Paavo Järvi
(c) Julia Bayer

Im Rahmen seiner ‘Artist in Residence Saison’ in Luxemburg hatte Paavo Järvi für seinen jetzigen Besuch kein Orchester mitgebracht, sondern das Projekt mit dem Philharmonischen Orchester Luxemburg (OPL) erarbeitet. Uwe Krusch hat gehört, welche Akzente er dabei setze und wie die Beteiligten, auch zusammen mit der Solisten Ksenija Sidorova am Akkordeon, miteinander klar kamen.

Das wenig einheitlich scheinende Programm kam im ersten Teil aus dem Umfeld der Heimat des Dirigenten. Nach der Pause standen dann große Werke der mitteleuropäischen klassischen Musiktradition zur Debatte.

Das Solokonzert vor der Pause stammte direkt aus Järvis estnischen Heimat. Das Akkordeonkonzert ‘Prophecy’ von Erkki-Sven Tüür entstammt seiner jüngsten Periode, die er selber vektoriell nennt. Damit meint er eine kompositorische Gestaltung, die die oftmals unterschiedlichen Stile in seinen Werken so miteinander verbindet, dass sie nicht schroff aufeinander stoßen, sondern ein sich entwickelndes Ganzes ergeben. Das attacca zu spielende Werk ist trotzdem klar gegliedert. Eröffnet wird es mit Akkordflächen, die sich Solist und Orchester immer wieder weiterreichen, so dass man mitunter gar nicht sofort weiß, wer spielt. Beim Dialog zwischen Tutti und Solist bleibt es auch im zweiten Teil, der aber rhythmisch vorantreibt. Nach der Solokadenz schließt sich ein langsamer Abschnitt an, der in einen virtuosen Tanz mündet, aus dem sowohl symphonische Klänge als auch Jazzelemente herauszuhören sind. Die Solistin Ksenia Sidorova aus Lettland wurde bereits als Sechsjährige durch ihre Großmutter inspiriert, die sie zum Akkordeon überredete, was die Künstlerin bis heute nicht bereut.

Im einführenden Gespräch hatten sie und der Hornist Andrew Young aus dem OPL amüsant und charmant über ihren Weg zu ihrem Instrument, Spieltechniken und auch zur Arbeit mit Paavo Järvi geplaudert. Dabei erzählte Sidorova, dass sie über die Volksmusik, mit der man eher das Akkordeon verbindet, hinaus mehr klassisch spielen wollte und die Möglichkeiten, die wohl den meisten weniger bekannt sind, erfuhr und sich diese Welt eroberte.

Ihr Spiel zeichnet sich durch eine meisterhafte technische Beherrschung aus. Zwar spielen auch andere Musiker ihr jeweiliges Instrument quasi blind, da sie miteinander vertraut sind. Trotzdem beeindruckt es bei der Zahl der Tasten und vor allem bei der für den Spieler völlig verdeckten linken Seite mit den Knopf-Griffen, wie er bzw. sie sie trifft. Die Fingerfertigkeit beim Spiel steht bei Sidorova keinem anderen Solisten an Piano oder bei einem Streichinstrument nach. Dazu kommt die betriebsgeräuschfreie Handhabung des Balges. Im Vorgespräch hatte Sidorova liebevoll den Spitznamen ihres Akkordeons mit ‘Biest’ angegeben. Man kann sagen, dass die Schöne das Biest faszinierend beherrschte.

Das OPL folgte dem Dirigenten und der Solistin aufmerksam und bereitete der Solistin das Umfeld, in dem sie das Publikum für dieses vielleicht verkannte Handzuginstrument einnehmen konnte. Dabei waren insbesondere die Bläser gefordert, die ihre Aufgaben bravourös bewältigten.

Den Abend eröffnet hatten Orchester und Dirigent mit ‘Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang’ von Sibelius. Dieses keinem Thema des Kalevala Mythos, dessen Bilder Sibelius ansonsten oft verwendete, zuzuordnende Werk lässt jedem Hörer seinen eigenen gedanklichen Spielraum. Natürlich erinnern die stark rhythmischen punktierten Triolenachtel des ersten Teils an Hufgetrappel und der zweite Teil in einer anderen, strahlenden Tonart lässt die Titelgebung naheliegend erscheinen. Hier arbeitete sich das Orchester akkurat an dem das Zusammenspiel fordernden Einstieg ab, aber man konnte den Eindruck haben, dass das nordische Idiom diesen Orchester nicht so geläufig ist wie vielleicht ein französisches. Das hier noch etwas mürrische, aber vielleicht auch nur angespannte Gesicht des Konzertmeisters mochte eine eigene Unzufriedenheit ausgedrückt haben.

Sozusagen die Ouvertüre zum zweiten Teil bot das Siegfried-Idyll von Richard Wagner. Als klein besetztes Werk für 15 Musiker zum Geburtstag von Cosima geschaffen, hat es einen serenadenhaften Charakter, den man im sonstigen Werk des Tonsetzers weniger findet. Die auch geläufige Orchesterfassung, hier mit etwas reduzierter Streicherbesetzung, nahm sich konsequent dieses Charakters eines Ständchens an. Die Streicherkantilenen entwickelten sich weich gestaltet und organisch. Auch bei Hinzutreten der Bläser und in den kraftvollen Passagen blieb diese charmante Spielweise erhalten, die heftige Akzente oder unvermittelte Übergänge vermied.

Dann wieder mit großer Streicherfassung, was vielleicht dort überraschen konnte, erklang zum Abschluss die Vierte Symphonie von Ludwig van Beethoven. Bei dieser mustergültigen Aufführung konnte der Zuhörer erfahren, dass sie zu Unrecht im Schatten anderer Symphonien des Meisters steht. Legt der erste Satz in dieser Darstellung noch einen Gruß von und an Haydn nahe, so zeigt doch das Werk den Komponisten auf den Weg zur fünften Symphonie. Mit flotten Tempi und geschärfter Artikulation übertrug Järvi seine unter anderem bei der Kammerphilharmonie Bremen gemachten Erfahrungen auf das hiesige Konzert. Er, der im Dialog vor dem Konzert als charmanter Gesprächspartner, aber auch fordernder Orchesterlenker charakterisiert worden war, hatte den Musikern des OPL wohl seine Sicht eingeimpft. Jedenfalls führten sie die Symphonie zum krönenden Abschluss des Abends, der auch mit reichlich Beifall vom Publikum belohnt wurde, dass in diesem Konzert eine ungewöhnlich angenehme zuhörende und aufmerksame Rolle eingenommen hatte.

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