Krzysztof Penderecki
(c) Bruno Fydrich

Mit einem festlichen Konzert in der Warschauer Nationaloper ging Ende vergangener Woche das Krzysztof Penderecki Festival zu Ende. Anlässlich des 85. Geburtstages des polnischen Komponisten hatten Freunde und künstlerische Weggefährten für 11 Konzerte zusammengefunden, um in den Hauptspielstätten der Metropole Schlüsselwerke aus dessen opulentem Schaffen aufzuführen. Die künstlerische Leitung der Reihe lag in den Händen von Elzbieta Penderecka. Im Gespräch mit Pizzicato zieht Musikpublizist und ICMA-Jury-Mitglied Martin Hoffmeister Bilanz.

Herr Hoffmeister, Festivals im Zeichen zeitgenössischer Musik bilden seit Jahrzehnten ein substanzielles Segment der internationalen Klassikszene. Nur in Ausnahmefällen konzentriert sich eine Reihe allerdings auf das Schaffen nur eines Komponisten. Wie nahm man solche Fokussierung als Besucher des Penderecki-Festivals wahr?
Tatsächlich würde man die Frage bei einem entsprechenden Bach-, Mozart-, Beethoven- oder Strauss-Festival so nicht stellen, denn die Werke dieser Komponisten bieten so viel Abwechslung und Varianz, dass Fokussierung nichts anderes bedeutete, als kompositorischen Entwicklungen und Metamorphosen nachzuspüren. Für Pendereckis Schaffen gilt das umso mehr, denn kein zweiter kompositorischer Kosmos des 20. und 21. präsentiert entlang von sechs Jahrzehnten unermüdlicher Produktivität vergleichbar fundamentale stilistische Wandlungen. Der Weg Pendereckis vom Protagonisten der Avantgarde zum, wie er sich heute selbst bezeichnet, ‘Traditionalisten’ steht für ein eminentes kompositorisches Spektrum über fast sämtliche musikalischen Gattungen hinweg. Insofern befand man sich als Besucher des Festivals in der privilegierten Lage, intensiv eintauchen zu können in die heterogenen Klangwelten eines Komponisten, der, stets unabhängig von Zeitgeist und Dogmen, kompromisslos die eigenen künstlerischen Vorstellungen zu realisieren vermochte. Für das Publikum, das diesem Schaffensweg anhand von rund 40 komplexen Werken während des Festivals folgen konnte, war dieser Hör-Marathon zweifellos eine mentale, emotionale, nicht zuletzt physische Herausforderung, eine Herausforderung allerdings im besten Sinne, denn am Ende standen Erkenntnis und die Genugtuung, einen nachhaltigen Einblick in die Werkstatt eines der wegweisenden europäischen Komponisten erlangt zu haben.

Drei Dirigenten für Penderecki: Yaniv Segal, Rafael Payare & Jurek Dybal
(c) Bruno Fidrych

Wie präsentierte sich das Festival strukturell und programmatisch?
Natürlich wurde sinnfällig nach Musikgattungen sortiert. Es gab entsprechend Kammermusikkonzerte, sinfonische Abende,  ebenso wie Solokonzerte, Chorsinfonisches oder geistliche Musik. Innerhalb der einzelnen Konzerte setzte man auf erkenntniszeitigende Kopplungen von Werken oder Werkgruppen, etwa wenn Streichquartette oder Sinfonien unterschiedlicher Schaffensphasen gegenübergestellt wurden. Nicht zuletzt mit diesem programmatischen Kunstgriff ermöglichte das Festival dem Publikum eine gewissermaßen objektivierte Sicht auf das Schaffen Pendereckis. Aus Korrespondenz und Spannungsfeldern zwischen Avantgarde und Tradition konnte eine dialektische Perspektive generiert werden, die befreite von dogmatischen oder weltanschaulichen Ressentiments. Tatsächlich zeigt der Blick auf Pendereckis Gesamtwerk gerade in dessen stilistischen Metamorphosen zielgerichtete und logische Kohärenz.

Penderecki versuchte, stets eng mit den Interpreten seiner Werke zusammenzuarbeiten. Daraus entwickelten sich über die Jahrzehnte zahllose substanzielle künstlerische Freundschaften. Viele Weggefährten konnten für einen Auftritt beim Festival gewonnen werden. Verändert das die ‘Chemie‘ einer Veranstaltungsreihe?
Ohne Frage wirkt sich eine so spezifische Gruppendynamik deutlich positiv auf das Geschehen aus. Jedes einzelne Konzert wird als Hommage zelebriert und auch entsprechend wahrgenommen. In Warschau vernahm man eine umfassende Zugewandtheit gegenüber dem Jubilar und seinen Werken. Durchaus kurzweilig und inspirierend erwies sich auch die dramaturgische Volte, in jedem Konzert, für jedes Werk andere Musiker, Dirigenten oder Ensembles agieren zu lassen. So dirigierten etwa beim finalen Festakt in der Nationaloper mit Leonard Slatkin, Christoph Eschenbach und Maciej Tworek gleich drei hochkarätige Maestros an einem Abend.

Anne-Sophie Mutter
(c) Bruno Fidrych

Einige Werke Pendereckis sind bestimmten Musikern gewidmet, andere stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit einschlägigen Namen. Wurden diese Konstellationen beim Festival gespiegelt ?
Exemplarisch dafür standen Anne-Sophie Mutters Exegese des ihr zugeeigneten Violinkonzertes ‘Metamorphosen’ im Geburtstagskonzert, die Aufführung des ‘Sextetts‘ durch u.a. Barry Douglas, Michel Lethiec und Arto Noras, die Interpretationen dreier Streichquartette seitens ‘Shanghai Quartet‘ oder die Darbietung von Pendereckis Trompetenkonzert mit Gabor Boldoczki. Andere Namen der langen Künstlerliste des Festivals wie Claudio Bohorquez, Radovan Vlatkovic, Ivan Monighetti, Danjulo Ishizaka, Maja Bogdanovic, Stephan Genz, John Axelrod, Alexander Liebreich, Christoph Eschenbach, Leonard Slatkin oder Lawrence Foster stehen seit Jahren für subtile Ausleuchtungen Penderecki’scher Werke.

John Axelrod
(c) Bruno Fidrych

Sie hatten es anfangs angedeutet: Die Begegnung mit den Schlüsselwerken Pendereckis eröffnete dem Publikum ein immenses, heterogenes ästhetisch-stilistisches Klangspektrum. Sind dennoch durchgängige Grundideen oder -Muster in diesem Werkekosmos erkennbar?
Pendereckis Schaffen wird durch alle Phasen und Wandlungen hindurch getragen vom Willen zu Form und Struktur. Insbesondere damit hilft er dem Publikum grundsätzlich, seinen komplexen, emotional aufgeladenen Werken zu folgen. Die Form fungiert als Anker, wiederkehrende Muster generieren willkommene Déjà-Vus. Pendereckis Musik definiert das Gegenteil von Beliebigkeit. Jenseits konsistenter Struktur ereignet sich die Explosion von Klangfarben, Stimmungen und stilistischen Wendungen. Wer sich auf dieses Werk einlässt, begegnet einem in Klang gegossenen Spiegel der Welt in seiner ganzen Varianz, seinen Extremen und Zwischentönen: Penderecki vermag ‚alles‘ zu komponieren zwischen martialischem Getöse, Gewalt, Abgründen, Schmerz, Trauer, Melancholie, Poesie, zarter Einlassung, sublimer Innenschau, Glück, Emphase und Entgrenzung. Seine Affinität

zum Originären, Unerwarteten, zu Grenzauslotung und halluzinatorisch-surrealen Seitenwegen spiegelt sich in der extensiven Erprobung neuer Klangtableaus. Einem Violoncello, einer Geige oder Perkussionsinstrumenten werden ungehörte Effekte abgerungen. Und selbst wenn man als Konzertbesucher nicht unmittelbar zu jedem Werk Zugang findet, so wird man doch zumindest aufgeschlossen vermittels Klangvarianz und -Intensität für die unkonventionellen, teilweise ‘fremden’ Klangwelten.

Alexander Liebreich
(c) Bruno Fidrych

Rund 40 Werke Pendereckis kamen in Warschau zur Aufführung. Welche Höhepunkte möchten Sie benennen?
Besucher mit Faible für kleine Besetzungen erlebten beispielsweise bei den Konzerten des ‘Shanghai Quartet’, des neu gegründeten ‘Penderecki Trio’, den Soloauftritten des Cellisten Danjulo Ishizaka oder dem Sextett um den Klarinettisten Michel Lethiec inspirierende, subtil ausgelesene Kammermusik-Preziosen. Im sinfonischen Segment überzeugten insbesondere Alexander Liebreich, John Axelrod, Wojciech Rajski, Leonard Slatkin und Sergey Smbatyan mit präzisen, detailaffinen und profunden Dirigaten, während im Konzertbereich Solisten wie die Cellisten Amid Peled, Maja Bogdanovic, Claudio Bohorquez, Flötist Patrick Gallois, Trompeter Gabor Boldoczki und Geigerin Anne-Sophie Mutter mit nuancenreichem, spannungsgesättigten Spiel für sich einnahmen.

Die meisten Festivalkonzerte gingen in der Warschauer Nationalphilharmonie über die Bühne. Wie darf man sich das Publikum vorstellen, das sich über eine Woche lang den Werken Pendereckis stellt?
Wenn man über Jahre in diese Philharmonie geht, um speziell den Werken des polnischen Komponisten nachzuspüren, fällt auf, dass offensichtlich eine internationale Penderecki-Community existiert, deren Mitglieder für ausgesuchte Projekte aus Amerika, Japan und zahlreichen europäischen Ländern anreisen, um dem Maestro und seinem Werk Reverenz zu erweisen. Das polnische Publikum setzt sich zu ähnlichen Teilen aus Abonnenten der ‘bürgerlichen Mitte’, politischen und kulturellen Würdenträgern sowie musikalisch sozialisierten Fachbesuchern zusammen. Insbesondere auch nachwachsende Generationen geben sich Pendereckis Werk gegenüber bemerkenswert aufgeschlossen. Bei alledem darf nicht vergessen werden: Penderecki ist eine nationale Instanz und damit auch erster Kulturbotschafter seines Landes in der Welt. Gleichermaßen repräsentieren Person und Werk aber auch Humanismus und nationenübergreifenden Austausch. Sie stehen dezidiert für die europäische Idee.

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