Das London Symphony Orchestra war zu Gast in der Luxemburger Philharmonie. Alain Steffen berichtet.
Am Tag der Beisetzung von Queen Elisabeth II spielte das London Symphony Orchestra unter seinem Chefdirigenten Simon Rattle sein erstes von zwei Konzerten in der Philharmonie. Nach dem Erklingen der Nationalhymne des Vereinigten Königreichs erlebte das Publikum ein typisches Rattle-Programm mit fünf sehr unterschiedlichen Werken, bei denen ein gewitzter Dramaturg sicherlich auch inhaltliche Beziehungen herstellen könnte. Das Konzert begann mit der jovialen Ouvertüre zu Le Corsaire von Hector Berlioz. Und sofort war man vom Weltklassespiel des LSO begeistert, dessen Klangschönheit immer wieder fasziniert, egal, wie oft man das Orchester schon gehört hat. Daniel Kidanes Sun Poem aus dem Jahre 2022 ist ein Auftragswerk des LSO und man muss den andersartigen, avantgardistischen Stil des Komponisten schon mögen, um das Werk wirklich zu schätzen. Ich habe das Stück als langweilig und wenig abwechslungsreich empfunden. In dem Sinne hat Sun Poem auch keinen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Toll dagegen La Valse von Maurice Ravel, die Rattle bis in die Extreme auslotete, Zwischentöne immer wieder hörbar machte, Rhythmen gegen Strich kämmte, akzentuierte, die Ekstase minutiös vorbereite und das LSO dabei in einen wahren Klangrausch führte.
Mit der 7. Symphonie von Jean Sibelius kehrte Rattle an seine Anfänge mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra zurück und auch heute noch muss Rattle al einer der wichtigsten Sibelius-Interpreten angesehen werden. Er besitzt ein sehr natürliches Verhältnis zu der Musik, spürt intuitiv dem rhapsodischen Charakter nach und weiß wie kaum ein anderer, diese Musik zu formen und zu entwickeln. Bela Bartoks einsätzige Tanzpantomine Der wunderbare Mandarin wurde in der kompakten Suiten-Fassung gespielt. Die Musik wirkt kondensiert und das LSO geizte nicht mit brutalsten Klängen, um diese ungewöhnliche Partitur ins beste Licht zu Rücken. Rattle dirigierte präzis und betonte die modernen, analytischen Aspekte der Musik, ohne aber je den tänzerisch-rhythmischen Charakter des Mandarins aus den Augen zu verlieren. Nach diesem regelrechten Klangorgasmus kehrte mit Pavane von Gabriel Fauré als Zugabe wieder Frieden ein, ein Frieden, wie Simon Rattle meinte, den man eigentlich überall wieder dringend bräuchte.
Am zweiten Abend folgte Mahlers gewaltige 2. Symphonie (Auferstehung) mit dem London Symphony Chorus und den Solistinnen Siobhan Stagg, Sopran und Dame Sarah Connolly, Mezzo. Es war eine sehr intensive und klangopulente Interpretation, die uns Simon Rattle bescherte. Da gab es sehr wuchtige und aggressive Momente, Augenblicke, wo das Orchester schier zu explodierten drohte, und da gab es, insbesondere in den Mittelsätzen, unwahrscheinlich feingesponnene Melodienfäden, zarte Interaktionen der Instrumente und sauber und wunderschön gespielte Soli. Es war ein Mahler der Extreme, und trotz seiner enormen Klangentfaltung niemals plakativ.
Rattle erwies sich erneut als einer der führenden Mahler-Interpreten unserer Zeit. Und mit dem LSO hatte er wohl einen der besten Klangkörper der Welt, um seine Visionen hörbar zu machen. Etwas peinlich war der Moment, wo die beiden Solistinnen den Moment verpasst hatten, auf die Bühne/beziehungsweise Orgelempore zu kommen und wo die Aufführung einige Minuten unterbrochen war. Rattle nahm es scheinbar mit Humor und wandte sich ans Publikum: „The British queue is everywhere.“