Joseph Haas: Kirchensonate Nr. 1, F-Dur (Jubilate), op. 62 Nr. 1 für Violine & Orgel + Choralfughetten + Praeludium XI, E-Dur + Kirchensonate Nr. 2, d-Moll (Es ist ein Schnitter), op. 62 Nr. 2 für Violine & Orgel; Max Reger: Air nach dem Choralvorspiel O Mensch bewein dein Sünde groß von J.S. Bach, bearbeitet für Violine mit Begleitung von Orgel  + Der geigende Eremit, op. 128 Nr. 1 für Violine & Orgel aus Vier Tondichtungen nach Arnold Böcklin, bearbeitet von Klaus Uwe Ludwig; Josef Renner, jun.: Kanzone G-Dur, op. 56 Nr. 2 für Violine & Orgel + Interludium F-Dur, op. 85 für Violine & Orgel; Sreten Krstic, Violine, Norbert Düchtel & Ludwig Schmitt, Orgel; 1 CD Tyxart 19131; Aufnahme 08.2020, Veröffentlichung 06.2021 (51’52) – Rezension von Burkhard Schäfer

Der Titel der CD ‘Werke für Violine und Orgel’ ist missverständlich, weil man glauben könnte, es seien hier nur Werke für beide Instrumente zu hören. Das stimmt nicht, denn die eigentlichen Entdeckungen des Albums – 10 Choralfughetten von Joseph Haas (1879–1960) –, sind für Solo-Orgel geschrieben und werden hier genau wie die beiden Werke von Josef Renner, jun. (1868–1934) als Weltersteinspielungen präsentiert.

Max Reger, der dritte im Bunde auf dieser CD, muss Orgelliebhabern nicht eigens vorgestellt werden, die beiden anderen schon. Haas, den heute leider nur noch wenige kennen, war von 1904 bis 1909 ein Schüler von Reger – was seinem Kompositionsstil auch durchaus anzumerken ist. Zusammen mit Paul Hindemith und Heinrich Burkhard gründete Haas 1921 die ‘Donaueschinger internationalen Kammermusikfeste für Neue Musik’. Er selbst blieb der Tonalität aber sein Leben lang treu. Der aus Regensburg stammende und zeitlebens auch dort tätige Komponist und Organist Renner studierte u.a. bei Joseph Gabriel Rheinberger Komposition und Orgel – und auch das hat klare Spuren in den Werken des einst für seine kirchenmusikalischen Kompositionen hoch geschätzten Renner hinterlassen. Seine beiden hier von ihm zu hörenden Stücke, Kanzone G-Dur und Interludium F-Dur, beide für Violine und Orgel, zeigen ihn als einen spätromantischen Meister von Format und großer Erfindungsgabe.

Auch rein quantitativ steht auf dem Album jedoch die Musik von Haas im Vordergrund. Seine 10 kurzen Choralfughetten stammen aus einer Sammlung von insgesamt 40 nachgelassenen Kompositionen. Es handelt sich um Frühwerke, die – genau wie das Praeludium XI – vermutlich um 1905/06 geschrieben wurden, als Haas bei Reger studierte. Die Fughetten (nach sowohl evangelischen als auch katholischen Chorälen) werden hier nicht am Stück präsentiert, sondern in Dreier- und Vierergruppen über das gesamte Album verteilt. Auch seine beiden einnehmenden Kirchensonaten für Violine und Orgel von 1925/26 erklingen nicht hintereinander weg, sondern zum Auftakt (Nr. 1) und Schluss (Nr. 2) der CD. Und das ist auch gut so, wie sich überhaupt die Anordnung der einzelnen Stücke und die Dramaturgie des gesamten Albums als in sich stimmig und gelungen erweisen.

Weitere Pluspunkte des Albums sind: die durchweg guten Interpretationen, die Sreten Krstic, Norbert Düchtel und Ludwig Schmitt den Werken angedeihen lassen. Auch wenn Haas hier, wie gesagt, im Zentrum steht: das kompositorische Schwergewicht und Meisterwerk des Albums stammt dann doch von Max Reger. Dessen ‘geigender Eremit’, ursprünglich für Geige und Orchester komponiert, verliert in der von Klaus Uwe Ludwig vorgenommenen Bearbeitung für Violine und Orgel nicht nur nichts von seiner melancholischen Faszination, sondern gewinnt in dieser Form sogar ‘unerhörte’ neue Aspekte hinzu. Auch Regers eigene Bearbeitung des Air von Bach nach dem Choralvorspiel ‘O Mensch bewein dein Sünde groß’ ist ‘ein über alle Maßen schönes Stück’, um es mit Regers eigenen Worten zu sagen.

Gut ist auch, dass sich die CD auf das Wesentliche konzentriert und nicht länger dauert als ca. 50 Minuten, ergo darauf verzichtet, die Kapazität der Silberscheibe mit 70 oder 80 Spielminuten voll auszulasten – an Werken der genannten Komponisten wäre wahrlich kein Mangel gewesen. Nein, so, wie es ist, ist es in sich stimmig und rund. Hier gilt ganz klar das Sprichwort: weniger ist mehr.

Sehr zu loben ist auch das Akustik-Design des Albums – und damit ist mehr gemeint als nur die an sich schon sehr gute Klangqualität. Man spürt, dass hier ein Tonmeister am Werk war, der diesen Namen auch verdient, denn sowohl die Pausen zwischen den einzelnen Kompositionen sind wohl bemessen und – ganz entscheidend: die letzten Akkorde der Stücke werden am Ende nicht ausgeblendet oder gar ‘abgewürgt’, sondern dürfen sich in die Stille hinein verlieren – was insbesondere bei Orgel-CDs wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist, wie viele Orgelliebhaber sicherlich aus leidvoller Erfahrung wissen.

Negativ zu Buche schlagen der fehlerhafte, im Ganzen schlampig redigierte und in Teilen arg betuliche Booklet-Text. Richtig störend und für Orgelliebhaber inakzeptabel ist jedoch die Tatsache, dass sich weder auf dem Front- noch auf dem Back-Cover Angaben zur Orgel finden, die hier zum Einsatz kommt. Erst im Booklet – und da auch nur im ‘Kleingedruckten’ – ist zu lesen, dass die Aufnahmen in der Kirche Hl. Walburga, Beilngries, entstanden sind. Wer wissen will, welches Instrument dort steht, muss selber recherchieren. Diese Info sei hier nachgereicht: Es handelt sich um ein Instrument des Orgelbauers Joseph Franz Bittner aus Eichstätt, das 1913 gebaut, 1964 und 1992 umgebaut und in den Jahren 2010 bis 2012 von der Firma Orgelbau Kuhn aus Männedorf (Schweiz) grundlegend restauriert wurde. Die Orgel verfügt über 44 Register und drei Manuale und diverse Spielerhilfen wie Crescendowalze, Schwellwerk und Koppeln.

The title of the CD ‘Works for Violin and Organ’ is misleading because one might think that only works for both instruments are heard here. This is not true, because the real discoveries of the album – 10 Choralfughetten by Joseph Haas (1879-1960) – are written for solo organ and are presented here as world premiere recordings, just like the two works by Josef Renner, Jr. (1868-1934). Max Reger, the third of the group on this CD, does not need to be introduced to organ lovers, but the other two do. Haas, whom unfortunately few know today, was a student of Reger’s from 1904 to 1909 – a fact that is certainly noticeable in his compositional style. Together with Paul Hindemith and Heinrich Burkhard, Haas founded the Donaueschingen International Chamber Music Festival for New Music in 1921. He himself, however, remained faithful to tonality throughout his life. The composer and organist Renner, who came from Regensburg and worked there all his life, studied composition and organ with Joseph Gabriel Rheinberger, among others – and this, too, has left clear traces in the works of Renner, who was once highly esteemed for his church music compositions. His two pieces to be heard here, Kanzone G-Dur and Interludium F-Dur, both for violin and organ, show him to be a late Romantic master of stature and great inventiveness.
Even in purely quantitative terms, however, Haas’ music is in the foreground on the album. His 10 short Choralfughetten come from a collection of a total of 40 compositions left behind. They are early works which – just like the Praeludium XI – were probably written around 1905/06, when Haas was studying with Reger. The Fughettes (based on both Protestant and Catholic chorales) are not presented in one piece, but in groups of three and four spread throughout the album. Even his two engaging Church sonatas for violin and organ from 1925/26 are not heard one after the other, but at the opening (No. 1) and closing (No. 2) of the CD. And that is a good thing, just as the arrangement of the individual pieces and the dramaturgy of the entire album prove to be coherent and successful.
Further plus points of the album are the consistently good interpretations that Sreten Krstic, Norbert Düchtel and Ludwig Schmitt give to the works. Even if Haas, as I said, is at the centre here, the compositional heavyweight and masterpiece of the album is by Max Reger. His ‘Violin hermit’ (Der geigende Eremit, op. 128 Nr. 1), originally composed for violin and orchestra, not only loses none of its melancholy fascination in Klaus Uwe Ludwig’s arrangement for violin and organ, but even gains unheard-of new aspects in this form. Reger’s own arrangement of Bach’s Air after the chorale prelude O Mensch bewein dein Sünde groß is also « a beautiful piece beyond measure », to use Reger’s own words.
It is also good that the CD concentrates on the essentials and lasts no longer than a good 50 minutes, ergo refraining from fully utilizing the capacity of the silver disc with 70 or 80 minutes of playing – there would certainly have been no shortage of works by the composers mentioned. No, as it is, it is coherent and round. The saying: less is more clearly applies here.
The acoustic design of the album is also to be praised – and this means more than just the very good sound quality. One senses that a sound engineer worthy of the name was at work here, for both the pauses between the individual compositions are well measured and – quite decisively: the last chords of the pieces are not faded out or even ‘stalled’ at the end, but are allowed to lose themselves in the silence – which is truly not a matter of course, especially with organ CDs, as many organ lovers surely know from painful experience.
On the negative side, the booklet text is faulty, sloppily edited on the whole, and in parts rather ponderous. Really disturbing and unacceptable for organ lovers is the fact that neither on the front nor on the back cover is there any information about the organ that is used. Only in the booklet – and then only in the ‘small print’ – is it stated that the recordings were made in the church of St. Walburga, Beilngries. If you want to know which instrument is there, you have to do your own research. This information is provided here: it is an instrument by the organ builder Joseph Franz Bittner from Eichstätt, built in 1913, rebuilt in 1964 and 1992, and fundamentally restored between 2010 and 2012 by the company Orgelbau Kuhn from Männedorf (Switzerland). The organ has 44 stops and three manuals and various player aids such as a crescendo roll, swell and couplers.

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