Gustavo Gimeno
(c) Alfonso Salgueiro

Gerade einmal zehn Tage ist es her, dass man Yuja Wang in der Philharmonie erleben konnte. Bei ihrem letzten Besuch ihrer Residenz hier vor Ort traf sie dann mit den heimischen Größen zusammen,  mit dem Philharmonischen Orchester Luxemburg (OPL) und seinem Chefdirigenten Gistava Gimeno. Wie dieses Zusammentreffen klang, beschreibt Uwe Krusch für Pizzicato.

Zunächst waren natürlich schon die optischen Erwartungen hochgesteckt, was die Bekleidung der Künstlerin angeht, hatte sie doch vor zehn Tagen vorgelegt. Vor der Pause kam dann gewissermaßen die Enttäuschung mit einem zwar kräftig roten, aber langen Kleid, das nur den Rücken und wenige Seitenpartien frei ließ. Erst nach der Pause ging es mit erneut einem gewagt kurzen Dress mit hochhackigen Schuhen weiter. Eigentlich ist ein solcher Aspekt nicht Gegenstand meiner Kritiken, aber wer es so darauf anlegt, Modenschau zu machen, wird auch dazu bekrittelt. Und noch eins: Yuja Wang lässt Musiker und Publikum immer sehr lange warten. Alle sitzen, das Orchester hat gestimmt und … nichts passiert. Viele Künstler nutzen diesen Moment, um Aufmerksamkeit zu fordern, bei manchen Orchestern sogar der Konzertmeister, der nach dem Rest des Kollegiums kommt, manchmal sogar erst, wenn sein Pultnachbar hat stimmen lassen. Aber was Yuja Wang macht, ist schon besonders … divenhaft. Die zwei Minuten, gestern wegen zwei Auftritten auch zwei Mal, lassen keine Spannung aufkommen, sondern eher Missmut. Zumal wegen des langwierigen Pianoaufbaus sowieso viel Zeit verstreicht. So versuchte sich das Publikum erfolglos im Herbeiapplaudieren der Pianistin.

Wie war denn nun ihr Spiel? Sie hatte sich wieder technisch extrem schwierige Literatur ausgesucht. Das Konzert von Ravel für die linke Hand, beauftragt von dem kriegsversehrten Pianisten Paul Wittgenstein, ist ein fein spinnendes Werk genauso wie ein Parforceritt. Dass dieser gerade für den Solisten trotz bzw. wegen der einseitigen Ausrichtung Kraft und Geschicklichkeit erfordert, konnte man daran erkennen, dass Yuja Wang sich am Flügel bzw. Klavierhocker mitunter abstützte. Umso mehr muss man bewundern, wie Wittgenstein mangels zweitem Arm das Werk bewältigen konnte.

Die Solistin war zweifellos nicht überfordert und brachte eine intensive Darstellung zustande. Das Orchester begleitete sehr aufmerksam, hier noch Konzertmeister Philippe Koch, und ließ die Farben, die Ravel dem Werk hat zukommen lassen, erglühen. Das Stück hat geradezu ein philosophisches Niveau, um nicht zu sagen, es ist ein existenzialistisches Werk, da das Hauptthema eng mit dem ‘Dies irae’-Motiv verwandt ist. Dass dieses Werk ein Totentanz ist, konnte in der lebensbejahenden Interpretation nicht fassen, aber die Tiefe schon erfahren.

Nach der Pause gab es dann die Fortsetzung der russischen Reihe. Nach Prokofiev beim letzten Auftritt spielte Yuja Wang nunmehr das zweite Konzert von Shostakovich, dass anders als das erste mit einer zusätzlichen Solotrompete, nur auf das Tasteninstrument ausgerichtet ist. In den Ecksätzen ist es schon perkussiv und immer rhythmisch treibend. Hier gelang es Gimeno bis auf kleine Wackler, Orchester und Solistin im Gleichklang zu bewahren und sie im Gleichschritt voranzutreiben. Der langsame Mittelsatz wurde von Yuja Wang und den Streichern, hier jetzt mit Konzertmeister Haoxing Liang und daraus folgender Anpassung der Sitzordnung am ersten Pult, ein fast gebetsartig intensives Formen der musikalischen Textur, dass einen bezaubernden Eindruck hinterließ.

Nach Abschluss des wiederum virtuosen dritten Satzes ließ sich die Pianistin wieder lange bitten, einen Wunsch nach Zugaben mochte sie dann aber nicht mehr erfüllen. Das wäre nach zwei so fordernden Werken vielleicht auch schwierig geworden, sowohl mental bei ihr als in der Auswahl eines Werkes.

Das Orchester hatte diese beiden Soloauftritte mit eigenen Beiträgen gerahmt. Zu Beginn gab es den kaum mal zu hörenden Sturm von Tchaikovsky. Neben der Fantasieouvertüre Romeo und Julia ist dieses eine weitere Inspiration, die der Komponist vom berühmten Schriftsteller William Shakespeare bezog. Mit knapp 20 Minuten Dauer, gefühlt noch mehr, ist dieses frühe Stück mit einem literarischen Inhalt ein selten zu hörendes Werk, so dass Gimeno Dank gebührt, auch so einen Außenseiter vorzustellen. Das Orchester wusste die für den Komponisten typische Partitur mit herausragenden Leistungen, fast über das gesamte Orchester verteilt, vor allem aber bei den Holzbläsern, zu beleben. Insgesamt hätte man wohl mehr Freude, wenn das Werk etwas straffer gefasst worden und nicht alle Ideen ausgebreitet worden wären.

Zum Abschluss des Abends kehrte das Orchester zu Ravel zurück und präsentierte die zweite Suite aus Daphnis et Chloé. Die drei, alle mit ‘lent’ kartographierten Sätze entwickeln aber im Detail durchaus Tempo und verharren nicht in einem, wie man denken könnte, konturlosen Raum. Dank der famosen Leistung, bei der Gimeno hier auswendig dirigierte, konnte man den Ausschnitt aus diesem grandiosen Werk aus der Feder von Maurice Ravel bewundern und genießen. Mit den abschließenden Klangvolumen ist es ein Werk, das den Abschlussapplaus geradezu herausfordert. So schloss ein langer Abend, der trotz der früheren Anfangszeit wegen diverser Aufbaupausen fast zur gewohnten Stunde endete, mit großer Geste.

Nach dieser überzeugenden Leistung darf man dem OPL und Gustavo Gimeno für die Tournee, die bereits am Folgetag in Brüssel begann und über diverse Städte in Deutschland nach Athen, Ljubljana, Wien und in die Türkei führt, und auf der sie Yuja Wang begleiten wird, eine gute erfolgreiche Reise wünschen.

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