Noch länger und intensiver als das erste war das zweite Wochenende der rainy days, begann es doch schon am Donnerstag und bot auch tagsüber Veranstaltungen bis zum Sonntagabend. Was es in diesem zweiten Teil zu hören gab, berichtet Uwe Krusch für Pizzicato.

Am Donnerstag spielte ein neunköpfiges Ensemble unter dem programmatischen Titel Inseln und Flüsse zehn Kompositionen aus dem Barock bzw. von heute. Dabei steuerten die beiden griechischen Musiker Sokratis Sinopoulos an der Lyra, also einem Instrument aus seiner Heimat, Yannis Kyriakides, der die Live Elektronik betreute, und Bijan sowie Keyvan Chemirani aus dem Iran, Saz, Zarb und Schlagwerk spielend, ihre Kompositionen bei. Dieses Zusammentreffen von Okzident und Orient, alt und neu, rein instrumentaler und auch Sprache umfassender Musik mag man auch mit bitterer Miene als Crossover abtun. Aber wer sich auf dieses feine Gewebe, in diesem Fall durchdacht und fein gespielt, einließ, erlebte zwischen westlich Gewohntem und östlich Inspiriertem, gewürzt mit mittelmeerischer Wärme, ein von toller Musik geprägtes stimmungsvolles Konzert.

Freitag schloss sich das Konzert des Philharmonischen Orchesters Luxemburg an, das mit dem Gastdirigenten Ilan Volkov zuvor schon die eine Hälfte des zu hörenden Programms in Donaueschingen bei den Musiktagen aufgeführt hatte. Aus dieser Hälfte war das Werk ‘under_current‘ von Stefan Prins und ‘Hirn‘ von Enno Poppe übernommen worden. Die knapp 40 minütige Komposition von Stefan Prins ließ als Solisten den E-Gitarristen Yaron Deutsch hören. Dieser widmete sich den mit diversen elektronischen Einflüssen erzeugten Tönen seines Instruments sitzend und in feinem Zwirn, eher ungewöhnlich für einen E-Gitarristen. Das Orchester hatte sich u. a. damit auseinander zu setzen, dass die Saiten der Streichinstrumente gerade vom Steg bis auf das Griffbrett zeitweilig mit Alufolie umwickelt war. Außerdem hatte Prins bei der Holzbläserbesetzung nicht gegeizt, so dass Bassklarinette und Kontrafagott noch die bekannteren selteneren Vertreter waren. Überhaupt erschien dieses Werk eher rau und scharfkantig. Es folgte ein weiteres Solokonzert mit ‘Don Quixote Concerto. Memories of the squire Sancho Panza for a pianist, his assistant and a large orchestra’. Pianist Christoph Grund war wie sein Assistent damit beschäftigt, dem Instrument allerlei Töne zu entlocken, die nicht über die Tatstatur zu finden sind. So versucht die Komposition der Falle der europäischen Klaviertradition zu entkommen, um eigene (sinnlose?) Kämpfe zu führen, wie es die literarische Vorlage auch tut. Dieses farbreiche und bewegte Stück ging ‘Fields 87‘ von Eleanor Hovda voraus, das in ruhigen, leicht nebulös verhüllten Landschaften erklingt, so dass eher aufscheinende wage Formen als kantige Linien ihre Inspiration sind. Den Abschluss bildete ‘Hirn‘ von Enno Poppe, dessen Werke sich in kleinen Tippelschritten aus Keimzellen entfalten und doch auch immer abrupt Neues bieten. Dieses als orchestrale Landschaften betitelte Konzert fand gefühlt leider viel zu wenige interessierte Zuhörer. Ob der freitägliche Serienkrimi im Fernsehen wichtiger ist als so ein fulminantes Auftreten des Hausensembles?

Ensemble Lucilin
(c) Alfonso Salgueiro

Für den Rezensenten, der die meisten, aber nicht alle Veranstaltungen besuchte, ging es am Samstag sozusagen auf eine kleine Tournee bis in den Robert Krieps-Saal in der Abtei Neumünster, wo die Ergebnisse der Luxembourg Composition Academy kennenzulernen waren. Zehn kurze Werke, zumeist Uraufführungen, wurden vom glänzend disponierten Ensemble United Instruments of Lucilin dargeboten. Mit bis zu acht Instrumentalisten und dem Dirigenten zeigten sie die durchaus unterschiedlichen Näherungen an Naturbetrachtungen, städtische Umgebung oder eher märchenhaft anmutende Sujets. Jeder Absolvent führte mit einigen Worten in seine Komposition ein, so dass man auch einen Eindruck der weltweiten Ideen bekommen konnte. Die beiden Lehrer der Akademie, Carla Iannotta und Georges Aperghis, hatten sich nicht nur intensiv und hilfreich um die Teilnehmer gekümmert, sondern jeweils auch ein Werk zum Konzert bei.

Auf dem Weg aus der vor allem inspirierenden Zusammenstellung konnte man dann schon Proben zu dem bereits erwähnten ‘Driwwer Drënner Drop‘ miterleben, das am 27.11.2021 an der Alzette zu hören sein wird.

In der Philharmonie war zunächst am Nachmittag das Ensemble Apparat zu erleben. Dessen fünf Blechbläser zeigten im Kammermusiksaal auch unter Nutzung der emporenartigen Zuwegung vier Werke, deren erstes ‘magma VI‘ auch titelgebend für das gesamte Ereignis war. Auch zwei Uraufführungen erklangen. Trotz der instrumentalen Fokussierung auf das Blech war eine Vielfalt an musikalischen Ideen zu hören,

Zur Abwechslung wurde dann auch das Foyer mit einer Performance bespielt. Während das erste Stück, ‘a gigantic blowing machine or a pocket tin-sandwich‘ von Stellan Veloce noch mit Mundharmonikas und Megaphonen unter Nutzung der baulichen Gegebenheiten der Philharmonie, also der Brücken zu den Türmen, agierte, kamen die andere Stücke ohne Musik aus, sondern boten Theater, teilweise auch unter Einbeziehung der Zuhörer. Mögen solche Exkurse auch zur Auflockerung dienen, die Zustimmung des Publikums samt Rezensent war sehr verhalten, so darf man vielleicht auch fragen, was das mit einem Festival neuer Musik genau zu tun hat, außer vielleicht ein Gefühl für Pausen zu entwickeln, wenn eine Situation statisch, sekundengenau geprüft, lange verharrt.

Der richtige Zeitpunkt war dann wieder bei L’Instant Donné gegeben. Drei Kompositionen von Georges Aperghis, davon die gut halbstündige ‘À l’instant‘ als Uraufführung bot das Ensemble L’Instant Donné in ihrer Sicht an. Dank der langjährigen Zusammenarbeit von Komponist und Ensemble gelang es ihnen, die Intentionen der szenisch geprägten Musik zu verdeutlichen.

Der Sonntag war dann zunächst der Wunderkammer vorbehalten. Diese Wanderbewegung in der Philharmonie zwischen verschiedenen Sälen und damit auch Ensembles und Musikstilen sorgt mit ihrer halbstündlichen Neuausrichtung für Abwechslung und erfrischende Beweglichkeit. Im Kammermusiksaal trat wiederum das Ensemble L’Instant Donné auf. In der ersten Runde erkundeten sie mit ‘Lichtspiele‘ von Frederic Pattar zu Filmen von Walter Ruttmann das Zusammenwirken beider Künste. Da diese Filme von Ruttmann zumeist mit farbintensiven geometrischen oder amöbenhaft sich bewegenden Formen eher plakativ wirken, kann die Musik ihnen weitere Ebenen vermitteln. Witzig zu sehen, dass eine Grundform von Computerspielen, nämlich das Fressen und Gefressen werden durch Figuren oder Elemente, sich schon vor hundert Jahren in den Filmem von Ruttmann findet, also gar nicht neu ist.

Später widmete sich ein Duo von L’Instant Donné vier kürzeren Stücken. Mit dem Eingefrorenen Adagio (Adagio ghiacciato) von Stefano Gervasoni eröffneten Violine und Spielzeugklavier den Reigen. Nach einem Solowerk für die Geige und Zuspielungen, Apartment Sounds (Two Songs for Robyn) zeigt Katherine Balch die Geräuschkulisse für Musiker in New York. Als Einlage sozusagen erklang dann Mozarts Adagio für Glasharmonika in einer Version für singende Gläser. Den Abschluss bildeten ‘Undici danze per la bella Verena‘, geschrieben von Niccolo Castiglioni für Geige und Klavier. Letztere kamen in durchaus unterschiedlichen Ausprägungen zu Gehör. Ob damit der Charakter des Komponisten oder der der beschriebenen Verena gekennzeichnet werden? Jedenfalls sind sie vielschichtig. Diese vier Kleinodien wurden von den Interpreten überzeugend transportiert.

Als Zwischenspiele der Wunderkammer wurden die Ergebnisse des Kompositionsworkshops für Kinder im Espace Decouverte präsentiert und es gab im Foyer auch wieder eine Performance, bei der das Gebäude der Philharmonie als Instrument erkundet werden konnte. Einige Beteiligte kamen dieser Erkundung mit kindlicher Freude, die für solche Erfahrungen bestens geeignet ist, nach.

Im großen Saal hatte sich das Ensemblekollektiv Berlin eingerichtet, das zunächst ‘rain washes off all the other colours‘ von Irene Galindo Quero zur Uraufführung und später ‘the physics of fog, swirling‘ von Ann Cleare. Später interpretierten sie noch das einstündige ‘Animism‘ von Rama Gottfried. Der Name des Ensembles ergibt sich daraus, dass es vier eigenständige Gruppen zusammenfügt. Dabei handelt es sich um das Ensemble Adapter (gemischtes Quintett), das Ensemble Apparat (Blechbläser), ensemble mosaik (neun Musiker gemischter Besetzung) und das Sonar Quartett (Streicher). Damit war es jedem der Ensembles möglich, neue Musik in größeren Besetzungen zu erkunden und gleichzeitig von der Gewinnung von Aushilfen abzuweichen.

Alle drei gespielten Werke boten den Ensembles beste Gelegenheiten, um ihr Zusammenspiel zu pflegen. Dabei wurden die Musiker nicht schematisch eingesetzt, sondern in sich immer entwickelnden Konstellation arrangiert und wieder neu kombiniert, so dass etwa in Ann Cleares Werk die jeweils aktiven Musiker wie schemenhaft im Dunst auftauchten und wieder verschwanden.

Das einstündige Animism erkundete das aufeinander Einwirken von Objekten und Subjekten. Zunächst wurde das Ensemble hinter einem durchscheinenden Vorhang platziert. Vorne in seinem Zentrum agierten Mitspieler als Puppenspieler eines Miniatur-Objekttheaters, nicht mit ihren Instrumenten. Was sie mit Papier, Pflanzen, Biokunststoff u. a. kreierten, wurde einerseits per Video auf den Vorhang übertragen, initiierte andererseits die elektronische ebenso wie die instrumentale Umsetzung, so dass alle miteinander im Kontakt standen und auch aufeinander reagierten. Wenn dann irgendwann der Vorhang fiel, wurden miniaturhafte Elemente etwa des Origami aus dem Puppentheaterkasten in von Idetsuki geschaffenen Elementen groß auf die Bühne übertragen, so dass plötzlich eine reale Ebene ins Spiel kam. Dieses mit wenigen Worten kaum zureichend zu charakterisierende Gesamtwerk entfaltete im abgedunkelten Saal eine ungemeine Wirkung, die sämtliche Konzentration des Betrachters aufsaugte. Am Ende verharrten alle für eine lange Spanne, gefangen von dem gerade Erlebten. So, von der Idee über die vorbereitende Ausstattung bis hin zur Aufführung ist moderne Musik eine mitreißende Chance, seine Fantasie fliegen zu lassen und sich neuen Ideen zu widmen. Ja, auch kompliziert, aber nicht verschwurbelt, vielmehr äußerst hörens- und sehenswert präsentiert sich auch so moderne Musik jenseits manch museal anmutender Konzerte der Reihen großer Klassik, die auch mal mit mehr Routine als Raffinement geboten werden. Sehr gerne nächstes Jahr wieder mehr von der neuen Musik.

Zwei weitere besondere Ereignisse für die rainy days stehen noch aus: Am kommenden Wochenende kommt es zu der Uraufführung des Werkes ‘Driwwer Drënner Drop‘ von Catherine Kontz rund um die Brücken der Alzette in Clausen. Noch eine Woche später wird dann noch speziell für Kinder und Junggebliebene das Musikmärchen ‘Deine Freunde aus der Ferne‘ angeboten. Die Musik von Toshio Hosokawa und Yoko Tawada wird in drei Aufführungen vom Ensemble United Instruments of Lucilin sowie Salome Kammer als Sprecherin in der Philharmonie uraufgeführt.

 

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