Valery Gergiev
(c) Cami/LSO/Alberto Venzago

Das erste Konzert der Saison in der Luxemburger Philharmonie führte das Orchester des Mariinsky Theaters ins Haus. Geleitet wurde es natürlich von seinem Chef, Valery Gergiev. Ob die Aufstellung nur mit orchestereigenen Solisten überzeugte, hat Uwe Krusch für Pizzicato herausgefunden.

Zunächst sollte im Prinzip bei einem Konzert die Musik die Hauptrolle spielen. Doch ein Konzert wäre nicht ein Konzert, wenn es nicht auch etwas zu sehen und erleben gäbe. Der Auftakt fand jedenfalls vor prall gefülltem Haus mit besonders fein herausgeputztem Publikum statt. Dabei war auch die politische Prominenz, so Premierminister Bettel und der stellvertretende Ministerpräsident sowie Wirtschafts- und Gesundheitsminister Etienne Schneider. Eine besondere Note lieferte auch eine Familie, deren Sohn gedrängt wurde, bereits in der Pause Valery Gergiev einen Strauß Blumen zu überreichen. So weit so, doch die mutmaßlich in ukrainischen Nationalfarben gekleidete Mutter wollte auf der Bühne noch ein Autogramm erhaschen, was Gergiev zu verhindern wusste. Ein zumindest ungewöhnlicher politischer Moment in einem Konzert.

In Richtung des eigentlichen Konzerts geht dann die Beobachtung des Dirigierverhaltens von Gergiev. Seine flatternden Finger, Hände und gar Arme lassen nicht genau erkennen, ob es dem musikalischen Ausdruck dienen soll, ein Ausdruck der Hektik des Vielbeschäftigten ist oder einen anderen, etwa gesundheitlichen Grund hat. Jedenfalls stelle ich es mir schwierig vor, diesem Dirigat Sinnvolles, insbesondere klare Einsätze, abgewinnen zu können, zumal Gergiev nur einen Bleistiftstummel (oder ist es ein 5 cm langer Taktstock?) nutzt.

Das Programm startete mit einem Schlager französischer Provenienz, nämlich dem Prélude à l’Après-midi d’un Faune. Hier noch mit reduzierten Kräften legte das Orchester seine Visitenkarte vor. Es gelang ihm unzweifelhaft, die hinter dem Werk stehende Idee des sinnenden schläfrigen Fauns sinnstiftend zu verdeutlichen. Man wurde aber den Eindruck nicht los, dass die Russen zwar das Werk spielten, die Musik mit ihren Farbspielen angemessen vortrugen, aber nicht überwältigen konnten. Eine besondere Rolle spielte hier die Flöte, die sicherlich auch nicht den schlechtesten Anteil am Ergebnis hatte.

Die beiden anderen Werke, mitgebracht aus der Heimat, waren selten auf dem Spielplan zu findende Kompositionen. Die erste war die symphonische Suite Der Goldene Hahn von Nikolai Rimski-Korsakov. Das Sujet seiner 15. und zugleich letzten Oper basiert auf den Versen von Alexander Pushkin, in denen er von einem schlafenden Zaren Dodon berichtet. Insofern setzte sich der thematische Aspekt der Faulheit des Protagonisten sowohl im Werk als auch in der Darbietung fort.

Das Orchester brachte die Partitur mit allen Mitteln zu den Ohren des Auditoriums. Aber so recht konnte das Feuer der Musik nicht zünden. Aber Rimski-Korsakov ist für seine Instrumentationssicherheit bekannt. Das arbeitete das Orchester nicht wirklich plastisch heraus. Der Funke sprang daher nicht über. Schuld daran waren auch die lauten Passagen, die nur noch in Krach ausarteten. Man konnte keine Instrumentation oder Struktur mehr erkennen, weil es nur noch Lautstärke gab. Somit wurde eine Chance vertan, ein selten zu hörendes Werk in der Beliebtheitsskala noch oben zu hieven.

Nach der Pause offerierten die Gäste aus der Stadt an der Newa dann die 4. Symphonie von Dmitri Shostakovich. Auch bei diesem Stück kann man von einer ganzen Welt sprechen, die dargestellt werden soll. Dass es sich dabei um ein durchaus aus uneinheitlichen Elementen zusammen gesetztes Werk handelt, wurde auch in der Interpretation deutlich.

So war zwar das Orchester nunmehr bei einer engagierten Darstellung angekommen, aber vieles schien in ansprechende Momente zu zerfallen. Die kammermusikalischen Phasen wurden mit durchaus erfreulichen Leistungen der Solisten aus allen Bereichen des Ensembles zur Ergötzung des Publikums angeboten. Und etwa die, man möchte fast sagen pervers fordernde Stelle in den Streichen im ersten Satz zeigte auch, dass das Orchester ein ausgezeichnetes Zusammenspiel bewerkstelligen kann. Aber es gab auch wieder die enttäuschenden Ecken. Dazu beigetragen haben mag auch die andere Spielweise, bei der in den Streichern ein fast sanfter Ansatz gepflegt wird, der, anders als bei amerikanischen Orchestern, die messerscharf, aber auch kalt spielen, wärmer ist, aber auch weniger pointiert und damit oft auch wenig deutlich ans Ohr gelangt. Es kam auch wieder zu lauten unstrukturierten Ausbrüchen.

So hinterließ der Abend ein geteiltes Bild, das ein Orchester zeigte, das zwar auch exzellent spielen kann, aber diese Exzellenz als durchgehaltene Tugend vermissen lässt. Vielleicht wäre es für das Orchester hilfreich, sich auch mal unter ausländische Dirigentenhände zu begeben, um andere Anforderungen kennen zu lernen.

Das Publikum zeigte seine Zufriedenheit dann nach kurzem Zögern doch mit stehenden Ovationen und erhielt so noch eine Zugabe.

  • Pizzicato

  • Archives