Steigerungen an einem Konzertabend sind teilweise nur äußerlich, teilweise aber auch in der musikalischen Darbietung begründet. Dass der erste Abend der Soireen der Kammermusik im Kammermusiksaal der Philharmonie beides bot, weiß Uwe Krusch zu berichten.
Die äußerliche Steigerung war die Zunahme an Mitwirkenden auf dem Podium, nämlich vom Quartett bei fünf vierstimmigen Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach in der Fassung von Mozart, über ein Quintett mit zwei Bratschen im Streichquintett op. 104 von Beethoven bis hin zum Streichsextett Verklärte Nacht von Schönberg. Gleichzeitig boten diese Werke, ohne dass Schwächen oder Minderes bei den anderen Kompositionen vorlägen, eine Steigerung in der musikalischen Darbietung und in den Stimmungen hin zum Sextett.
Isabelle Faust und Anne Katharina Schreiber, Violinen, Timothy Ridout und Danusha Waskiewicz (letztere ab Beethoven) Bratschen sowie Jean-Guihen Queyras (Mozart und Schönberg) und Christian Poltéra (Beethoven und Schönberg) an den Cellos machten das famos und lebendig spielende Ensemble aus, das diese grundverschiedenen Werke darbot.
Seit dieser Saison, immerhin kann die Philharmonie schon auf eine eigene Geschichte blicken, werden lobenswerterweise im Abendprogramm die letzten Aufführungen der Werke in der Philharmonie und ihre Interpreten angegeben. Dadurch werden Erweiterungen des Repertoires erkennbar. Es bietet regelmäßigen Besuchern aber auch die Möglichkeit, sich in Erinnerung zu rufen, in welchem Kontext sie das Werk gehört haben, wo man sonst auch mal rätselt, wann war das nur – und mit wem.
Die fünf Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier von Bach in der Bearbeitung von Mozart waren demnach ebenso wie das Quintett von Beethoven Erstaufführungen im Hause, das Schönberg Sextett erklang vor einem knappen Jahr in der Fassung für Streicher mit dem OPL unter Gustavo Gimeno.
Gleich die erste Fuge in c-Moll, einer besonderen Tonart für Mozart, führte einen tief in verschlungene Pfade und dichte Strukturen, die die anderen vier Sätze in dieser Dichte nicht aufzuweisen hatten. Mit leichter, mitunter fast zerbrechlich wirkender, aber immer konziser Hand vermittelten die vier Interpreten den Weg durch die formalen und damit gern einmal kompliziert wirkenden Fugen. Das Publikum spendete noch wenig Beifall, so dass diese kurzfristig ins Programm genommenen Stücke wohl noch dem Einhören dienten.
Mancher Leser mag überrascht sein und einen Schreibfehler vermuten, wenn von einem Quintett von Beethoven die Rede ist, sind doch nur die Quartette und auch die Streichtrios op. 9 allgemein bekannt. Aber es hat alles seine Richtigkeit. Basierend auf dem c-Moll Klaviertrio, dem dritten aus op. 1, hatte ihm ein Laie, Joseph Kaufmann, etwa 1815 seine Version des Trios als Quintett mit zwei Bratschen überreicht. Beethoven konnte zwar genau dieser Bearbeitung nichts abgewinnen, aber sie führte immerhin dazu, dass er sich selber an die Quintettfassung setzte und immerhin einige Ideen dieses Herrn Kaufmann beließ. Eine originäre frühe Quintettkomposition in C-Dur op. 29, gibt es übrigens auch.
So konnten Isabelle Faust, die in dieser Saison Artist in Residence in Luxemburg ist und mit diesem Konzert ihren ersten Auftritt in diesem Rahmen hatte, und ihr Freundeskreis den Blick auf dieses Werk lenken. Es ist erstaunlich, wie nah diese Komposition am Trio ist und doch zugleich ganz anders wirkt. Sie konnten zeigen, was es ist, nämlich Beethoven pur mit seiner markant akzentuierenden Ausdrucksweise. Doch dank ihrer überlegenen Technik bleiben alle Zuspitzungen immer tonlich charmant und werden nicht mit technischen Geräuschen zugekleistert. Immer wieder bemerkenswert ist, wie die Beteiligten mit einer ununterbrochen intensiven Hinwendung nicht nur an die Musik, sondern auch an die Partner im Ensemble ein engstes Miteinander ebenso vertrauten wie auch ständig die Mitspieler fordernden Ideengebens initiieren.
Das einzige Werk in voller Sextettbesetzung bildete den Abschluss. Verklärte Nacht von Schönberg ist noch von einem spätromantischen Tonfall geprägt und führte doch bei der Uraufführung zu einem Skandal. Das lag vermutlich daran, wie unkonventionell für die Zeit ein Lebensgefühl ausgedrückt wird und von der Ästhetik der Musik, die überforderte. Heute bietet dieses Werk eher den Anlass, in genau diesen Emotionen zu schwelgen. Die Interpreten waren natürlich davor, sich trunken hinzugeben. Vielmehr gestalteten sie vom Flüsterhauch bis zum orchestral anmutenden Ausbruch eine wahnsinnig breite Palette an Färbungen und Stimmungen, die von meisterhafter instrumentaler Beherrschung getragen wurden. Vielleicht nicht emotionstrunken, aber begeistert applaudierte das Publikum im Kammermusiksaal nach dieser beispielhaften Auseinandersetzung mit diesem ebenso süffigen wie auch spröden Werk.
Mit derartig interessanten Programmen und wunderbaren Ausführungen machen Artist in Residence Benennungen einen ungeheuren Reiz aus. Freuen wir uns auf die weiteren Auftritte von Isabelle Faust.
Für diese Konzertreihe innerhalb der Philharmonie wurde mit 19.30 h auch eine neue Anfangszeit etabliert, die eine Entzerrung bei gleichzeitig im großen Saal stattfindenden Konzerten bringt.