Simon Rattle
(c) Sébastien Grébille/Philharmonie Luxembourg

In der Luxemburger Philharmonie dirigierte Simon Rattle das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und ein gutes Solisten-Ensemble in einer konzertanten Aufführung von Wagners Siegfried. Alain Steffen berichtet.

Simon O’Neill, der Siegfried dieser Aufführung, gehört zu den renommiertesten Heldentenören der Gegenwart, der auch an vielen großen Bühnen weltweit in diesem Repertoire auftritt. Bei den Bayreuther Wagner-Festspielen war er 2010 als Lohengrin und 2011 als Parsifal zu hören. Und er darf zu der raren Gattung des wirklichen Heldentenors gezählt werden, die natürlich voraussetzt, dass man Wagner nicht schreit sondern mit viel Belcanto und stimmlicher Schönheit singt. O’Neills Tenor ist tatsächlich sehr lyrisch angelegt und hat trotzdem eine große Durchschlagskraft. Mit seinen 52 Jahren scheint der Sänger nun auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen zu sein; die Stimme ist schön, flexibel und angenehm zu hören. Er singt die Siegfried-Partie mit Leichtigkeit und ohne hörbare Anstrengung. Vor allem aber allem klingt die Stimme gesund, was heißt, dass der Sänger bisher alles richtig gemacht hat. Und dass er auch in diesem vierten Siegfried innerhalb 9 Tagen immer noch genug Reserven und vor allem Lust auf Schmiedelieder, Waldweben und Liebesduett hat, davon konnte sich das Publikum in der Philharmonie überzeugen. Doch in dieser Oper der Konfrontationen – es sind immer nur zwei Protagonisten gleichzeitig auf der Bühne – ist jede Stimme gleich wichtig.

Und in diesem Münchner Siegfried wurde wirklich alles aufgeboten, um ein Maximum an sängerischer Kunst und Kultiviertheit auf die Bühne zu bringen. Peter Hoare, ein Charaktertenor mit heldischem Einschlag, war hervorragend als Mime. Der Sänger, der im ersten Akt permanent zu singen hat, hatte auch in der 80. Minute noch genug Präsenz, um dem stimmgewaltigen O’Neill Paroli zu bieten. Er sang die Partie, ohne dabei ins Karikatural abzurutschen oder in den gefährlichen Sprechgesang zu verfallen. Als gelernter Perkussionist durfte er sich selbst mit dem Hammer auf dem Amboss begleiten. Michael Volle ist (neben dem stimmlich etwas anders gelagerten Thomas Konieczny) wohl der weltbeste Wotan/Wanderer (wie auch Hans Sachs) unserer Zeit. Seine Szenen mit Mime, Alberich, Erda und Siegfried waren von höchster Intensität, und man konnte sich als Hörer kaum an dieser prachtvollen Stimme satthören. Einen unerwarteten belcantesken Alberich lieferte Georg Nigl, der noch vor drei Jahren Bach mit Simon Rattle gesungen hat, in der Rolle des Alberich. Im Gegensatz zu den üblichen rauen, dunklen Stimmen beeindruckte Nigl mit einem leichten, höhensicheren und durchschlagskräftigen Bariton, der die Figur von ihren Klischee befreite und sie jugendlicher, frischer und menschlicher erscheinen ließ. Franz Josef Selig war ein beeindruckender Fafner und fast schon eine Luxusbesetzung für diese kleine Rolle.

Anja Kampe glänzte als Brünnhilde. Ihre kraftvolle Stimme war zu zartesten Tönen fähig und neigte an keiner Stelle zum Schreien. Hinzu kamen ein sehr weiches Legato und ein perfekter Vortragsstil. Einziger Fehltritt des Abend war die Platzierung von Gerhild Romberger als Erda auf dem linken Turm, was schon dramaturgisch nicht korrekt ist, weil Erda als Urmutter mit der Erde verbunden ist und nichts in luftigen Höhen zu suchen hat. Ihre wundervoll strömende Alt-Stimme konnte so nur ansatzweise genossen werden und in der Konfrontation mit dem voll aufdrehen Michael Volle als Wanderer besaß sie so nicht die genügende stimmliche Präsenz. Sehr schade, denn ihr vollendeter Gesang war von großer Schönheit. Danae Kontora, die kurzfristig vor dieser Konzertserie als Waldvogel für Barbara Hannigan  (welch ein Luxus wäre das gewesen) eingesprungen war, rundete mit ihrer glasklaren, feinen Stimme dieses erstklassige Sängerensemble auf allerhöchstem Niveau ab.

Simon Rattle nahm das Publikum mit auf eine Reise durch die musikalische Wunderwelt des Richard Wagner und machte hörbar, was man sonst eigentlich nur auf einer gutaufgenommenen CD wahrnehmen kann. Hier war alles optimal. Wie Rattle Innenspannung, orchestrale Virtuosität, Klangstaffelung, Transparenz und melodischen Fluss nahtlos miteinander verband, das war einfach sensationelle Kunst. Das Orchester spielte überragend und ließ während den 4 Stunden Musik keine Schwächen erkennen.

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