Ein einziger Komponist stand bei dem Gastspiel des ‘Budapest Festival Orchestra’ im Mittelpunkt, nämlich der Ungar Bela Bartok. Und dies mit sehr unterschiedlichen Facetten seines Könnens, berichtet Alain Steffen.
Der erste Konzertteil mit den ‘Rumänischen Volkstänzen’, den ‘Ungarischen Volksliedern’ und den ‘Ungarischen Bauernliedern’ zeigte Bartok sehr deutlich als Musikethnologen, der sich mit Hingabe den folkloristischen Melodien und Liedern seiner Heimat gewidmet und diese in eine unnachahmliche musikalische Kunstform gegossen hat. Dass Bartok aber zudem ein ernstzunehmender moderner Komponist des 20. Jahrhunderts gewesen war, davon zeugt seine einzige, knapp eine Stunde dauernde Oper ‘Herzog Blaubarts Burg’ nach dem Märchen von Charles Perrault.
Ivan Fischer, der vorgesehene Dirigent und Gründer des Budapest Festival Orchestra war erkrankt und wurde von seinem für diese Tournee als Assistenten verpflichteten Gabor Kali ersetzt. Káli ist aber kein unbeschriebenes Blatt, denn der junge Dirigent ist mehrfacher Preisträger und hat sich schon bei den Salzburger Festspielen erste Sporen verdient. Für den ersten Teil hatte sich das Orchester etwas Besonderes einfallen lassen. Vor den eigentlichen Bartok-Kompositionen ‘Rumänische Volkstänze’ Sz 56 und den ‘Ugarischen Bauernliedern’ Sz 100 erklangen nämlich diese Werke in ihrer Originalfassung. Drei Musiker des Orchesters begleiteten die ungarische Folksängerin Marta Sebestyen in durch und durch authentischen Darbietungen dieser Lieder mit Violine, Bratsche und Cello. Marta Sebestyen ist weit über die ungarischen Grenzen hinaus für ihre Kunst bekannt, die für wirklich unverfälschten traditionellen ungarischen Volksgesang steht. Gabor Kali zeigte sich als ein dynamischer Interpret der Musik Bartoks, der den Klang des ‘Budapest Festival Orchestra’ ins beste Licht setzen konnte. Großer Jubel dann auch beim Publikum, dem Marta Sebestyen und die drei Musiker noch eine Zugabe folgen ließen.
Nach der Pause erlebten die Zuhörer dann die andere Seite von Bela Bartok, nämlich die des modernen Komponisten, der neue, eigene Wege geht. Ein Schlüsselwerk in seinem Schaffen ist die 1911 komponierte Oper ‘Herzog Blaubarts Burg’, die damals wie heute dem Publikum immer noch Schwierigkeiten bereitet. So hat es denn auch bis in die Fünfzigerjahre gedauert, bis ‘Blaubarts Burg’ durch die unermüdlichen Bemühungen des ungarischen Dirigenten Ferenc Fricsay einigermaßen an Popularität gewann und sich als eines der großen Werke des 20. Jahrhunderts etablieren konnte.
Ein Blick auf die Diskographie zeigt, dass man es sich auch hier mit dem Werk immer etwas schwer getan hat. Knapp 20 Gesamtaufnahmen sind in den letzten 65 Jahren entstanden, was, verglichen mit anderen wegbereitenden Werken, relativ wenig ist. Doch viele dieser Einspielungen sind hervorragend und belichten oft, gerade durch ihre Besetzung der zwei Gesangspartien, ganz verschiedenen Aspekte dieser Oper. Wir können natürlich hier nicht auf sämtliche Interpretationskonzepte eingehen, die sich von einer phantastisch-düsteren Nachtmusik, wo der Tod allgegenwärtig ist (Antal Dorati) über die noble Zerrissenheit eines Fischer-Dieskau (bei Fricsay, Kubelik und Sawallisch) und naiv-mädchenhafte Auslegung der Judith durch Irmgard Seefried (bei Kubelik) oder Cornelia Kallisch (bei Eötvös) bis hin zu den modern analytischen Deutungen eines Boulez oder einer Marin Alsop bewegen. Jedes Sängerpaar funktioniert hier anders und es ist schon phantastisch zu hören, welche Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten und Interpretationsansätzen in dieser Oper steckt.
Die Aufführung in Luxemburg mit dem ‘Budapest Festival Orchestra’ hielt sich eng an das Original und begann mit dem aus Lautsprechern zugespielten gesprochenen Prolog, der bei CD-Aufnahmen meistens gestrichen wird. Die Solopartien wurden von Ildiko Komlosi (Judith) und Krisztian Cser (Blaubart) gesungen.
Prägnant war die Interpretation von Ildiko Komlosi, die die Judith als eine herrische, ichbezogene und unsympathische Figur zeigte und sich demnach ganz von Bild des naiven, jungfräulichen Mädchens distanzierte. Krisztian Cser war ein stimmgewaltiger, lyrischer Blaubart mit einer sehr warmen Stimme, was seiner Figur wiederum mehr Menschlichkeit verlieh, als die der Judith.
Gabor Kalis Interpretation besaß zwar nicht die Tiefe, die wir von anderen Dirigenten gewohnt sind, aber wie die Partitur zum Blühen brachte, ihr wunderbar impressionistische Farben abgewann und das ‘Budapest Festival Orchestra’ zu einem enorm dynamischen, präzisen und klangschönen Spiel führt, ist bewundernswert. Sein umsichtiges und klares Dirigat war zudem sehr sängerfreundlich, so dass wir es am Ende einer sehr stimmigen und ausdrucksstarken Gesamtinterpretation zu tun haben. Der nur höfliche Applaus war wohl eher auf die Komplexität und die hohen Ansprüche der Musik zurückzuführen, als auf die Interpreten.