Mirga Gražinytė-Tyla

Zum Ende der Saison geben sich noch die großen Namen in der Philharmonie in Luxemburg die Klinke in die Hand. Zum Abschluss der Reihe Grands orchestres durfte das Konzerthaus das City of Birmingham Symphony Orchestra begrüßen, das im 99. Jahr seines Bestehens noch schnell kam, damit seine Chefdirigentin zu dessen 100. Geburtstag noch eine Einladung nach Birmingham aussprechen konnte. Ob wir dann noch so einfach ins Brexitland reisen können und wollen, wird sich zeigen. Was das diesjährige Gastspiel brachte, kann Uwe Krusch für Pizzicato berichten.

Im nächsten Jahr wird es auch dreißig Jahre her sein, dass Simon Rattle zum CBSO-Chefdirigenten ernannt wurde und das Orchester und sich in neue Höhen führte. Da haben sich beide Beteiligten, wenn auch auf inzwischen getrennten Wegen, gehalten. Nach Sakari Oramo und Andris Nelsons, zwei weiteren heutigen Schwergewichten der Dirigentenszene hat nunmehr die junge Litauerin Mirga Grazynite-Tyla den Stab in die Hand genommen, um die Geschicke des Orchesters weiter zu führen. Dass ihr dieses mit groß schwingenden, aber auch dezidiert genauen und dezidierten Bewegungen gelingt, bewies sie auch in Luxemburg. Und auch sie hat sich schon Meriten erworben, wie mit ihren Einsatz für Weinberg.

Mit einem großen Klassiker, dem Feuervogel von Igor Strawinsky, schloss der Abend. Davor hatte es zwei große Werke, die etwas außerhalb des Fokus stehen, und drei Zugaben gegeben. Eröffnet wurde der Abend mit dem kurzen Concerto Românesc von György Ligeti. Es folgte das fünfte Klavierkonzert von Sergei Prokofiev.

Alle Werke vereint ihre Verortung im östlichen Europa, die nicht nur auf der Herkunft der Komponisten beruht, sondern auf einem darüber hinaus gehenden der Musik immanenten Etwas, das eine Zuordnung als ungarische oder russische Musik ermöglicht, wie Tatjana Mehner in ihrem vorhergehenden Vortrag ausführte. Bei Ligeti lässt sich das auch dadurch festmachen, dass er ähnlich wie Liszt, Bartók und Kodály die Volksmusik seiner Heimat sammelte und sie technisch oder durch Notation archivierte. Bei Ligeti flossen solche Aufzeichnungen auch in das hochvirtuose Concerto Românesc ein, wobei sie auch in stilisierter Form zu hören sind.

Da hier ein Orchester vom ersten Moment an gefordert ist, taugt das Werk als gute, aber auch ambitionierte Eintrittskarte. Das Ensemble erwies sich gleich auf der Höhe der Konzentration und machte die Lebenslust der Musik hörbar. Etliche Solisten konnten sich hervortun, wie den ganzen Abend über die Holzbläser und auch die Stimmführer der rotierenden Streicher, allen voran der hier in seinem Element spielende ungarische Konzertmeister Zsolt-Tihamér Visontay.

Die von Prokofiev überlieferten Äußerungen zu seinem späten Werk, auch zu dem fünften Klavierkonzert, überraschen. Meinte er doch, etwas Unkompliziertes, Einfaches komponiert zu haben. Dabei hatte er sich jedoch auf die Durchhörbarkeit der Musik bezogen und nicht auf die technische Spielbarkeit. Dass dieses wie auch seine anderen Klavierwerke mit höchsten Anforderungen an den Solisten, die mit virtuos nur unzureichend beschreiben sind, gespickt ist, macht es trotz seiner ungewöhnlichen Aspekte zu einem Paradestück, das allerdings seltener als seine Schwesterwerke zu hören ist.

Hier trumpfte dann Yuja Wang auffallend auf. Das bezog sich zunächst auf ihre Kleidung, die beim vor allem älteren männlichen Publikum doch für ein hörbares Raunen sorgte. Mit riskant hochhackigen Schuhen und einem sehr figurbetonten schicklich nur das Nötigste bedeckenden Kleid in gelber Leuchtfarbe kontrastierte sie zu ihren schwarzen Haaren. Wie man mit diesen Schuhen die Pedale des Pianos bedient, ist mir schleierhaft, aber sie konnte es. Dann stürzte sie sich in die Grooves des Konzertes, die neben Jazz und Blues auch klassisch allerlei zu bieten haben.

Allein die Gestalt in fünf Sätzen unterschiedlichster Ausprägung ist ungewohnt. Doch auch die beinahe wie Schlagzeugmusik wirkenden Passagen mit zirkusreifen Glissandi und anderen Herausforderungen zeigten, dass sie nicht nur ein hübsch anzusehendes Püppchen ist, sondern ein Vollblutmusikerin. Ihr kamen natürlich die technischen Herausforderungen sehr zupass, die sie mit spielend wirkender Leichtigkeit beherrschte. Doch auch im musikalischen Ausdruck fand sie Mittel und Wege, das Werk interessant klingen zu lassen. Das Orchester mit der zierlichen, vom Deckel des Flügels verdeckten Dirigentin, muss weiterhin höchst konzentriert zu Werke gehen. Und das gelang ihm größtenteils zusammen mit der Solistin auch ausdrucksvoll, ohne letztere zuzudecken.

Yuja Wang bedankte sich für den intensiven Applaus mit gleich drei Zugaben, die noch in ganz andere Ecken führten, wie um ihre Vielseitigkeit zu beweisen. Eine Carmen-Paraphrase von Horowitz, etwas Gluck und noch Gretchen am Spinnrade von Franz Schubert zeigten, dass sie auch gefühlvoll spielen kann.

Mit dem Ballett Feuervogel, in der kompletten Version und nicht nur der Suite, zeigten Dirigentin und Orchester dann noch, dass sie sowohl die große Form beherrschen als auch die Details eines solchen Mammutwerkes fein ziseliert herausarbeiten können. Denn das Stück entwickelt sich in langen ruhigen Bahnen, bis es sich dann zu großen Klängen aufschwingt, die mit dem großen Jubel dann final ausklingen. Da Gražynitė-Tyla nicht nur ihren Klangkörper, sondern auch das Publikum im Griff hat, schaffte sie es, dass das Stück zu Ende gespielt werden und ausklingen konnte, ohne das der Schluss zerklatscht wurde. Diese Dreivierteilstunde bot ausreichend Gelegenheit, das Orchester zu genießen und beruhigt in die Sommerpause zu gehen und sich auf die neue Saison zu freuen, die wieder Hörerlebnisse bieten wird.

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