine große Operntradition, die auch viele internationale Gastsänger anzieht.

Graz ist ja auch ein Mehrspartenhaus mit Konzerten, Oper, Musical und Theater.  Wo werden Ihre Aufgaben denn genau liegen.
Als Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters werde ich zuständig für den gesamten musikalischen Bereich sein, also für Oper, Operette und Musical. Das Philharmonische Orchester gibt zudem regelmäßig Konzerte in der Oper oder im Grazer Musikverein. Da steht dann auch das gesamte Repertoire auf dem Programm. Ich werde allerdings keine Operetten und Musicals dirigieren, die liegen in den Händen der Kapellmeister.

Ihr Wechsel fällt ja nun in die Zeit der Corona-Krise. Wie gehen Sie damit um und wie bereiten Sie die erste Spielzeit in Graz vor?
Das ist momentan tatsächlich schwierig. Ich selbst bin noch nicht am Haus, doch unsere Planung steht eigentlich für die nächsten drei Jahre. Wegen der Krise gerät alles momentan komplett durcheinander und wir wissen auch nicht, wo wir jetzt dran sin, denn es gibt keine Weisungen für September. Dann haben wir ja noch die Produktionen, die jetzt ausfallen und wir müssen dann schauen, ob und wann wir sie in den nächsten Spielzeiten einplanen können.

Roland Kluttig (c) Sebastian Klein

Während Festivals wie Bayreuth und Salzburg oder andere große Opernhäuser, die mit festverplanten Sängern arbeiten, nun komplett umorganisieren müssen, scheint das in dieser Hinsicht bei einem festen Ensemble einfacher zu sein.
In Coburg haben wir ein festes Ensemble. Da ist es dann tatsächlich einfacher, weil die Sänger am Haus fest engagiert sind. Aber in Graz haben wir viele bekannte Gäste. Und die, das wissen Sie, sind auf Jahre ausgebucht. All die großen Häuser und Festivals müssen nun ganz neu planen oder umbesetzen. Schwierig ist es auch mit den Regieteams, wo Regisseur, Bühnenbildner, Kostümbildner für ein spezielles Projekt gebucht sind. Das Projekt dann so zu verschieben, dass auch alle Beteiligten zur gleichen Zeit frei sind, ist nicht einfach. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie kompliziert das bei hundert angesetzten Projekten mit bereits engagierten Teams sein wird.

Ihr Großvater war Kirchenmusikdirektor in Dresden, Ihr Vater, ebenfalls Dirigent, war Leiter des Händelfestspielorchesters und einer der ersten Verfechter der historischen Aufführungspraxis in der damaligen DDR. Andererseits besaß er, wie Sie auch, eine große Affinität zur zeitgenössischen Musik. Die Vielseitigkeit des Repertoires scheint Ihnen demnach in die Wiege gelegt worden zu sein.
Also sicher ist mir die Musik in die Wiege gelegt worden. Mein Vater hat mich schon als Kleinkind mit in die Proben genommen und als Schulkind habe ich schon etliche Generalproben gehört. Mein Vater war tatsächlich Spezialist für Händel und Barockmusik, aber nicht nur. Er dirigierte auch die Symphonien von Shostakovich und Gustav Mahler. Später wollte ich mich natürlich von meinem Vater abgrenzen und orientierte meine Suche in Richtung zeitgenössische Musik. Ich fand und finde es immer noch sehr spannend, mit lebenden Komponisten zu arbeiten und die Musik quasi aus erster Hand zu erfahren. Gerade heute ist es unsere Pflicht als ausführende Musiker, auch die Komponisten der Gegenwart in unseren Programmen zu berücksichtigen.

Als Dirigent wagen Sie sich auch  gerne an ein ausgefallenes Repertoire wie die Symphonien von Louise Farrenc, die Orchesterwerke des mexikanischen Komponisten Silvestre Revueltas…
Die Musik von Louise Farrenc war eine wirkliche Überraschung für mich. Sie ist äußerst spannend und spielenswert und besitzt die Leichtigkeit und Schönheit Mendelssohns. Also gar keine zweitklassige Musik und sicher ein schönes Beispiel dafür, welch talentierte Komponistinnen es doch im 19. Jahrhundert gab. Und ich bin sicher, das gibt es noch andere zu entdecken, wie beispielsweise die total verkannte Emilie Meyer. Silvestre Revueltas ist eine Herzensangelegenheit. Ich liebe seine Musik und habe auch viel recherchiert. Sein bekanntestes Stück Sensemaya ist ja quasi ein Mini-Sacre du Printemps. Revueltas hat darüber hinaus eine unglaubliche Fülle an Meisterwerken für kleinbesetzte Orchester geschrieben. Leider steht er immer noch im Schatten des populäreren und politisch korrekten Carlos Chavez, dessen Musik in Mexico sehr viel gespielt wird, aber viel weniger interessant ist.

Wenig bekannt und gespielt auch Martinus Oper Die griechische Passion, die ja leider in Coburg wegen der Corona-Krise nicht aufgeführt werden konnte. Gerade bei der Annullierung einer nichtalltäglichen Produktion wie der Martinu-Oper ärgert man sich dann doch sicher richtig.
Ja, für mich ist es besonders schmerzlich, dass ich diesen Martinu nicht mehr dirigieren kann. De Probenprozess hatte gerade angefangen, als wegen der Krise alles abgebrochen wurde. Man versucht jetzt trotzdem, die Produktion nachzuholen und sie an das Ende der nächsten Spielzeit zu setzen. Aber leider nicht mehr mit mir, dann wird wohl mein Nachfolger am Pult stehen.

Wie vorhin angesprochen, sind Sie ein Dirigent, der sich mit Leichtigkeit durch die verschiedenen Musikepochen bewegt. Gibt es aber dann trotzdem ein Lieblingsrepertoire oder Lieblingswerke, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Meistens ist es gerade die Oper oder das Orchesterwerk, an dem ich gerade arbeite. Ich liebe die Messa da Requiem von Verdi und die Musik von Mahler, Janacek und Debussy. Nach langen Kämpfen ist auch Wagner zu einem meiner Favoriten geworden und hier in allererster Linie Tristan und Isolde. Dem Tristan bin ich wirklich verfallen. Ja, und dann eine Oper, die ich unbedingt machen will: Alban Bergs Wozzeck. Die für mich größte Musik kann ich leider nicht dirigieren, die Kammermusik von Beethoven und Schubert und natürlich die Lieder von Schubert. Das sind für mich die allergrößten Meisterwerke der Musikgeschichte.

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