Erich W. Korngold: Die tote Stadt; Klaus Florian Vogt, Camilla Nylund, Markus Eiche, Sari Nordqvist, u.v.m., Chor, Kinderchor und Orchester der Finnischen Nationaloper, Mikko Franck; Inszenierung: Kasper Holten; Bühne: Es Devlin; Kostüme: Katrina Lindsay; Licht: Wolfgang Goebbel; 2 DVDs Opus Arte OA1121D; Bild 16:9; Stereo & Surround; 2010 (151') – Rezension von Guy Wagner

Eigentlich müsste man sich freuen können, eine weitere Produktion der ‘Toten Stadt’ von Erich Wolfgang Korngold als DVD zu besitzen, zumal die musikalische Qualität der hier vorliegenden finnischen Produktion herausragend ist. Man kennt die Sensibilität von Mikko Franck: Hier kann er sie ganz ausspielen lassen, und so bietet er uns denn eine klangschwelgerische, nuancenreiche, emotional-expressive, detailgenaue Darbietung der genialen Partitur des 23-jährigen Korngold. Er wird hervorragend vom Finnischen Orchester und von den Chören unterstützt, und an manchen Stellen entdeckt man sogar neue Klangschönheiten der einzigartigen Musik.

Die Besetzung ist in jeder Hinsicht erstklassisch. Camilla Nylund strahlt als Marietta, gibt jeder expressiven Nuance ihre Intensität und spielt dazu mit einer Natürlichkeit, die verständlich macht, warum Paul, der Witwer, glaubt, in ihr seine verstorbene Frau wiedergefunden zu haben, nur lebensfroher, sinnlicher, da Marie eine ‘Heilige’ war, was doch wohl besagt, dass die Liebe der beiden eher platonisch als himmelhoch jauchzend war. Klaus Florian Vogt hält die mörderisch schwierige Rolle des Paul stimmlich ausgezeichnet während der drei Akte (Korngold spricht von ‘Bildern’) durch und kann zum Abschluss der Oper mit dem leitmotivischen ‘Glück, das mir verblieb’ nochmals triumphieren. Dem einen oder andern mag seine helle Tenorstimme vielleicht etwas zu leicht vorkommen, aber wie der Sänger sie einsetzt, ist schon ganz bewundernswert und diese Stimme macht ihn als Opernfigur umso verletzlicher.

Auch Markus Eiche beeindruckt als Frank, Pauls Freund, und als Fritz, der Pierrot, dem der andere ‘Ohrwurm’ der Oper zukommt: ‘Mein Sehnen, mein Wähnen’. Allerdings hätte ich mir mehr Expressivität in diesem Trauergesang gewünscht. Ihrer Rolle vollkommen gerecht wird Sari Nordqvist als die treue Brigitta, und selten hat man ein so homogenes Ensemble von Mariettas Freundinnen und Verehrern erlebt wie hier: Kaisa Ranta, Melis Jaatinen, Per-Håkan Precht, Juha Riihimäki, Antti Nieminen. Ich darf daher behaupten, dass diese Produktion musikalisch zu den besten überhaupt gehört. Sie verdiente jedenfalls fünf Pizzicato-Sterne.

Damit hat das Jubeln für mich aber schon ein Ende, oder fast. Die Bühnenbildnerin Es Devlin hat sicher eine eindrucksvolle Szene geschaffen. Sie stellt einen die Bühne füllenden Schrein als das Schlafzimmer Pauls dar und zugleich die ‘Kirche des Gewesenen’ für die tote Marie. In seinem Zentrum thront ein riesiges Doppelbett… dem im 2. Bild die ganze Truppe Mariettas entsteigt: das Bett wird hier zur Fähre. An den Längsseiten des Dekors reihen sich bis in die Tiefe hinein Regale voll von Devotionalien und Sammelstücken, Erinnerungen an die Tote. In den beiden nächsten Bildern öffnet sich dann die hintere Bühnenwand und gibt den Blick frei auf ein Brügge aus der Vogelperspektive. Sogar der Beffroi ist zu erkennen. Allerdings ergeben sich hieraus Schwierigkeiten für die Darstellung der Heilig-Blut-Prozession im 3. Bild: Man sieht eigentlich nur Kinderköpfe zwischen den Hauskonstruktionen hervorragen. Eine Prozession darzustellen ist dabei aber unmöglich. Doch das ist nicht das eigentliche Problem: Der Regisseur Kasper Holten hat nämlich die abstruse Idee gehabt, in allen Szenen, die in Pauls Haus spielen, das Phantom der toten Marie, dargestellt von Kirsti Valve, die im übrigen Camilla Nylund nicht unähnlich sieht, auftreten zu lassen. Diese physische Präsenz pervertiert jedoch die ganze Produktion, macht sie zum Teil sogar grotesk, wenn etwa Marie im Bett liegt und Paul sie streichelt oder Marietta sie an den Haaren packt. Es bleibt vor allem kein Spielraum offen zwischen Traum und Wirklichkeit, und die Anwesenheit der stummen Zombie-Figur macht die entscheidende Szene des 3. Bildes, in der es zur vermeintlich mörderischen Auseinandersetzung zwischen Marietta und Paul kommt, zu einer Farce, so wie es vorher schon einige gegeben hat. Beispielsweise wird der Schluss des 1. Bildes geradezu vermasselt, und die wunderbare Einleitungsmusik zum 2. Bild verliert jede Atmosphäre.

Fazit: Mag sein, dass viele diese Inszenierung ‘genial’ finden, sie ist jedenfalls nicht meine Sache, und erneut muss ich mir die Frage stellen: Ist es für, ach, so viele Regisseure unmöglich geworden, Respekt vor dem zu haben, was geschrieben, resp. komponiert wurde?

Ich werde mir sicher noch mehr als einmal diese beiden DVDs anhören, dabei aber genau so gewiss das Bild abschalten.

Though this production is musically excellent, the staging is rather incongruous with the phantom of the deceased Mary appearing in all the scenes taking place at Paul’s house.

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