Das ‘Richard Strauss Festival’ 2018 steht unter der Überschrift ‚’Metamorphosen‘. In verschiedenen Spielstätten in und um Garmisch-Partenkirchen werden insgesamt 10 Veranstaltungen über die Bühnen gehen. Zur Pressekonferenz in der Münchner Kunsthalle lud der neue Künstlerische Leiter der Reihe, Alexander Liebreich ein. Musikpublizist und ICMA-Jury-Mitglied Martin Hoffmeister war vor Ort. Pizzicato hat ihn zur Neuausrichtung des Festivals befragt. 

Herr Hoffmeister, Richard Strauss ließ sich 1908 in seiner Garmischer Villa nieder, seit 1989 geht in Garmisch-Partenkirchen alljährlich das Richard-Strauss-Festival über die Bühne. Ist dieser vom internationalen Ski- und Wandertourismus dominierte Ort unterhalb der Zugspitze der richtige und angemessene Ort für ein (Strauss)-Festival?
Diese Frage könnte man tatsächlich im Zusammenhang mit jedem anderen Festival in den Alpen stellen. Sie ist aber unterm Strich wenig zielführend, denn es geht ja bei Festivals um Inhalte, um Programmatik, bestenfalls um Botschaften. Zunächst also sollte man diese Konzepte und Inhalte prüfen, bevor man die Frage nach dem Ort stellt. Was allerdings zutrifft im Fall von Garmisch-Partenkirchen: Es fehlen nach wie vor idealtypische Spielstätten für klassische Musik. Man wird also auch in diesem Jahr improvisieren, das heißt auf eher untypische Konzertorte und Ausweichdestinationen zurückgreifen müssen. Worin aber, das zeigen die anstehenden Neuerungen, auch Chancen liegen. Vergessen darf man überdies nicht, dass Richard Strauss in Garmisch einige seiner bedeutendsten Werke komponierte. Natur und Landschaft fungierten stets als nachhaltige Inspirationsquelle für sein Schaffen. Entsprechend kann das Festival-Publikum dieser spezifischen Intensität, dem Genius loci, von dem der Komponist so eingenommen war, authentisch nur in Garmisch nachspüren.

In den vergangenen Jahren fokussierte die Reihe deutlich auf das Werk des Namenspatrons und verzichtete auf sinn- bzw. Erkenntnis stiftende programmatische Gegenüberstellungen und Kontraste. Angesichts der spezifischen Klangwelt des Strauss’schen Oeuvres durchaus ein Wagnis…
Zweifellos bedarf eine Festival-Dramaturgie der Spannungsfelder, um Nachdrücklichkeit zu generieren. Richard Strauss, seiner Wahrnehmung nach ebenso ambitionierter Dirigent wie Komponist, hatte in seinen Konzerten immer für avancierte Werkezusammenstellungen plädiert, eine Programmatik, die seine Werke in denen anderer Komponisten spiegelt.

Richard Strauss bei einem Konzert in Luxemburg, im Jahre 1939

Der erste Festival-Jahrgang unter dem neuen Künstlerischen Leiter Alexander Liebreich steht unter der Überschrift ‘Metamorphosen‘. Wie ist das Motto zu verstehen?
Unabhängig von irgendeinem spezifischen Kontext steht der Begriff ‚Metamorphosen‘ ganz umfassend als Synonym für das Leben, für die Existenz, auch für Natur. Ebenso, und ganz besonders, symbolisiert er natürlich künstlerische Prozesse, innerhalb EINES Werkes ebenso wie innerhalb eines Lebenswerkes. Dass Richard Strauss sein letztes großes Orchesterwerk (Metamorphosen für 23 Solostreicher) entsprechend überschrieb, lässt Rückschlüsse zu auf die philosophisch-existentielle Dimension, die Strauss dem im April 1945 fertiggestellten Werk als Weiterentwicklung, auch Symbiose seines opulenten Schaffens beimaß. Die ‚Metamorphosen‘ bezeichnen gleichermaßen Höhepunkt und Abschied des Komponisten von seinem Werk und von einer Welt, die in Trümmern lag. Sie galten dem Ausdrucksmusiker Strauss als Projektionsfläche maßloser Trauer und Emotion. Vor diesen Hintergründen wird deutlich, warum Alexander Liebreich die erste Festival-Ausgabe unter seiner Leitung entsprechend betitelt hat. Er verweist damit nicht nur auf Strauss‘ kompositorische Konzeptionen, Ziele und Beweggründe, sondern reflektiert zugleich dessen nachhaltige Affinität zu Natur und Landschaft. Außerdem gibt das Motto Hinweise auf das Thema Festival-Dramaturgie und -Entwicklung im Allgemeinen und fungiert als metapolitische Reverenz an den in allen Lebensbereichen greifenden globalen Wandel und die damit verbundenen Herausforderungen und Verwerfungen.

Henry Purcell

Sprechen wir konkret vom Festival-Jahrgang 2018. Wie manifestieren sich Liebreichs künstlerischen Intentionen im Programm?
Priorität bei Liebreich hat insbesondere die Schärfung des programmatischen Profils. Damit einher geht die Einführung neuer Konzert- und Veranstaltungsformate. Das alles hat, wie im übrigen auch die begleitende Bildsprache, das Layout der Programmbroschüre und der Plakate, mit Alleinstellungsmerkmalen und der Etablierung einer übergreifenden und tragfähigen Ästhetik zu tun, die Wiedererkennbarkeit generiert. Konkret geht es in den einzelnen Programmen um Spannungsfelder und Kontraste. Gleich das Eröffnungskonzert etwa koppelt Strauss‘ ‘Metamorphosen‘ mit Purcells Oper ‘Dido und Aeneas‘. Klanglich in immensem Kontrast zueinander reflektieren beide Werke doch sinnstiftend das Festivalthema Wandlung und Verwandlung. Dazu gehört ebenfalls der avancierte Ansatz, die Strauss’sche Musik von einem der renommiertesten europäischen Alte-Musik-Ensembles (‚Akademie für Alte Musik Berlin‘) aufführen zu lassen. Strauss’ Musik auf historischem Instrumentarium und Darmsaiten, das ermöglicht völlig neue Hör-Perspektiven. Durchaus getragen vom dialektischen Gegenüber von Kontrasten und verbindenden Elementen auch das Konzert der ‘Wiener Symphoniker’ mit Werken von Strauss, Tchaikovsky und Ives, in dem die Metamorphose von Romantik über Spätromantik bis in die Moderne nachgezeichnet wird.

Wenn man die zurückliegenden Jahre des Festivals vergleicht mit Liebreichs Visionen für die anstehende Reihe und die kommenden Jahre: Welche Konzertformate dominieren?
Neben den tradierten sinfonischen Konzerten, Kammermusik-, Lieder- und Klavierabenden wurden Formate wie Open-Air, Meisterkurs, Raum-Installation, Musikwanderung, Künstler-/Kamingespräch und Orchesterakademie eingezogen. Damit öffnet sich das Festival breiteren Publikumsschichten und nachwachsenden Generationen. Die Laufzeit der Reihe wurde zudem von 7 auf 10 Tage erweitert.

Spiegelt sich der programmatische Neuanfang des Festivals auch im Musiker-, Dirigenten- und Ensemble-Tableau des Jahrgangs 2018?
In mehrfacher Hinsicht: qualitativ und klangästhetisch. Die Gäste stehen für klare, konsistente und originäre künstlerische Ziele. Neben der ‘Akademie für Alte Musik Berlin‘ und den ‘Wiener Symphonikern‘ sind das beispielsweise das in Deutschland selten zu hörende ‘Brno Philharmonic Orchestra‘, die Dirigenten Alexander Liebreich, Antonello Manacorda, Gustavo Gimeno und Anu Tali, Solisten wie Lisa Batiashvili, Alban Gerhardt und Olli Mustonen oder Sängerinnen wie Marie-Claude Chappuis oder Okka von der Damerau.

Zu einem der meist diskutierten Themen im Zusammenhang mit dem ‘Richard Strauss Festival‘ gehört die Frage nach den Spielorten…
…da ist nach wie vor Kreativität gefragt, denn Garmisch-Partenkirchen verfügt über keine traditionelle Konzerthalle. Man wird entsprechend die Alpspitzhalle, die Aula des Werdenfels-Gymnasiums und das Kongresshaus präparieren, weiterhin an hochkarätige und auratische Spielorte wie Schloss Elmau, das Kloster Ettal und die Sonnenalm am Wank ausweichen. Die alpine Ausrichtung des Festivals wird damit deutlich verdichtet.

Als Festivalphotograph konnte der Münchner Sammy Hart gewonnen werden und damit einer der profiliertesten seines Faches. Wie wichtig ist es für ein renommiertes Festival, sich mit kohärenter Bildsprache zu präsentieren?
Bilder, Photos, Layouts, Websites fungieren gemeinhin als Entree in den Kosmos eines Produkts oder einer Marke. Sie sind das Aushängeschild. Verbunden damit wirken zahllose Botschaften und Meta-Botschaften. Gerade im künstlerischen Segment gilt es, ein Produkt mit einer starken, suggestiven, konsistenten Bildsprache zu rahmen und zu grundieren, einer Bildsprache zumal, die im Geist des Produkts passfähige Signale aussendet. Mit Sammy Hart kann Alexander Liebreich auf einen Photographen zurückgreifen, der Programmatik und Botschaft des neu konzipierten Festivals in ausdrucksstarke, zugleich abstrakte Photokunst umzusetzen versteht. Zauberische alpine Landschaften werden transzendiert zum strukturalen Monument. Das erinnert nicht zufällig an Richard Strauss’ in Klang verwandelte Landschaftserfahrung.

Informationen unter: www.richard-strauss-festival.de

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