Maxim Emelyanichev
(c) Serhan Bali

Was für ein toller Genuss kurz vor Ende der Saison in der Philharmonie Luxembourg: Auf die barocke Aufführungspraxis spezialisierte Musiker sowie eine namhafte Sängerriege gaben sich ein Stelldichein für die konzertante Aufführung der Oper Agrippina von Georg Friedrich Händel. Dabei durfte auch Uwe Krusch für Pizzicato im Publikum erleben, dass es anders als im Sport, wo oft von einer Ersatzschwäche gesprochen wird, bei einer Auswechslung auch zu einer Ersatzstärkung kommen kann.

Die Charaktere dieser Oper sind solche der römischen Geschichte, wenn sich auch die geschilderten historischen Ereignisse zu unterschiedlichen Zeiten zugetragen haben. Ganz kurz gefasst, handelt die Oper von Agrippina, die versucht, ihren Sohn Nero, auf den Thron zu bringen, da der Caesar Claudio den Tod gefunden haben soll. Dafür spinnt sie einige Intrigen gegen Poppea und die anderen Beteiligten. Nach diversen Verstrickungen werden alle Stränge so geordnet, wie alle Beteiligten es wünschen: Nero wird Cäsar, Ottone und Poppea wollen lieber heiraten. Claudio, der doch lebt, erfüllt alle Wünsche, so dass auch Agrippina zufrieden ist, da ihr Sohn zum Cäsaren wurde. Die Beteiligten versammeln sich zum Schlusschor und Juno steigt mit ihrem Gefolge herab, um den Segen des Himmels zu erteilen. Schön auch, dass die Philharmonie unterhalb der Orgel die Übertitel zweisprachig zuspielte, so dass das Publikum bei Bedarf mitlesen konnte.

Händel erschuf mit der Musik zu seiner sechsten Oper zum ersten Mal ein so hohes Maß an dramaturgischem Fluss und musikalischer Geschlossenheit, dass diese Oper als sein erstes Meisterwerk gilt, und das, obgleich nur fünf Arien für diese als neuartig bejubelte Oper neu komponiert wurden. Das Händel-Werke-Verzeichnis führt allein 49 Stücke aus Händels italienischer Zeit auf, die er hier recycelt. Andere Stücke gehen auf musikalische Ideen von Reinhard Keiser, Johann Mattheson, Arcangelo Corelli und Jean-Baptiste Lully zurück. Auf der anderen Seite diente die Agrippina aber auch Händel selbst später in London als Quelle musikalischer Ideen, besonders für seine Oratorien. Soweit zum Hintergrund.

Maxim Emelyanichev hatte die Proben in Luxemburg für kurze Zeit unterbrochen, um am Freitag in Luzern bei der Preisverleihung der ICMA dabei zu sein, wo er einen Preis für seine Mozart-Aufnahmen bei Aparté erhielt   (c) Serhan Bali

Was in Luxemburg geboten wurde, war allerhand, aber im das im allerfeinsten Sinn. Vor dem zentriert positionierten Orchester waren sechs Sängerpulte angeordnet und jeweils zu den Seiten für diese noch drei Stühle als Wartezimmer. Zwar gab es keine szenische Aufführung im klassischen Sinne, aber die acht Singenden agierten natürlich mit Mimik, Gestik und kleinen Spielandeutungen, die zur Verdeutlichung und auch zur Unterhaltung einen erklecklichen Anteil hatten. Außerdem traten die Personen auf und ab, so dass immer wieder neue Bilder und Choreographien entstanden, die ebenfalls belebend wirkten.

Der vom Cembalo aus leitende Maxim Emelyanychev ließ mit jugendlichem Elan seine Haare fliegen und seine Arme kreisen, so dass er dem Orchester intensive Impulse vermittelte und über die Schulter auch die Solisten einbeziehen konnte. Die gut beanspruchte Basso continuo-Gruppe hatte den größten Part zu bewältigen und schaffte dies mit fein austariertem und immer aktivem Spiel, das den Solisten die famose Grundlage für ihre Beiträge bot. Im Übrigen wurden die orchestralen Passagen mit Verve und zackigem, aber wohlgeformten Ton gespielt. Dieses Ensemble und sein Leiter sind aller Ehren wert. Denn es ist kein leichtes, für drei Stunden Dauer allein die Konzentration ununterbrochen aufrecht zu erhalten. Das andere damit Probleme haben, konnte man ja bei einem halb so langen Programm am Abend vorher miterleben.

Doch ein Orchester ist nichts ohne die herausragenden Sänger und Sängerinnen und natürlich auch anders herum. Dass sich hier beides zusammen fügte, ergab den großen Genuss des Konzertes.

Natürlich hat vom Stück her Agrippina die wichtigste Rolle und die wurde auch einer stupenden Sicherheit und einer gehörigen Portion Ausstrahlung und Freude am Agieren von Joyce DiDonato beherrscht. Ihr stehen alle stimmlichen Mittel zur Verfügung und dazu konnte sie mit Charme und Augenzwinkern auch die kalt berechnende Agrippina so darstellen, dass es noch eine sympathische Figur wurde. Diese Rolle gestaltete DiDonato wirklich großartig. Im Vergleich mit den anderen Stimmen fiel auf, dass ihre noch etwas voluminöser und auch metallischer ist. Aber zu dieser Rolle passt diese im Vergleich gewisse Schärfe sehr gut.

Doch eigentlich tut man den anderen sieben Beteiligten der Sangesriege unrecht, wenn man DiDonato so hervorhebt. So applaudierte sie einmal sogar einem Kollegen für seinen fantastischen Beitrag. Luca Pisaroni konnte seinen Bass für einen aus seiner Caesarenstellung heraus in sich ruhenden Claudius ausleben lassen, der aber auch die Unsicherheit ob der Intrigen anklingen ließ.

Elsa Benoit als Poppea, die zweite Sängerin, mochte beim Auftritt zunächst ein wenig mädchenhaft zurückhaltend gewirkt haben. Sie entfaltete ihre Persönlichkeit aber auch stimmlich im Laufe der Rolle. Für ihren Geliebten und späteren Mann Ottone war eigentlich Marie-Nicole Lemieux vorgesehen, die aber kurzfristig hatte absagen müssen. Sie hätte sicherlich der Person des Ottone auch ein eindrucksvolles Profil gegeben. Aber ihr Vertreter, der Countertenor Xavier Sabata, war nun wirklich auch nicht gerade ein Notnagel. Vielmehr belebte er die Runde mit seinem sowohl ausdrucksstarken Gesang als auch einem verschmitzt aktiven Agieren, das eine Belebung brachte.

Selbst in den kleineren Rollen wirkten überzeugend singende und handelnde Künstler, so dass die gesamte Riege durchweg hochklassig besetzt war. Franco Fagioli als Nero, also Sohn von Agrippina, steuerte die auch komödiantisch angelegte Rolle bei, die die Unsicherheit des Kindes und Untertan mehr als andeutet, andererseits aber auch die Freude an der gewonnenen Position selbstbewusst zeigt. Seine stilistische Sicherheit und sein Auskosten haarsträubender Verzierungen war eine reine Freude. Quasi als Gespann von Pallas und Narziss trugen Andrea Mastroni und Carlo Vistoli ebenso ihre wertvollen Gaben bei wie Biagio Pizzuti als Diener Lesbo.

Auch nach beinahe vier Stunden in der Philharmonie war das Publikum noch so munter und euphorisiert, dass es mit Applaus nicht geizte, bis die Musiker sich verabschiedeten.

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