Philippe Herreweghe
(c) Michel Hendryckx

Die vergangene Woche bot in der Philharmonie jeden Tag Neuheiten und trotzdem auch sich wiederholende Aspekte. Neuheiten im Sinne von täglich wechselnden Programmen und Besetzungen, vom Liederabend über Kammerensemble bis zum großen Orchester sowie Musik von Mozart bis zur Uraufführung. Die wiederkehrenden Momente waren beispielsweise diverse große Künstlerinnen, die man bewundernd oder abschätzig als Diven bezeichnen kann und Dirigenten, deren Stern strahlt sowie verhinderungsbedingte Umbesetzungen. Wie der Abschluss der Woche am Freitag mit dem Philharmonischen Orchster Luxemburg, dem Gastdirigenten Philippe Herreweghe und der eingesprungenen Geigerin Carolin Widmann die Woche beschloss, beschreibt Uwe Krusch für Pizzicato.

Angesetzt gewesen waren zwei Werke von Johannes Brahms, neben der vierten Symphonie, die auch erklang, das Erste Klavierkonzert. Wegen der Erkrankung des Pianisten Martin Helmchen musste dieses Werk weichen. Stattdessen gelang es, eine weitere ebenso famose Musikerin, die Violinistin Carolin Widmann, für das große Violinkonzert von Mendelssohn zu gewinnen. Dabei gilt, wie auch für die anderen Diven der Woche, dass der Begriff bei diesen herausragenden Künstlerinnen nur im Sinne der Bewunderung passend ist. Natürlich treten sie selbstbewusst auf, das dürfen sie auch, da sie ihr jeweiliges Instrument fantastisch beherrschen. Aber auch Carolin Widmann hat sich eine trotzdem charmante, auf die Überbringung der Kunst gerichtete bescheidene menschliche Haltung bewahrt.

Carolin Widmann
(c) Kasskara

Ohne Schnörkel mit konzentriertem Einsatz fokussierte sie auf die Solostimme, die bei Mendelssohn beinahe unmittelbar ohne langes Vorspiel des Orchesters gefragt ist. Mit intensivem, aber nicht süßlichem Ton bot sie das Werk dar. Ihre technischen Möglichkeiten schienen keine Einschränkungen zu kennen. Ihr Spiel klang einerseits immer wohl durchdacht und auch Note für Note geprüft, aber es entwickelte trotzdem Verve und Feuer. Davon ließ sich das Orchester mitziehen und zeigte etwa von den Holzbläsern unterstützende feine Zutaten. Herreweghe ging ihren Weg mit, schien aber durch Kopfbewegungen während ihrer Kadenz im ersten Satz andeuten zu wollen, dass er sich ein stringenteres Tempo wünschte. Die Besonderheiten des Werkes wurden in der Interpretation deutlich herausgestellt. So ist das erste Thema der Violine und nicht dem Orchester zugeordnet und, anders als in den meisten Konzerten der Zeit, wird die Kadenz schon in der Durchführung vorgesehen und nicht erst gegen Ende des Satzes. Auch ungewohnt ist die Attacca-Anbindung des langsamen an den ersten Satz; eine solche Verbindung kennt man in der Zeit allenfalls vom zweiten zum dritten Satz.

Womöglich bedingt durch die kurzfristige Umbesetzung oder durch das famose Spiel der Solistin, wirkte das Orchester insgesamt animiert, es saß sozusagen auf der Stuhlkante. Dadurch gewann die Interpretation auch von dieser Seite zusätzlich Spannung und es gelang eine durchaus beeindruckende und fesselnde Darstellung, die die Besonderheiten des Werks offen legte. Nach intensivem Applaus ließ sich Widmann noch mit dem einleitenden Dolce aus der siebten der zwölf Fantasien für Violine allein ohne Bass von Georg Philipp Telemann hören. Dieses einfache und trotzdem in bester Barockmanier geschriebene Werk gehört zu der Sorte der Stücke, die das erhitzte Publikum beruhigen.

Immerhin die Tonart e-Moll haben das Konzert von Mendelssohn und die sich nach der Pause anschließende vierte Symphonie von Brahms gemeinsam. Herreweghe ließ das Orchester die gesamte Symphonie eher in einem pastoralen als einem auftrumpfenden Modus spielen. Er dirigierte auch dieses groß besetzte Werk ohne Taktstock und mit vielen kleinen, nicht ganz einfach zu deutenden Bewegungen.

Joseph Joachim nahm als Freund von Brahms vor einer Aufführung zu der Symphonie Stellung. Ihm gefiel ‘der geradezu packende Zug des Ganzen, die Dichtigkeit der Erfindung, das wunderbar verschlungene Wachstum der Motive noch mehr als der Reichtum und die Schönheit einzelner Stellen, …, so dass ich fast glaube, die e-Moll ist mein Liebling unter den vier Sinfonien.’ Gerade diesen Zug zeigte die Interpretation von Herreweghe nicht so deutlich auf wie andere Darstellungen. Die Dichtigkeit der Erfindung kam da schon eher ans Ohr. Man mochte eher an ein pastorales Werk denken oder sogar an eine Symphonie von Haydn erinnert sein, als an einen norddeutschen Komponisten.

Diese immanente Andeutung kann bei einem Werk aus seiner letzten Schaffensphase, in der er romantische und klassische Elemente mit seiner eigenen Stimme verbunden hat, wie hier in der Passacaglia Form des Schlusssatzes gezeigt werden. Und Herreweghe, der sich zunächst auf ältere Musik fokussiert hatte und erst jetzt sein Repertoire erweitert, ist diese Verbindung auch bestens bekannt.

An diesem Abend wirkte die Symphonie aber ein wenig zu stoisch und statisch. Aber ich vermute, dass dieser Eindruck eher der Herangehensweise als einer Erschlaffung des Orchesters zuzuordnen ist.

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