Neben seinen Symphonien ist Anton Bruckner vor allem für seine geistlichen Werke bekannt: die packenden Messen und die innigen a cappella-Motetten. Auf einer neuen CD von BR-KLASSIK präsentieren der Chor des Bayerischen Rundfunks und das Münchner Rundfunkorchester unter Leitung von Peter Dijkstra anlässlich des Bruckner-Jahres 2024 dessen Messe Nr. 2 zusammen mit fünf bekannten Motetten sowie den beiden kurzen Aequale für drei Posaunen von 1847. Remy Franck hat dem niederländischen Chordirigenten und  Künstlerischen Leiter des BR-Chors einige Fragen gestellt.

Peter Dijkstra
(c) Astrid Ackermann

Wie gut schreibt der Symphoniker Bruckner für die Stimme und insbesondere für den Chor?
Ich glaube, es ist wichtig zu betonen, dass Bruckner aus der Chortradition kommt. Er war Sängerknabe in Sankt Florian in Linz und hat auch da seine Organisten-Ausbildung erhalten. Er kommt somit wirklich aus der Kirchenmusik und hat schon in jungen Jahren für Chor, Chor und Orchester sowie Chor und Orgel geschrieben. Dazu war er ein fanatischer Kontrapunktist. Also er ist relativ spät, in den Fünfzigerjahren, als er schon über 30 Jahre alt war, nochmal nach Wien gegangen, für ein sehr intensives Studium bei Simon Sechter, Professor für Tonsatz an der dortigen Musikuniversität, ein bekannter Lehrer aus dieser Zeit. Er war ein absoluter Meister in diesem Bereich und wusste genau wie er mit den alten Regeln für Stimmen schreiben konnte. In den Sechzigerjahren komponierte Bruckner seine großen Messen: die erste in d-Moll, die zweite mit Bläsern, die wir ja auch aufgenommen haben, und die dritte in f-Moll. Danach sind dann die großen Symphonien entstanden.

Was charakterisiert seine Chorkompositionen und worin unterscheiden sie sich ggf. vom Symphonischen?
Es ist klar, dass die Möglichkeiten eines Chores ganz andere sind als die Möglichkeiten eines Symphonieorchesters. Und das zieht sich natürlich durch verschiedene Bereiche, wie zum Beispiel die Länge der Phrasen, aber auch die Entfaltungsmöglichkeiten des Klanges. Da ist es klar, dass das beim Chor etwas anders ist, etwas begrenzter auch. Und dann kommt noch dazu, dass die Chormusik natürlich immer auf die Sprache bezogen ist. Das heißt, dass der Text die Inspiration ist, aber irgendwo auch in der Phrasierung gewissermaßen eine Begrenzung bedeutet. Die Sprache gibt ein Raster vor: Betonungen und Kommata sind festgelegt, so wie auch die genaue Satzbildung. Wenn man für Instrumente schreibt und eine symphonische Entwicklung komponiert, ist man deutlich freier. Die musikalische Form ist ganz anders, und somit auch die Möglichkeiten.

Chor des Bayerischen Rundfunks & Peter Dijkstra
(c) Astrid Ackermann

Worin liegen die Herausforderungen für den Dirigenten und den Chor?
Die Musik Bruckners ist oftmals ziemlich chromatisch, und es bilden sich sehr, sehr lange Linien. Dies bedeutet erstens, dass Chor und Dirigent die Spannung halten sollen, um diesen ganz langen Gesangsbogen zu gestalten. Aber man muss auch auf die Intonation der Modulationen achten, da gibt es hier und da einige versteckte Gefahren. Da müssen Dirigent und Chor sehr gut zusammenarbeiten, damit dies alles reibungslos funktioniert. Gott sei Dank ist der Chor des Bayerischen Rundfunks gerade hier ein großer Meister, und ich glaube, dass es möglich ist, sich bei diesem hervorragenden Chor diesen Herausforderungen zu stellen und diese Musik auch hervorragend zu realisieren.

Warum kennt ein breites Publikum nur Bruckners Symphonien und kaum die Chorwerke?
Ich denke, das liegt in erster Linie daran, dass das Konzertleben mehr auf Orchestermusik und weniger auf Chormusik zugeschnitten ist. Wir haben in München die wunderbare Tatsache, mit dem Chor des Bayerischen Rundfunks im Prinzregententheater eine ausgebuchte Chorabonnement-Reihe zu haben mit mehr als tausend Zuhörern bei jedem Konzert. Aber trotzdem ist es im Vergleich zu den Orchestern eher so, dass das Orchester einfach ein größeres Publikum hat. Zweitens lag Bruckners Schwerpunkt ab den Siebzigerjahren eindeutig auf der symphonischen Musik und weniger auf der Chormusik. Und in diesem Medium konnte er sich am besten entfalten, hat er das meiste Repertoire geschrieben. Und das ist einfach eine unglaubliche Musik. In der Zeit der späteren Symphonien hat er sich also weniger mit Chormusik beschäftigt. Er schrieb aber immer noch einige wirklich großartige A-cappella-Motetten, wie ‘Christus, factus est’, und auch weniger bekannte Motetten. Aber sein Schwerpunkt lag natürlich auf der symphonischen Musik.

Wie sehen Sie heute Bruckner? Der Dirigent Hans von Bülow bezeichnete ihn gar als »halb Genie, halb Trottel«….
Es ist mittlerweile ca. 130 Jahre her, seit Bruckner gestorben ist. Zu Zeiten Hans von Bülows war er natürlich als Persönlichkeit bekannter und wurde oftmals belächelt und man begegnete ihm unseriös. Die Menschen kannten seine Musik fast nicht, weil sie fast nie aufgeführt wurde. Jetzt ist es anders, Bruckners Musik steht natürlich im Vordergrund, und im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts wurde die Wertschätzung seiner Musik, besonders seiner symphonischen Musik, größer durch die Unterstützung vieler Musiker und Dirigenten. Die Persönlichkeitsaspekte sind in den Hintergrund geraten, und die Musik wurde mehr für ihren eigenen Wert geschätzt. Für mich persönlich ist diese Musik, wenn ich da ins Konzert gehe, fast ein heiliges Erlebnis. Es ist so, als ob man in eine andere Welt geführt wird. Wenn die Musik gut aufgeführt wird, wenn die Spannung gut verteilt wird, dann ist es ein sehr beeindruckendes Erlebnis. Und ja, wir sind als Musiker, als Welt reich beschenkt worden  mit dieser Musik, die für mich eine große, tröstende Qualität hat. Ich werde durch Bruckners Musik seelisch gereinigt.

Bruckner mit dem BR-Chor: Beispielhafte Darbietungen

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