Teodor Currentzis
(c) Philharmonie/Sébastien Grébille

Nun kam in der noch jungen Saison nach dem Mariinsky-Orchester schon die zweite russische Gästegruppe aus dem Osten, nämlich MusicAeterna unter ihrem Chef Teodor Currentzis. Bei diesem Konzert gab es eine weitere Parallele und zwei Unterschiede, so hat es Uwe Krusch für Pizzicato gehört.

Die Parallele zum anderen Konzert war ein ähnlich gelagertes Programm mit Musik aus Frankreich und Russland. Als Unterschied kann vermerkt werden, dass sie mit Hélène Grimaud am Klavier eine Solistin zu Gast hatten. Und mit diesem Orchester, das zwar mitten in Russland in der Stadt Perm angesiedelt ist, die aus westeuropäischer Sicht schon weit im Osten und aus russischer Sicht mutmaßlich irgendwo am Rande der Bedeutung liegt, hat Russland ein hochklassiges Ensemble zu bieten, bei dem es sich lohnt, die Konzerte zu besuchen.

Die Aufteilung zwischen französischer und russischer Musik war hier auch ausgewogener. Das Klavierkonzert von Ravel wurde mit einer vom Dirigenten zusammengestellten Suite aus der Ballettmusik Romeo und Julia von Sergei Prokofiev kombiniert.

Das Konzert erklang nicht einfach, sondern der erste Satz wurde als Zugabe erneut gegeben. Welchen Hintergrund dieses Vorgehen hatte, ist nicht gewusst. Vielleicht waren die Gäste so spät angereist, dass sie keine oder keine ausreichende Einspielprobe im Saal vornehmen konnten. Jedenfalls hatte man neben dem Genuss der teilweise doppelten Präsentation Gelegenheit, die zweite Fassung als entspannter und sicherer wahrzunehmen, als ob sie sich vorher noch hatten herantasten müssen.

Heiter und unterhaltsam, so muss das beinahe 25 Minuten lange Konzert klingen. Es ist eher nicht Bombastisches, mit dem ein Pianist äußerlich brillieren kann. Vielmehr soll es leicht und damit heiter und klassisch-unterhaltsam im besten Sinne klingen. Das bedeutet nicht, dass es leicht zu spielen ist für den bzw. die Solistin. Dass Hélène Grimaud diesen handwerklichen Ansprüchen leicht gewachsen ist, konnte man insbesondere auch im Vergleich der beiden Kopfsatzversionen feststellen, da auch hier die zweite deutlich klarer artikuliert wurde. Doch auch die Interpretation konnte sich mehr als hören lassen. Und die war dabei nicht unschuldig, wie ihr Auftritt ganz in weiß vielleicht denken ließ. Vielmehr tastete diese charismatische Künstlerin sich immer weiter auf der Suche nach dem Sinn in der Musik. Dabei fand sie Töne, Phrasierungen und Klangfarben, die überzeugten. Wie es bei Ravel nötig ist, konnte sie temperamentvoll und virtuos zulangen und zugleich leidenschaftlich und poetisch verspeilt erklingen. Ihr Spiel, das zugleich überwältigend kraftvoll sein kann, musste diese Variante an diesem Abend nicht zeigen. Alle anderen Fähigkeiten aber konnte und durfte sie an die Ohren der Zuhörer bringen.

So gelang es ihr, das Interesse und Begeisterung des Publikums wieder einmal zu binden, was sich auch auf die Konzentration mit wenigen Nebengeräuschen positiv auswirkte. Sie ist eine faszinierende, vielschichtige Pianistin aus Frankreich.

Das für Ravel schlank besetzte Orchester, dem vor allem für die Bläser einiges an Herausforderungen zugemessen wird, mischte sich mit sehr aufmerksamer und angeregter Teilnahme ins Geschehen ein und bot mehr als nur Begleitung. Das ist bei einem ebenso farbenreichen wie rhythmisch intensiven Konzert aber auch nötig.

Teodor Currentzis
(c) Philharmonie/Sébastien Grébille

Im Prokofiev dann durfte das Orchester, mit neuem, ausgeruhtem Konzertmeister und in großer Besetzung seine Qualitäten dann noch deutlicher herausstellen. Currentzis hatte aus dem mehr als zweistündigen Ballett eine weniger als einstündige Fassung erwählt, die zwar auch der Virtuosität des Orchesters ihr Recht gibt, vor allem aber trotz der Verkürzung einen Durchlauf durch die Tragödie von Shakespeare an Hand der Musik gibt. Prokofiev hat mit diesem Werk schon ein kompositorisches Stück hoher Güte geliefert, das die Facetten eines Orchesters zeigen kann. Das gelang Currentzis und MusicAeterna überzeugend.

Dabei legten Dirigent und Orchester Wert darauf, musikalisch und handwerklich mit starker Gestaltung und unter Beachtung der Details Werthaltiges auf die Bühne zu zaubern. Sie beließen es im Befehl des Fürsten etwa bei der komponierten Sicht. Die Gäste des ersten Konzerts hatten auf ihrer Aufnahme, als sie noch Kirov hießen, nach dem Tuttibläsersatz die leise im Flageolett spielenden Streicher oktaviert, um den Effekt dieses überirdischen Effekts noch zuzuspitzen. Das war hier gar nicht nötig, denn die Qualität der Musiker lieferte auch so den Effekt. Bei diesem Werk müssen beinahe alle Mitwirkenden im Orchester solistisch agieren. Doch das stellte bei diesem Ensemble kein Problem dar. Vielmehr ließ das junge Orchester keine Scheu und Müdigkeit erkennen. Das ist vor dem Hintergrund, dass der Prokofiev im Stehen gespielt wurde, soweit das die Instrumente zuließen, durchaus auch körperlich anstrengend. Eine stehende Anordnung eröffnet die Möglichkeit, dass die Musiker mitschwingen und damit die Musik auch über das rein Instrumentale hinaus miterleben können. Auf manchen mag das befremdlich wirken, wie ein Zuhörer meinte, er wolle die Musiker nicht in der Disse (also Diskothek) erleben. Das ist sicherlich eine mögliche Sichtweise. Aber die körperliche Freiheit hat auch eine belebende Wirkung auf die Musik.

Dem Dirigenten laufen ja spannende, um nicht zu sagen auch widersprüchliche Bemerkungen voraus ob seiner ungewöhnlichen interpretatorischen Herangehensweise. Optisch mit moderner Frisur, eher Sekuobla, also seitlich kurz und oben lang, anstelle Vokuhila und manchmal mit seiner breiten im Knie angebeugten Beinhaltung wirkte er optisch wie ein Hampelmann. Aber das Klangerlebnis zeugte von einer durchdachten und sauber erarbeiteten Herangehensweise, die vielleicht ungewohnte Ergebnisse zeugt, aber nicht leichtfertig als unqualifiziert abgetan werden darf. Vielmehr muss man sagen, dass dieses Konzert eine nachhaltige, herausragende Visitenkarte russischer Kultur lieferte, die die Darbietung derMariinsky-Russen sehr deutlich übertraf. Vielleicht hilft dabei die inzwischen bestehende Unabhängigkeit vom System, das es noch immer gibt.

Eine Show boten die Mitwirkenden dann noch bei der Verabschiedung, als Currentzis das gesamte Orchester zu Verbeugungen in alle Richtungen, in denen Zuhörer saßen, bewegte.

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