Cecilia Bartoli
(c) Salzburger Festspiele

Wie beim Pop-Konzert fühlte sich Pizzicato-Mitarbeiter Uwe Krusch in dem Happening, das am Sonntagabend im großen Saal der Philharmonie Luxemburg eskalierte. Stehende Ovationen, Bravo-Rufe (auch wenn es bei einer Italienerin Brava heißen müsste) Gejohle und Groupies, die an die Bühnenrampe stürzen, um ganz nah bei ihrem Star zu sein, so gebärdete sich das etablierte Publikum.

Mitten in die ‘rainy days’, das Festival zeitgenössischer Musik in der Philharmonie Luxemburg, hatte der Terminkalender ein Konzert der Reihe große Stimmen platziert, das mit Cecilia Bartoli, dem Geiger Andrés Gabetta und dem Orchester ‘Les Musiciens du Prince-Monaco’ unter der Leitung von Gianluca Capuano wahrlich Außergewöhnliches bot. Dieses Konzert fand lediglich zeitlich koinzident zu den ‘rainy days’ statt, aber es gab durchaus einen thematischen Bezug. Die diesjährigen ‘rainy days’ haben als Motto ‘Get Real’ und stellen inhaltlich auf die Einbeziehung außermusikalischer Anknüpfungspunkte an und in die Musik ab.

Dies hätte auch bei Bartoli und ihren Mitstreitern gepasst, war das Programm doch komplett auf Vivaldi ausgerichtet. Dieser war einer der Ersten, der außermusikalische Aspekte wie Naturlaute in seine Musik aufnahm. Gerade auch die auf dem Programm stehenden ‘Jahreszeiten’ sind hierfür ein adäquates Beispiel, da sie Vogelstimmen, das Rutschen auf dem Eis, das Bibbern bei Kälte und andere jahreszeitlich gebundene Geräusche vertonen. Nur hatte Vivaldi natürlich nur eine Technik, er hat diese Bezüge kompositorisch in Töne der Instrumente umgesetzt. Insofern kann man eine lange Linie von damals bis heute sehen, nur dass sich die Art und Weise entwickelt hat.

Doch zurück zum eigentlichen Thema. Der Geiger Andrés Gabetta ist nicht so bekannt wie seine Cello spielende Schwester. Dass das nicht gerechtfertigt ist, konnte er in den Solopartien der Jahreszeiten zeigen. Dass dieses Opus in der Choreographie des Abends in satzweise Häppchen zerlegt wurde, macht so den Zugang für das Publikum sicher abwechslungsreicher und einfacher, für den Solisten aber eher schwieriger, da er sich immer wieder neu einstellen muss. Das gelang Gabetta aber ganz vorzüglich, und er scheute auch nicht davor zurück, ambitionierte Tempi anzuschlagen. Da er und das Orchester diese Virtuosität aber meisterten und die Musik trotz aller Schnelligkeit nicht gehetzt wirkte, entriss er diese überall auch im Hintergrund zu hörenden Stücke dem üblichen Wohlfühlsound und machte sie interessant. Mit einem gut genährten Klang der Originalinstrumente, den zur im barocken Sinne affektierten, aber eben nicht im heutigen Sinne affekthaschenden Darstellung führten, verlieh er zusammen mit dem gerade zwei Jahre jungen Orchester den Konzerten persönlichen Anstrich.

Das Programm des Abends war in zwei große Blöcke gefügt, in denen mit Zwischenspielen von Cembalo, Cello oder anderen die einzelnen Sätze der Jahreszeiten und die Arien jeweils zu einer Einheit vor und nach der Pause gefügt worden waren. Außerdem boten im dezent eingesetzte Vogelflöten und Fernmusiker bei den Türmen besondere akustische Reize. Neben dem durch die Verknüpfung hervorgerufenen Erzählstrang hat diese Vorgehensweise den Vorteil, dass nicht alle drei Minuten Applaus die Darbietung unterbricht. Man kann jetzt diskutieren, ob einem eher die Aneinanderkettung nicht zwingend zusammengehöriger Werke oder der ständig störende Applaus den Genuss verleiden kann. In dem Fall einer so stringenten Verbindung der Teile bevorzuge ich dieses Vorgehen, zumal es natürlich mehr Zeit für künstlerische Darbietungen bringt. Hier müssen die Künstler viel mehr für ihr Geld etwas tun.

Die zwei Handvoll Arien aus Opern von gut zwei Jahrzehnten des Schaffens von Vivaldi zeigten die Primadonna Bartoli als mit allen stimmlichen Mitteln gewaschene Künstlerin, die daneben auch ihre umwerfende Bühnenpräsenz und ihren persönlichen Charme effizient zu vermerkten weiß und schon beim Betreten der Bühne das Publikum um den Finger wickelt. Ihr Gesang ist ausgefeilt und variantenreich und wird immer von kleinen Gesten, Mimik und Spielereien begleitet, die ihre überbordende Energie und Lebensfreude zeigen.

Im Wettstreit mit dem herausragenden solistischen Flötisten Jean-Marc Goujon sowie dem Oboisten Pier Luigi Fabretti und dem Trompeter Thibaud Robienne gestaltete Bartoli Preziosen. Beispielhaft dafür dürfen zwei der fünf Zugaben herhalten, in denen ein Konzertieren, also Wettstreiten stattfand, bei dem die Trompete verschiedene, an Schwierigkeit sich steigernde Fanfaren vorspielte, die der Oboist und dann Cecilia nachahmen mussten. Bei der zweiten Version war die Stimmung schon so ausgelassen, dass der Oboist vor Lachen zunächst nicht mehr spielen konnte und der Trompeter sich als Sieger fühlen durfte. Ein zutiefst entspannt gehandhabter Moment mit viel Esprit, trotz des Missgeschicks.

Wenn auch nicht alles perfekt war und es kleine Unfälle wie differierende Tempi gab, so war der Gesamteindruck doch überwältigend. Wenn alte Musik so dargeboten wird, dann mag ein ‘rainy days’-Hörer es trotzdem als Museumsbesuch bekritteln, aber zumindest ist es ein grandioser Genuss, der trotz allem auch handwerklich präzise und stark gemachte Musik zu hören erlaubt, die so dargeboten auch lebt.

Vielleicht sei abschließend noch ein Rekurs zu den ‘rainy days’ erlaubt. Hat ein Konzert der Bartoli mehr Showcharakter als musikalischen Inhalt? Und wie steht es im Vergleich dazu mit der Darbietung eines, tja will man eigentlich noch von Musik sprechen, Werkes für zwar auch akustische, aber technisch verstärkte und verfremdete Instrumente, die auch von Computern mit Game Controllern und anderen Effekten maßgeblich gesteuert werden? Die spieltechnischen Anforderungen sind in beiden Fällen hoch und nur die außergewöhnliche Darbietung bringt sowohl das eine als auch das andere zum Fliegen. Und das Publikum zum Applaudieren.

  • Pizzicato

  • Archives