Vor allem wegen Delvincourt…
‘Sonates de la Côte d’Albâtre’ nennt sich eine CD von Azur mit wenig bekannten Violinsonaten von Jacques de la Presle (sehr gefühlsvoll, selbst in den lebendigeren Teilen eher melancholisch), Paul Paray (unbeschwert und farbig, jedoch musikalisch eher harmlos) und Claude Delvincourt, dem eindeutig besten Stück dieser CD. Die Delvincourt-Sonate entstand 1919 und ist noch von düsteren Gefühlen, gewissermaßen einem Nachhall des Ersten Weltkriegs geprägt. Ein starkes Stück, sehr ausdrucksvoll und leidenschaftlich gespielt vom Geiger Gautier Dooghe und dem Pianisten Alain Raës (Azur AZC 164) – ♪♪♪♪

Eloquenter Vivaldi
Das Quintett Armoniosa spielt bei Reddress die 12 Konzerte aus Vivaldis Estro Armonico, op. 3. Es sind klangreiche, voll klingende, lebendige Interpretationen, wohl recht dynamisch und zupackend, aber doch auch sehr ausgewogen, weil Armoniosa  nichts überbetont, sondern dem Spiel einen freien, aber kontrollierten Lauf lässt. Die fünf Musiker haben eine erstklassige rhythmische Präzision, und es gibt in ihrem Musizieren viel Klarheit, sie wissen aber auch, das Atmosphärische und Melodische atmen zu lassen und erzielen so eine schöne Eloquenz (Reddress 34-011906) – ♪♪♪♪

Dzmitry Ulasiuk mit guten Prokofiev- und Rachmaninov-Einspielungen
Der aus Minsk stammende Pianist Dzmitry Ulasiuk präsentiert bei Centaur eine ziselierte, rhythmisch sehr prägnante Version der ‘Zehn Stücke aus Romeo und Julia’ von Sergei Prokofiev. In den neun Études-Tableaux von Rachmaninov glänz der Pianist wohl mit spieltechnischer Souveränität, aber die Brillanz der manuellen Fertigkeiten interessiert dabei nur am Rande. Das wirklich Besondere ist die lyrisch-reflektive Grundstimmung. (Centaur CRC3698) – ♪♪♪♪

Liebe ohne Liebe
Wenn in einem Lieder-Recital die rein orchestralen Intermezzi besser gefallen als der Gesang, ist etwas faul mit der Produktion. Hier handelt es sich um ‘Si j’ai aimé’ mit Sandrine Piau, die sich vom exzellenten Concert de la Loge unter Julien Chauvin begleiten lässt. Das Orchester spielt sehr inspiriert und detailreich. Piau singt gekünstelt, mit einer Artikulation, die keine Textverständlichkeit erlaubt, mit reduzierten Farben und einer unangenehmen Zurückhaltung, um nicht zu sagen Kühle. So wenig verliebt darf Liebe nicht klingen. (Alpha 445) – ♪♪

Rembrandt gewidmet
Der israelische Lautenist Alon Sariel spielt Musik des sogenannten Niederländischen Goldenen Zeitalters. Es ist ein wenig bekanntes Repertoire. Dass aber gerade die Laute damals in den Niederlanden sehr beliebt war, zeige sich allein schon in der Malerei, schreibt Sariel im Booklet seiner CD: Ihm zufolge zeigen etwa 25 Prozent aller Gemälde zum Thema Musik ein solches Instrument. Und so widmete er seine Produktion dem Maler Rembrandt, in Erinnerung an dessen 350. Todestag im Jahre 2019. Zu hören ist ein stimmungsvolles, sehr poetisches und charmantes Programm, inspirierend genug, um dem Zuhörer auch geistig in das 17. Jahrhundert zu entführen. (Querstand VKJK 1901) – ♪♪♪♪♪

Wie damals in Meiningen
Thomas Zehetmair hat mit dem Musikkollegium Winterthur alle vier Symphonien von Johannes Brahms aufgenommen. Es sind sehr persönliche Interpretationen, mit eigenwilligem Rubato sowie manchmal überraschenden Akzenten. Er stützt sich dabei auf die Angaben des Dirigenten Fritz Steinbach, die unter dem Titel ‘Brahms und die Meininger Tradition’ veröffentlicht wurden. Zehetmairs Dirigieren bringt so weitaus mehr Gefühle in die Musik als üblich. Manchmal wird die Musik direkt sentimental. Das wirft die Frage auf, ob das zu dem gängigen Bild des Komponisten passt? Auf der anderen Seite wird der eine oder andere Hörer die Geschlossenheit und das durchgehend Drängende vermissen, die den Zyklus bei anderen Dirigenten auszeichnen. Hier wird in jedem Werk, wie Zehetmair sagt, mehr als die Summe seiner Teile deutlich. Höchst interessant, und gewiss eine beachtenswerte Alternative. (2 CDs Claves 1916/17) – ♪♪♪♪

Outstanding ist nur der erste Satz der Unvollendeten
Drei Schubert-Symphonien (5, 8 & 9) mit der Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Karl Böhm: Eine flüssige Fünfte Symphonie (1942 aufgenommen) auf hohem spieltechnischem Niveau. Nichts Besonderes, aber eine gute Aufnahme. Auch die von der Dresdner Staatskapelle prächtig musizierte Große C-Dur Symphonie ist sehr traditionell in der Böhm-Interpretation von 1979. Da gibt es in rund 50 Minuten keine Langeweile. Die Eloquenz der Musik ist in diesem kräftigen und voll strömenden Musizieren hundertprozentig garantiert. Sehr gut, aber eben nicht herausragend. Das könnte man auch für den zweiten Satz der ‘Unvollendeten’ sagen, nicht aber für den ersten Satz, wo die Musik wirklich abhebt und Böhms Inspiration für direkt magische Momente sorgt, sanftes Klagen einer fast barschen Entschlossenheit gegenüberstellt und die Klage dann sozusagen aus intimster Stille dramatisch anschwellen lässt. Das Set enthält auch ein sehr gefälliges Porträt des Dirigenten, 1957 vom NDR produziert. (Profil PH19023) – ♪♪♪♪

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